Vis-à-vis

"Partnerschaft darf kein Zwang sein"

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Vor zehn Jahren ist Yvonne Bettkober in die Schweiz gezogen. Sie fing bei Microsoft als Partner Sales Executive an. Nach nur eineinhalb ­Jahren wechselte Bettkober in eine internationale Rolle. Jetzt ist sie zurück und spricht über ihren Neuanfang.

Yvonne Bettkober, Director Small and Midmarket Solutions & Partners bei Microsoft Schweiz. (Quelle: Microsoft)
Yvonne Bettkober, Director Small and Midmarket Solutions & Partners bei Microsoft Schweiz. (Quelle: Microsoft)

Seit dem 1. Februar 2015 sind Sie wieder bei Microsoft Schweiz. Wie verlief das erste Halbjahr für Sie?

Yvonne Bettkober: Beruflich war es sehr spannend. Ich bekam schnell ein gutes Verständnis von unserem lokalen Geschäft. Wir haben eine riesige Anzahl an Kunden und Partnern, die ich möglichst alle kennenlernen wollte und musste. Privat war es eine grosse Veränderung für mich und meine Familie. Da meine Kinder aber zum Teil schon früher in der Schweiz zur Schule gegangen waren, war es für sie fast wie eine Heimkehr.

Das klingt nach einer intensiven Zeit. Wo stiessen Sie auf Schwierigkeiten?

Von Schwierigkeiten würde ich nicht sprechen. Es gab für mich aber eine grosse Herausforderung. Im Englischen gibt es dafür den Begriff des "Unlearning": Man soll nicht davon ausgehen, dass man etwas schon weiss oder versteht. Man muss sich zwingen, offen zu bleiben und zu lernen.

Was meinen Sie damit genau?

Ich betreute bereits in Afrika den Bereich KMU und Partnergeschäft. Und ich lebte bereits in der Schweiz. Meine Herausforderung war es, mich komplett frei und neutral von gefassten Meinungen meinen neuen Aufgaben zu widmen. Mich nicht beeinflussen zu lassen und gleichzeitig so viel wie möglich von allen um mich herum zu lernen.

Wie äusserte sich das in Ihrem Alltag?

In den ersten drei Monaten traf ich mich mit etwa 60 Partnern. Wir organisierten einen Roundtable nach dem anderen. Ich leitete die Quartalsgespräche mit den Partnern selbst. Ich versuchte, möglichst schnell einen guten Einblick in den hiesigen Markt zu bekommen.

Wer sass an den Roundtables?

Die Roundtables orientierten sich an den verschiedenen Partnerarten: Partner aus dem Lizenzgeschäft mit sehr grossen Volumen, Distributoren und Systemintegratoren. Ich führte aber auch viele Einzelgespräche, vor allem mit den Managed Partnern.

Sie hatten zuvor eine ähnliche Position in Afrika inne. Wie unterscheidet sich der afrikanische vom Schweizer Markt?

Das sind zwei Extreme. Die Dynamik, die Geschwindigkeit der Entscheidungen und die Unberechenbarkeit des sehr jungen Kontinents – die Hälfte der Menschen in Afrika sind unter 25 Jahren – auf der einen Seite, die Innovationskraft, die Qualität und die sehr bedächtigen, vorsichtigen Entscheidungen in der Schweiz auf der anderen Seite. Das Wiederholen und Herumprobieren, das ich in Afrika viel erlebte, gibt es in der Schweiz viel seltener. Bis man hier eine Entscheidung trifft, dauert es zwar etwas länger, dafür macht man es schon beim ersten Mal richtig.

Parallelen gibt es keine?

Doch. Der Wandel, der Umbruch, den wir erleben, findet in beiden Märkten statt und führt in beiden Märkten zu Sorgen, regt aber auch gleichzeitig zum Nachdenken an. Afrika hat viele Bodenschätze, immer mehr Geld und gleichzeitig enorme soziale und wirtschaftliche Probleme. Das Verständnis dafür, wie Technologie die Probleme lösen kann, fehlt jedoch. Die Schweiz muss sich Gedanken machen, wie sie ihren Status als führendes Innovations- und Qualitätsland bewahren kann, wie sie wettbewerbsfähig bleiben kann. In beiden Märkten steht eine Frage im Raum: Wie wollen wir es anpacken?

Mit Wandel und Umbruch ­meinen Sie die digitale Transformation. Was verstehen Sie ­darunter?

Digitale Transformation ist ein sehr spannender Begriff. Er bedeutet für jeden einzelnen Geschäftsführer, für jedes einzelne Unternehmen etwas anderes. Für mich steht die digitale Transformation für die Möglichkeit, sich selbst neu zu erfinden. Es geht darum, neue Geschäftsmodelle auf eine dynamischere Art und Weise auszuprobieren und die eigenen Wettbewerbsvorteile beizubehalten oder auszubauen. Technologie spielt hier eine zentrale Rolle.

Welche Bedeutung hat das für Microsoft?

Als Unternehmen – wir sind in der Schweiz ein KMU – müssen wir uns fragen: Was können wir tun, um wettbewerbsfähiger zu sein? Um unseren Mitarbeitenden bessere Arbeitsbedingungen zu bieten? Um unserem Vertriebsteam bessere Informationen zur Verfügung zu stellen? Wir sind sozusagen Kunden der digitalen Transformation. Als Technologieunternehmen wird von uns erwartet, dass wir eine Vorreiterrolle spielen.

Haben Sie schon Antworten auf diese Fragen?

Die hat im Moment kein Unternehmen. Das ist ein laufender Prozess. Wir stehen deshalb in regem Austausch mit der Industrie und verschiedenen Teilnehmern im Markt. In der Schweiz arbeiten wir etwa an Projekten mit Unternehmen wie den SBB.

Was sind das für Projekte?

Gemeinsam mit den SBB, Swisscom, Mobiliar, Post, SRG und Witzig the Office Company lancierten wir die Initiative "Work Smart" (früher Home Office Day). Wir machen uns Gedanken darüber, wie sich die Arbeitswelt momentan verändert und welche Chancen und Herausforderungen sich für uns daraus ergeben. Die Technologie spielt dabei lediglich die Rolle des Enablers. Zentraler ist die Arbeits- und Führungskultur. Hier gibt es am meisten Handlungsbedarf, aber auch Chancenfelder.

Wie unterstützen Sie Ihre Partner bei der Transformation?

Ein Grossteil des Partnerteams kümmert sich um das Skill-Development der Partner. Wir veranstalten regelmässig – mindestens ein Mal im Quartal – die Connection Days. Dort stellen wir Trends vor, Partner präsentieren ­eigene Lösungen und wir bieten Workshops und Trainings an. Managed Partner erhalten One-to-One-Trainings oder nehmen am Early-Adoption-Programm teil. Seit diesem Jahr gibt es ausserdem die Business-Transformation-­Workshops.

Was geschieht in diesen Workshops?

Wir helfen unseren Partner, herauszufinden, was die digitale Transformation für sie intern, aber auch für ihre Kunden bedeutet. Wir zeigen ihnen, wie sie mit dem Markt umgehen müssen.

Und diese Workshops sind für alle Partner verfügbar?

Ja. Wir boten die Workshops sogar an der Worldwide Partner Conference in Orlando an. Jeden Nachmittag konnten Partner zu uns kommen und dreistündige Trainings absolvieren.

Wie verändert sich vor diesem Hintergrund die Partnerlandschaft in der Schweiz?

Wir haben derzeit etwas mehr als 4000 registrierte Partner in der Schweiz. Gut 25 Prozent davon sind heute aktiv in der Cloud. Interessanterweise sind unter diesen nicht nur die grossen Partner, die uns auf unserem Weg in die Cloud begleiten. Viele kleinere sind sogar schneller und innovativer.

Warum glauben Sie ist das so?

Bei der Entwicklung von Lösungen sehen wir, dass die Profitabilität von Partnern, die über 50 Prozent ihres Umsatzes in der Cloud machen, grösser ist als bei anderen Partnern. Kleine Partner, die jetzt Lösungen im KMU-Umfeld entwickeln, haben sehr gute Möglichkeiten.

Wie sieht in dem Zusammenhang der ideale Microsoft-Partner aus?

Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, er hat technische Skills, ein gutes Marktverständnis und eine gewisse Glaubwürdigkeit im Markt. Das gilt heute natürlich immer noch. Insbesondere für die technischen Skills. Unsere Schweizer Kunden sind sehr anspruchsvoll. Sie sind selbst sehr qualitätsorientiert und erwarten dementsprechend auch Qualität. Was mir aber immer häufiger auffällt, ist die Agilität. Von den meisten Firmen verlangt man heute, dass sie ihre Geschäftsmodelle hinterfragen, dass sie schauen, was sich verändert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Taxiunternehmer denkt, dass sein Wettbewerber der Taxiunternehmer auf der anderen Strassenseite ist. Seit es Uber gibt, ist das aber nicht mehr der Fall. Uber ist kein Taxiunternehmen, es ist eine IT-Firma. Und sie hat in vielen Ländern eine Branche dermassen verunsichert, dass diese sich jetzt erst einmal selbst wieder finden muss. Deswegen glaube ich, dass es für die Partner ausser den technologischen Fähigkeiten, der Glaubwürdigkeit und der Kundenorientierung enorm wichtig ist, agil zu werden und zu bleiben.

Was meinen Sie genau damit?

Partner müssen sich mit den Megatrends beschäftigen und immer wieder prüfen, was es für sie selbst bedeutet. Sie müssen sich fragen: Was erwarten meine Kunden in diesem veränderten Umfeld? Wie kann ich dieser Erwartungshaltung gerecht werden? Die meisten Kunden wollen ihre Kosten im Griff behalten, ihre Produktivität steigern, sich besser differenzieren. Welche Technologie sie dafür brauchen und wie sie diese beziehen und nutzen, ist sehr verschieden. Das Lösungs- und Dienstleistungsangebot des Partners muss sich weiterentwickeln, um diese Bedürfnisse besser abzudecken. Das ist ein Denkprozess, der immer wichtiger wird.

Wie kam die Worldwide Partner Conference (WPC) 2015 in Orlando bei den Partnern an?

Das Feedback war sehr gut. Die Diskussionen über neue Geschäftsmodelle hinterliessen bei vielen Partnern einen bleibenden Eindruck. Seit der WPC kommen viele Partner auf mich zu und sagen: "So will ich meine Firma in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Was denkst du darüber?"

Was war Ihr persönliches Ziel an der WPC?

Für mich war der Community-Gedanke sehr wichtig. Informelle Zeit mit den Partnern verbringen, einander kennenlernen, Vertrauen aufbauen. Partnerschaft darf kein Zwang sein. Vertrauen und Zwanglosigkeit ent­wickeln sich nur, wenn man sich die Zeit nimmt, einander kennenzulernen und über die Dinge spricht, die einen beschäftigen. Das war mein Ziel, und das ist uns gut gelungen.

Gab es kritische Stimmen vonseiten der Partner, oder waren alle zufrieden?

Ich würde mir Sorgen machen, wenn es keine Kritik gäbe. Die Menge und Breite der vermittelten Informationen wirkte vor allem auf die Erstteilnehmer erschlagend. Die sehr technisch orientierten Partner hätten sich hingegen mehr Deep-Dive-Technik-Sessions gewünscht. Aber unsere Agenda war nun mal sehr stark auf die Themen Business-Transformation, Megatrends und Profitabilität ausgerichtet. Ansonsten müssen wir wohl organisatorisch noch einiges besser machen. Es gab sehr, sehr viele Termine, und das war für die Partner wie auch für uns selbst anspruchsvoll. Es gab wenig Reflexionszeit. Das muss nächstes Jahr besser werden.

Was sagen die Partner zu Windows 10?

Gute Frage. Wir wissen, was Windows 10 für die Partner bringt. Eine formelle Feedback-Runde gab es bislang aber nicht. Bei der Adoptionsrate sind wir allerdings weit über dem europäischen Durchschnitt. Pro Tag werden 40 000 Geräte auf Windows 10 upgegradet. Das entspricht einer Schweizer Kleinstadt pro Tag. Ich glaube, Windows 10 kommt bei unseren Partnern sehr gut an.

Was bieten Sie den Partnern rund um Windows 10?

Wir bieten Readiness-Sessions und Webinare, um den Partnern zu zeigen, wie sie ihre aktuellen Lösungen auf Windows 10 umstellen können und wo es kommerzielle Möglichkeiten gibt.

Die da wären?

Wir haben etwa die Enterprise Cloud Suite. Die hilft, alles was mit Mobility, Devices und Cloud zusammenhängt, zu kommerzialisieren. Das sind die Themen, die wir jetzt stärker in den Markt bringen wollen. Wir möchten, dass jeder Partner, der heute eigene Lösungen entwickelt, an eines unserer Trainings kommt und sowohl die technischen wie auch die kommerziellen Möglichkeiten besser verstehen lernt.

Satya Nadella sagte an der WPC in Orlando, dass er künftig zehn Mal mehr Surface-Reseller möchte. Wie viele Partner sollen Surface-Produkte in der Schweiz verkaufen?

Es gibt keine Einschränkungen mehr. Früher wollten wir genau sehen können, über welche Kanäle sich ein Produkt verkauft. Deswegen durften nur bestimmte Partner Surface-Produkte vertreiben. Davon trennten wir uns nun. Heute kann theoretisch jeder Microsoft-Partner Surface-­Produkte verkaufen. Ich finde, jeder Partner, der eine Businesslösung verkauft, sollte auch das Surface-Portfolio anbieten.

An der WPC war auch das Internet of Things ein Thema. Was liegt hier für Microsoft-Partner drin?

Das ist vielleicht sogar einer der Bereiche, in denen die Partner in Zukunft eine wesentlich stärkere Rolle spielen werden. Noch stärker als es heute der Fall ist. Der Begriff "Internet of Things" ist sehr breit gefasst. Es kommen hier gleich mehrere Trends zusammen: Big Data, Analytics, Machine Learning. Es geht darum, wie man mit Technologie logische Zusammenhänge erkennen und daraus den Grundstein für eine Entscheidung legen kann.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Wenn Cortana mich daran erinnert, dass mein nächster Termin in 30 Minuten ist, mein Weg dahin bei der jetzigen Verkehrslage aber 40 Minuten dauern wird, ermöglicht mir das eine Entscheidung zu treffen: Breche ich das Gespräch ab oder nicht? Das ist Machine Learning. Bei genau solchen Lösungen stehen unsere Partner im Zentrum.

Wie finden die Partner den Weg ins Zentrum?

Wir bieten Trainings an und wir werden Workshops abhalten. An Kundenevents holen wir ausserdem immer auch Partner an Bord, die dort ihre eigenen Lösungen präsentieren können. Vor allem wollen wir aber die Partner selbst neugierig machen. Sie sollen uns helfen, die neuen Möglichkeiten zu entdecken. Aus diesem Austausch und der Zusammenarbeit entstehen dann tolle Projekte. Von der vernetzten Milchkuh bis zum selbstfahrenden Fahrzeug ist alles möglich.

Wie lautet Ihre persönliche Botschaft an den Schweizer Channel?

Es gibt ein neues Microsoft. Global und auch in der Schweiz. Wir wollen etwas bewegen und wir sind sehr enthusiastisch. Die neuen Möglichkeiten, die der Markt bereit hält, können aber nur Realität werden, wenn die Partner mit anpacken. Gemeinsam können wir einen Beitrag zur digitalen Transformation in der Schweiz leisten. Die Partner sollen in ein paar Jahren zurückschauen und sagen können: Das haben wir mit unterstützt. Wir waren ein Teil davon.

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