Interview

"Ich lebe trotzdem noch"

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Wie beliebt sind CompTIA-Zertifizierungen in der Schweiz? Und wie schwer ist es, einen eigenen Verlag für IT-Fachbücher zu gründen? Markus Kammermann, ICT-Ausbilder und Gründer von Kabera Brainware, gibt Auskunft.

Markus Kammermann, Gründer von Kabera Brainware (Quelle: Kabera Brainware)
Markus Kammermann, Gründer von Kabera Brainware (Quelle: Kabera Brainware)

Herr Kammermann, Sie geben seit 1990 Informatikkurse. Ihr Buch CompTIA A+ hat fast 700 Seiten. Wie lange brauchten Sie, um dieses Werk zu vollenden?

Das Schreiben eines Buchs ist immer ein evolutionärer Prozess. Das heisst, ich schreibe und eine Studentin sagt “hey, das fehlt“. Ich denke darüber nach und entwickle weiter. Die Rückmeldungen von Kollegen, vor allem aber die Inputs der Studierenden sind sehr wichtig. A+ diskutierte ich als früheste Fassung mit einer Freundin, lang auf dem Teppichboden sitzend, vor über zehn Jahren – und dann begann ich zu schreiben. Die Version 1.0 erschien 2007 als Lehrmittel und als 1. Auflage offiziell 2010. Die aktuelle Seitenzahl ist also das Ergebnis einer Entwicklung. An jeder neuen Auflage schreibe ich aber mehrere Wochen, oder wie im Fall von Network+ letztes Jahr über mehrere Monate. Speziell ist das Buch IT Fundamentals, 2. Auflage vom letzten November. Die 282 Seiten schrieb ich in drei Tagen – aber das war wirklich einmalig.

Wie beliebt sind die CompTIA-Zertifizierungen in der Schweiz?

Die Schweiz hat ein sehr gutes duales Berufsbildungssystem. Von daher ist der Bedarf bei uns weit weniger gross als in anderen Ländern. Das muss man einfach akzeptieren. In vielen Ländern sind CompTIA-Ausbildungen und -Zertifizierungen aber ein wesentlicher Bestandteil des Berufsmarktes, gerade in den USA, dem Nahen Osten oder Asien. In der Schweiz gibt es mehrere hundert Zertifizierungen pro Jahr, in Japan etwa gleich viele pro Woche. Durch die langjährige Konstanz und die grosse internationale Verbreitung ist die Reputation sehr hoch, das erfahre ich immer wieder in verschiedenen Ländern.

Viele Informationen über CompTIA dürfte es auch (gratis) im Internet geben. Ist das Web für Sie eine Chance oder eher eine Gefahr?

Auf jeden Fall eine Chance – CompTIA ist ja der Branchenverband, der für diese Zertifizierungen verantwortlich ist. Aber CompTIA ist weit mehr. Den Verband auf die Zertifizierungen zu reduzieren ist falsch. Aber das alles zu erläutern, würde wohl zu weit führen, darum nur so viel: CompTIA hat in Brüssel und Washington eigene Vertreter, die in strategischen Fragen der Informatik mitdiskutieren. Das heisst, wer über CompTIA liest, kann über sehr viele verschiedene Themen lesen. Im Bereich Zertifizierungen finden sich im Internet auch viele Prüfungen, Fragen, Diskussionen und sehr gute Videos, leider natürlich auch illegal kopierte Bücher. Ich finde, für Studenten und Lernende, die sich weiterbilden, ist das Angebot aber insgesamt von Vorteil. Und Sie sollten nicht unterschätzen, wie viele immer noch ein Buch in der Hand halten möchten, wenn es um Fachliteratur geht.

An welche Zielgruppen richten sich die Bücher? Wer kauft sie?

Ich schreibe in drei unterschiedlichen Bereichen mit drei unterschiedlichen Zielgruppen. Als Autor für CompTIA-Zertifizierungen ist die Zielgruppe technisches Personal bei grossen Dienstleistern, das mit der Zertifizierung ihr Wissen ausweisen kann. Dazu kommen immer häufiger Studierende in den Bereichen HF System- und Netzwerktechnik. Das Buch „CompTIA IT Fundamentals“ bringt mich zudem erstmals auch vom Publikum her richtig “in die Breite“, da es für Nicht-Informatiker geeignet ist. So wird dieses Buch in vielen Bereichen eingesetzt, wo Informatik zwar ein Fach in der Ausbildung ist, aber nicht das Ziel des Studiums, etwa bei den Betriebswirtschaften, den Organisatoren oder im Gesundheitswesen. Beim zweiten Bereich für die Lehrmittel der höheren Berufsbildung ist das Zielpublikum genau definiert, es sind die Studierenden im Bereich Fachausweis Informatik mit Richtung System- und Netzwerktechnik und das Pendant dazu in der HF. Breiter gestreut ist die Zielgruppe im dritten Bereich, bei den Compendio-Lehrmitteln. Hier obliegt die Verteilung dem Verlag und spricht sowohl Berufsleute wie auch Studierende an.

Springt dabei ein Gewinn raus?

Und das fragen Sie ernsthaft einen Autor für Sachbücher? Die Antwort ist: Ich lebe trotzdem noch. Aber ich knüpfe viele interessante Kontakte, werde für Referate gebucht, fachliche Analysen und Dozentenmandate, der Nutzen ist somit eher mittel- als unmittelbar.

Haben Sie Kooperationen mit Hochschulen oder privaten Ausbildnern geschlossen?

So direkt nicht, aber gute Beziehungen bestehen zu verschiedenen privaten höheren Fachschulen und Bildungsinstituten in der ganzen deutschsprachigen Schweiz und in Deutschland. Da ich früher selbst Schulleiter war und schon lange in der IT tätig bin, ist mein Netzwerk gross. Und die Schweiz ist klein – selbst wenn wir den grossen Kanton dazu nehmen, man kennt sich.

Ist es nicht ein Widerspruch, neueste Technologien mit einem aussterbenden Medium wie dem gedruckten Buch zu unterrichten?

2015 wurden in der Deutschschweiz laut SBVV etwa gleich viele Bücher gekauft wie im Vorjahr – jedoch zu deutlich günstigeren Preisen. Aussterben sieht für mich anders aus. Das ist ja eh lustig, Jahr für Jahr erklären alle das Buch für tot, und dennoch bleibt der Absatz nach Stückzahl konstant hoch. Und E-Books sind zwar modern und werden gelobt und beworben, in der Realität ist ihr Marktanteil aber immer noch deutlich unter 10 Prozent. Der SBVV schätzte den Umsatzanteil der elektronischen Bücher 2015 auf rund 7 bis 8 Prozent. Sehr viel mehr Schwierigkeiten macht der illegale Bereich, das heisst, es ist heute einfacher, ein Buch zu kopieren, zu digitalisieren und den Kollegen zu verteilen als vor 10 Jahren. Und das bringt auch immer wieder Verlage dazu, aufgeben zu müssen, denn ganz ohne Geld geht es leider nicht. Wenn wir aber am Schluss nur noch Bildung auf Artikel-Niveau, Posts und Blogs haben, dann gehen uns Zusammenhänge vielleicht doch zu sehr verloren, und das wäre schade.

Bieten Sie auch digitale Versionen für E-Reader an?

Ja, allerdings ist die Entwicklung von digitalen Büchern im flexiblen Layout aufwändig. In Kooperation mit der Druckerei Edubook bieten wir daher die Bücher auf der Plattform Edubase an. Ab Februar 2016 bieten wir nach und nach alle eigenen Titel auf dieser Plattform an. Damit können Studierende unser Lehrmittel auf jedem Endgerät lesen und damit arbeiten. Die Bücher im MITP-Verlag sind dagegen alle sowohl als E-Pub wie auch als Kindle-Version erhältlich.

Wie vertreiben Sie Ihre Bücher?

Als Autor laufen die schon bekannten Bücher des MITP-Verlags über den normalen Buchhandel, stationär wie auch über Amazon. Bei den Lehrmitteln übernehmen wir den Vertrieb direkt über unsere Website, dadurch können wir für die Abnehmer den Preis in einem vertretbaren Rahmen halten. Das heisst, dass wir trotz überschaubarem Markt für Lehrmittel in der Lage sind, qualitativ hochwertig zu drucken. Bei einer normalen Vertriebsstruktur wäre das nicht möglich, weil zu teuer. In Deutschland wiederum arbeiten wir für unsere internationalen Bücher mit dem Vertrieb KNV zusammen.

Mit Kabera Brainware haben Sie einen eigenen Verlag gegründet. Warum?

Das hat zwei Gründe. Zum einen die Marktgrösse für die Lehrmittel. Sie müssen sehen, der Markt für diese Modul-Lehrmittel bewegt sich nicht gerade im Tausender-Bereich pro Jahr, dennoch möchten wir aktuelle und regelmässig nachgeführte Produkte anbieten. Mit der Möglichkeit von Book on Demand und einem sehr zuverlässigen Partner in der Firma Edubook haben wir hier den Rahmen gefunden, der uns dies ermöglicht. Zum anderen treten wir ab diesem Jahr auch erstmals im englischsprachigen Raum auf. Und hier wiederum hat unser bisheriger Verlag MITP keine Ambitionen, uns aber das Recht zur Übersetzung überlassen. Also Zeit, um als Verlag selbst anzutreten, auch mit anderen Autoren zusammen, die Bücher entwickeln.

Welche Hürden mussten Sie dabei überwinden?

Die Lernkurve war steil in den letzten Monaten. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie man rechnen muss, damit alle bis zum Endvertrieb zufrieden sind. Oder ich musste lernen, wie man Dokumente digital richtig aufbereitet. Hier kommen unsere Mediamatik-Ausbildung und unsere Media-Arbeiten, die wir seit Jahren ausführen, natürlich sehr zu Hilfe. Ansonsten lernt man einfach dazu, man fragt, spricht, telefoniert, legt mal drauf (Stichwort Export) und lernt wieder.

Wie läuft es nun mit dem Verlag?

Ob uns das Experiment Verlag gelingt, kann ich heute nicht sagen. Aber wir investieren viel Zeit und unsere ersten Auflagen der Lehrmittel konnten wir diesen Monat bereits nachdrucken. Als Nächstes werden dieses Jahr unsere ersten englischen Bücher erscheinen, da ich zurzeit das bekannteste meiner Bücher, CompTIA Network+, übersetzen lasse. Ein Buch über Methodik wird folgen. Nicht zuletzt habe ich mit einer Kollegin ein Projekt im Hinterkopf, das uns auch noch in ganz andere Gefilde führen wird, aber mehr als “Nerd‘s kitchen“ kann ich dazu noch nicht verraten.

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yxGE5obG