St. Galler Internettag

Wie das Smartphone den Handel revolutioniert

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Gestern hat die Universität St. Gallen ihren Internettag veranstaltet. Rund 160 Besucher pilgerten an das GDI nach Rüschlikon, um sich über die Trends im Web, E-Commerce und Cross-Channel-Verkauf zu informieren.

Das Forschungszentrum für Handelsmanagement der Universität St. Gallen hat im Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) seinen jüngsten Report zum aktuellen Stand des Schweizer Online-Handels und der Internutzung präsentiert. 160 Fachbesucher waren der Einladung gefolgt. Mit dem Bericht will die Hochschule detailliert und umfassend jene Trends aufzeigen, die den Handel heute und in den kommenden Jahren beeinflussen, wie Co-Autor Oliver Emerich von der HSG am Rande der Veranstaltung erklärte.

130 Seiten umfasst der Bericht, gespickt mit Grafiken und Zahlen. Mit ihnen wollen die Autoren Fragen beantworten wie: Welche Branchen sich in den vergangenen zwei Jahren behaupten konnten oder welche Hürden beim Online-Einkauf an Bedeutung verloren haben.

Mobile revolutioniert den Handel

Eine Entwicklung treibt den Handel derzeit besonders um: der Mobile-Trend. Um zu erkennen, weshalb das Smartphone den Handel verändert, muss man die Internetnutzung der Kunden, also der Schweizer Bevölkerung an sich verstehen.

Wie sich Frau und Herr Schweizer im Web bewegen erläuterte Thomas Rudolph, Leiter des Forschungszentrums für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. Seinen Ausführungen zufolge, nutzen 90 Prozent der Schweizer heute das Internet, 30 Prozent sogar stündlich. Bei der letzten Erhebung vor zwei Jahren waren es noch 23 Prozent. Über mobile Endgeräte wie Smartphones, Phablets und Tablets greifen rund zwei von drei Befragten (63,2 Prozent) auf Inhalte im Web zu.

Aufgerufen werden massgeblich Unterhaltungsangebote wie Facebook oder Youtube. Ausserdem informieren sich mobile Nutzer über Produkte. Der Mobile-Trend werde zu erdrutschartigen Veränderungen führen, betonte Rudolph. Auch im Handel.

Einkauf im Web gewinnt an Bedeutung

Der Einkauf im Web wird für Schweizer wichtiger und damit auch die Beschaffung von Informationen über Angebote, Qualität und Preise von Produkten. Rudolph zeigte die Entwicklung anhand von Zahlen auf. 2004 informierten sich 42 Prozent der damaligen Studienteilnehmer über Produkte im Web. Bis ins Jahr 2013 kletterte der Wert um gerade einmal 4,3 Prozentpunkte auf 46,3 Prozent. In nur zwei Jahren sprang der Anteil auf 63,5 Prozent. Das seien 1,1 Millionen potenzielle Käufer mehr als vor zwei Jahren, verdeutlichte Rudolph. Auch bei der Einkaufsplanung schlägt der Mobile-Trend voll durch: Jeder dritte Befragte plant dieses Jahr seine Bestellungen über das Smartphone. Vor zwei Jahren war es noch eine von sechs Personen.

Die beiden ausländischen Plattformen Zalando (12,65 Prozent) und Amazon (10,22 Prozent) führen die Liste der beliebtesten Einkaufsportale an. Dahinter folgt mit Ricardo.ch (5,26 Prozent) die beliebteste Schweizer Shopping-Plattform. Interessant sind auch die Aufsteiger: Microspot ist neu im Ranking vertreten und kam direkt auf Platz neun. Auch das Einkaufen von Lebensmitteln scheint beliebter geworden zu sein.

Le-Shop.ch verbesserte sich im Vergleich zur letzten Erhebung vom 20. auf den 12. Rang. Kunden achten vor dem Einkauf auf Empfehlungen anderer Kunden. Das Verfassen von Kundenempfehlungen hat in letzten zwei Jahren deutlich zugenommen, wie es in der Studie heisst. 2015 schreiben gemäss den Autoren 16 Prozent der Konsumenten "eher häufig" Empfehlungen zu Produkten. Hinzu kommt die Preissensitivität. 43 Prozent der Konsumenten rufen Preise online ab über Seiten wie Toppreise.ch.

Cross-Channel-Einkauf nimmt zu

Für Rudolph zeigen die jüngsten Ergebnisse, dass der Cross-Channel-Handel zunimmt. Rudolph sprach gar von einer Revolution im Handel. Mit 27,7 Prozent kletterte der Wert derer, die über das Internet einkaufen um fast 8 Zähler an. Auch der Anteil jener Konsumenten, die situativ im Web oder im stationären Handel einkaufen, nahm von rund 20 Prozent auf 25 Prozent zu.

Den stationären Handel suchen hingegen noch rund 46 Prozent auf. Vor zwei Jahren lag dieser Wert bei 59 Prozent. Rudolph folgert daraus, dass sogenannte Pure Player, also reine Onlinehändler und Cross-Channel-Anbieter zu Lasten des stationären Handels gewinnen werden. "Wir meinen, dass die Epoche des stationären Handels an ihrem Wendepunkt angelangt ist und der stationäre Handel weiter zurückgehen wird", sagte Rudolph.

Spielwiese Cross-Channel-Handel

Der grosse Teil des Tages war den Ideen und Best Practices gewidmet. Ein Wort fiel in den rund 20 Referaten und Podiumsgesprächen besonders häufig: Innovation. Diese beginne mit Erkenntnissen, etwa über den Markt, oder darüber, was Kunden wollen, erklärte Christian Kunz, Geschäftsführer von Ricardo.

Auch Kunz bewertet den Mobile-Trend hoch. "Wer den Mobile-Trend verschläft, für den wird es bald extrem schwierig", warnte Kunz. Ricardo will mit seinem jüngsten Projekt Ricardo-Shops eine Amazon-artige Benutzererfahrung anbieten. Dies sei aber keine Kernkompetenz von Ricardo, sagte Kunz. Deshalb wolle das Unternehmen für sein B2C-Projekt mit dem Handel kooperieren. Ricardo bilde mit seiner Plattform die Schale um den Kern, den Marktplatz. Dieser soll von Resellern und Fachhändlern unterhalten werden.

Ricardo ist nach eigenen Angaben in der Lage auch grosse Retailer und ausländische Anbieter bedienen zu können. Zwar sei das Projekt eigentlich abgeschlossen. Doch nun – und das sei am wichtigsten – beginne die stete Verbesserung und Optimierung der Handelsplattform, sagte Kunz. Dies sei ein iterativer Prozess, der schnell ablaufen müsse in der digitalisierten Welt mit ihren raschen Veränderungen. Mit diesem Prozess Build-Measure-Learn verdiene sein Unternehmen heute Geld, sagte Kunz. Weil am Ende Verbesserungen und somit Mehrwert für Kunden entstünden.

Die Leute mitnehmen

Wichtig sei auch der sogenannte Mindset der Mitarbeiter. Diese müssten verstehen, dass der Vertrieb über mehrere Kanäle dem gesamten Unternehmen helfe und nicht den stationären, beziehungsweise den Onlinehandel kannibalisiere, wie Jens Diekmann, mehrmals betonte, seines Zeichens Leiter Cross-Channel und Business Development bei der Parfümerie Douglas.

Ähnlich drückte sich sein Pendant beim Kaufhaus Globus aus. Die Verankerung der Strategie sei im Verkauf in den Filialen einfacher gewesen, als in der zentralen Organisation. Dennoch sei das Projekt Omnichannel an den Start gebracht worden und "jetzt geht es los", sagte Schnell.

Manchmal muss man Widerstände brechen

Einen radikaleren Wechsel musste die Elektronikkette Media-Saturn umsetzen, wie Wolfgang Kirsch am Nachmittag in seinem Referat durchblicken liess. Kirschs Vortrag war der vielleicht interessanteste. Denn sein Beispiel verdeutlichte exemplarisch nahezu alle Schwierigkeiten, die traditionelle Handelshäuser haben, die sich zu Cross-Channel-Anbietern wandeln möchten. Die Elektronikkette startete im Jahr 2000 mit Media Online einen Webshop. Dieser durfte aber den stationären Handel nicht konkurrenzieren. Entsprechend stiefmütterlich sei der Webshop bis zu seiner Schliessung im Jahr 2007 behandelt worden.

Wenn das Internet doch nicht wieder verschwindet

Warum sich auch damit auseinandersetzen? "Das Internet ist von alleine gekommen. Das geht auch wieder von alleine weg", soll laut Kirsch die Denke mancher Manager gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Media-Saturn nach eigenen Angeaben 10 Millionen Euro mit seinem Webprojekt verbrannt. Peanuts, im Vergleich zu den über 300 Millionen Euro an verloren-gegangenen Umsätzen ohne den Online-Shop. Man habe zwischen 2007 und 2010 alles getan, um den Online-Handel zu verhindern. Dann legte das Unternemen den Schalter um und baute das Geschäft zu einem Multikanal-Anbieter um. Keine einfache Angelegenheit: "Man muss allen zeigen, dass man es ernst meint und auch Leute nach Hause schicken", also entlassen, betonte der Media-Saturn-Chef.

Seit Mitte des letzten Jahres arbeitet Kirschs Unternehmen an der neuen Strategie. Man habe aber noch immer viel Arbeit vor sich. Trotz des Fokus auf den Online-Handel will das Unternehmen weitere Ladengeschäfte eröffnen. Doch künftig sollen nicht nur Geräte, sondern auch Bundles aus Produkt und Content angeboten werden. Media Markt verkauft laut Kirsch 8 Millionen TV-Geräte pro Jahr. Die Idee: Fernseher sind heute Smart-TVs.

Warum also nicht einen Fernseher mit einem Streaming-Angebot bündeln? Denkbar sei auch das Leasing von TV-Geräten. Was in Anbetracht der hohen Innovationszyklen in der Bildschirmindustrie Sinn machen könnte. Trotz der vielen Arbeit zeigte sich Kirsch positiv: Der Handel erlebe derzeit eine interessante Phase, da viel in Bewegung sei.

"Probieren Sie aus"

Ein ähnliches Fazit zog Thomas Rudolph in seinem Resümee zum Abschluss des Tages. In den vergangenen Jahren habe er einige Veränderungen im Handel gesehen. Etablierte Anbieter aus dem stationären Handel würden viel bewegen. Reine Onlinehändler wiederum beginnen mit dem Aufbau von Ladengeschäften. Ausserdem sei zu beobachten, dass Hersteller zunehmend direkt Ware über den Onlinekanal vertreiben.

Auf technischer Ebene dürfte das Internet der Dinge neue Impulse für Ideen liefern, sagte Rudolph und appellierte an an das Publikum: "Ich möchte alle Anwesenden ermuntern, Neues auszuprobieren."

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