Im Gespräch mit Jutta Rump

Warum der machtvolle Cheftyp immer unwichtiger wird

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von Marcel Urech und Urs Prantl, KMU Mentor, Partner von Focus on Future.

Jutta Rump lehrt als Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Ludwigshafen. Sie forscht zu Personalmanagement und Organisationsentwicklung. Im Interview erklärt sie, warum die Rolle des Chefs im Zeitalter der Digitalisierung neu gedacht werden muss.

Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre

Frau Rump, viele Unternehmen verstehen unter Digitalisierung in erster Linie technische Innovationen und Prozessoptimierungen. Dabei geht oft vergessen, was der digitale Wandel für die Mitarbeiter bedeutet. Warum ist das so?

Ich beobachte selbst schon seit geraumer Zeit, dass wir bei technisch motivierten Innovationen schon relativ weit sind, aber der Rest geht dann gerne vergessen. Das hat einerseits damit zu tun, dass bei technischen Innovationen – und dazu zähle ich die Digitalisierung – die Hard Facts so naheliegend sind, dass man zuerst auf diese eingeht. Da ist alles so schön rational und ökonomisch greifbar. Der Mensch funktioniert aber nicht rational und ökonomisch. Und was die Digitalisierung jetzt mit den Mitarbeitern macht, das ist eine unkalkulierbare Grösse, mit der man sich dann beschäftigt, wenn man den Rest geregelt hat. Andererseits beobachte ich, dass die Auseinandersetzung mit HR und mit allen Faktoren, die zu einer sozialen Transformation gehören, fast immer eine geringere Wertigkeit hat. Diese Themen sich daher auf der Prioritätenliste regelmässig weiter unten anzufinden. Das hat viel mit dem Standing von HR in einer Organisation zu tun. Solange HR-Manager in den Geschäftsleitungen nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen werden oder sogar dort vertreten sind, ist auch das Thema nicht so präsent.

Sie haben einen engen Bezug zur schweizerischen Arbeitskultur. Sehen Sie grundsätzliche Unterschiede bei der Bedeutung von HR-Themen zwischen Deutschland und der Schweiz?

Das grundsätzliche Denken beobachte ich auch in der Schweiz. Ich sehe in der Schweiz aber auch, dass HR, wenn es als entscheidender Erfolgsfaktor wahrgenommen wird, eine extreme Aufwertung erfährt. Das ist in Deutschland nicht unbedingt so. Ich habe eine Vermutung, warum das so ist. Es hat wohl mit der Stellung der Schweiz im internationalen Wettbewerb zu tun. Als eines der teuersten Länder der Welt kann die Schweiz nur dann reüssieren, wenn sie ein Höchstmass an Innovationskraft hat. Innovationskraft hat aber immer etwas mit dem Wissen von Mitarbeitern und deren Anwendung zu tun. Die logische Konsequenz davon ist, dass der wettbewerbsentscheidende Erfolgsfaktor Mitarbeiter extrem professionell gemanaged werden muss.

Müssen Unternehmen ihre Kultur verändern, um die Digitalisierung zu meistern?

Die Bewältigung der Digitalisierung hat sehr viel mit Kultur zu tun. Denn die Kultur ist der gemeinsame Nenner der Denk- und Handlungsmuster. Die Digitalisierung in den Unternehmen kann nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn sich auch die Denk- und Handlungsmuster grundlegend wandeln. Denn die digitale Transformation verändert in den Unternehmen ganze Arbeitskontexte, Anforderungen an Qualifikationen, Konstruktionen, wie Menschen miteinander agieren, Produkte, Geschäftsmodelle – einfach alles. Das ist die reaktive Betrachtung. Wir können die Rolle der Kultur aber auch proaktiv sehen und sie uns als zentrale Steuerungsgrösse mitdenken. Damit machen wir uns die Kultur zu Nutzen, um mit ihrer Hilfe auf einem erfolgreichen Weg durch die Digitalisierung zu navigieren.

Die Digitalisierung stellt auch Führungskräfte vor neue Herausforderungen. Oft ist von einer Demokratisierung der Führung die Rede. Was ist damit gemeint?

Die Digitalisierung stellt Führungskräfte vor extremste Herausforderungen. Es ändern sich mit der digitalen Transformation eben nicht nur die Aufbau- und Ablauforganisationen, die Geschäftsmodelle, Prozesse und Wertschöpfungsketten. Es ändern sich Fragestellungen der Arbeitsbedingungen, der Arbeitszeit, des Arbeitsortes, die Anforderungen an Kompetenzen und Qualifikationen. Auch das Thema von Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben spielt plötzlich eine wesentlich grössere Rolle. Daraus folgend müssen Führungskräfte nicht nur strategischer Partner und Manager des immer komplexeren und schnelleren Tagesgeschäfts sein, sie müssen neben aller Veränderung auch normativer Bewahrer der Unternehmensidentität sein, damit das Unternehmen während seines Transformationsprozesses nicht ständig seine Bodenhaftung verliert.

Welchen Anforderungen müssen Führungskräfte noch gerecht werden?

Sie müssen Change Agent sein, sie müssen Personalentwickler sein, sie müssen Coach für ihre Mitarbeiter sein – ich könnte hier beliebig weiterfahren. Aus alle dem ergibt sich das Aufgabenprofil für die Führungskräfte. Wenn wir daraus nun das Anforderungsprofil ableiten, dann kommen wir auf 15 schwerwiegende Aufgaben und gut 20 zentrale Kompetenzanforderungen. Damit sind wir bei der eierlegenden Wollmilchsau angelangt, die es so nicht gibt. Wenn also eine Person das alles nicht alleine schafft, dann müssen als logische Konsequenz davon die Führungskräfte der Zukunft ihre Aufgaben auf weitere Schultern verteilen und Aufgaben delegieren, also ihre Mitarbeiter wesentlich stärker in die Führung des Unternehmens miteinbinden. Als erste Stufe der Demokratisierung ist daher Partizipation im Sinne von Teilen von Führung und Macht vonnöten. Die vollständige Demokratisierung haben wir dann, wenn wir in unseren Unternehmen auch die Führung selbst wählen. Diesen Schritt werden auch in Zukunft nicht alle Unternehmen und Branchen gehen wollen oder können. Aber gerade in der IT sehen wir bereits einige Firmen, die die Demokratisierung der Führung in ihren Organisationen bereits schon sehr weit getrieben haben.

Wäre es also für viele Unternehmen sinnvoll, Hierarchien bewusst abzubauen?

Wenn wir den Anspruch an ein verstärktes Mass an Partizipation und Demokratisierung weiterdenken, dann müssen wir auch die Hierarchien verflachen. Ich glaube allerdings nicht, dass man Hierarchien komplett abbauen kann. Vielmehr werden zusätzlich und gleichwertig agile Organisationsformen eine hohe Bedeutung bekommen. Wir werden also ein intensives Zusammenspiel zwischen Agilität und Hierarchie erleben.

Braucht das Zukunftsunternehmen keinen Chef mehr?

Das kommt darauf an, wie wir den Chef definieren. Denken wir beim Chef an den Machtvollen «da oben», quasi die letzte Instanz, die alles entscheidet, dann wird es diesen Cheftyp immer weniger benötigen. Sicher noch beispielsweise bei der Feuerwehr und da, wo Entscheidungen schnell und klar getroffen werden müssen. Denken wir beim Chef aber mehr an einen Koordinator, der den Rahmen der Zusammenarbeit gestaltet, dann wird es diesen auch in Zukunft noch brauchen. Das ist dann aber nicht mehr der, der immer und überall sagt, wo es langgeht.

Partizipation bedeutet auch, dass Führungskräfte einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnisse abgeben müssen. Sind sie dafür überhaupt bereit?

Das ist eine sehr gute Frage. Es hängt davon ab, wie sie sich als Führungskraft definieren. Wenn sie zeitlebens darauf hingearbeitet haben, bestimmte Positionen und Privilegien zu erreichen, dann sind sie dazu sicher nicht bereit. Es gibt einfach einen bestimmten Teil von Führungskräften, die darauf einen sehr grossen Wert legen. Die kriegen sie nur geknackt, wenn sie erkennen, dass sie das an sie gestellt Anforderungsprofil gar nicht mehr alleine erfüllen können und darunter zusammenbrechen, beziehungsweise nicht mehr erfolgreich würden. Das könnte bei diesen Managern zum benötigten Erkenntniswandel führen. Anderseits spielt uns das Sozialisierungsmuster der jüngeren Generationen X und Y in die Karten. Work-Life-Balance spielt bei ihnen eine deutlich grössere Rolle als bei ihren Eltern. Oft haben sie auch gesehen, was die Führungskarrieren mit ihren Vätern – und ganz selten Müttern – gemacht haben und wollen das für ihr eigenes Leben vermeiden. Partizipation und Demokratisierung als neue Führungsprinzipien können für sie die Lösung sein, sich vor Burnouts und Herzinfarkt zu schützen.

Welche Rolle spielen dabei flexible und mobile Arbeitsmodelle?

Grundsätzlich hat die Digitalisierung die flexiblen und mobilen Arbeitsmodelle erst so richtig möglich gemacht. In diesem Sinne wirkt sie als der entscheidende Treiber. Zweitens gehören flexible und mobile Arbeitsmodelle und agile Organisationsformen eigentlich zusammen, sie sind gemeinsam entstanden und auch da wirken Flexibilität und Mobilität als Treiber. Und drittens sind die flexiblen und mobilen Arbeitsmodelle ein gutes Mittel für Unternehmen, die von ihren Mitarbeitern geforderte Balance zwischen Arbeits- und Privatwelt zu unterstützen und damit ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Für die Generation Y sind die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben fliessend. Ist diese Entwicklung begrüssenswert?

Ich glaube, die Grenzen müssen fliessend sein. Und sind wir mal ehrlich – niemand kann hier das Rad der Zeit zurückdrehen. Viel wichtiger scheint mir, dass die Führungskräfte mit klaren Regeln und Kompetenzen für die nötige Stabilität und vor allem ein gutes Ausbalancieren zwischen Arbeit und Privatem bei ihren Mitarbeitern sorgen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der fliessende Übergang auch Vorteile bringt. Unsere Zeitsouveränität und Zeitsynchronisation zwischen Arbeit und Privatem bekommen wir deutlich besser gemanaged. Ich stelle immer wieder fest, dass die Mitarbeiter sich insgesamt wohler fühlen und damit auch kreativer und produktiver werden.

Event-Hinweis

Jutta Rump spricht am Montag, 30. Januar, bei Focus on Future über "Zukunftsunternehmen brauchen keine Chefs mehr – Totales Chaos oder einziger Weg zum Überleben im Zeitalter des digitalen Wandels". Weitere Infos und Anmeldung unter focus-on-future.ch.

Zur Person

Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule Ludwigshafen. Sie ist zudem Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen IBE. Rump gehört seit 2007 zu den "40 führenden Köpfen des Personalwesens" (Zeitschrift Personalmagazin) und zu den 8 wichtigsten Professoren für Personalmanagement im deutschsprachigen Raum. Sie ist in zahlreichen Unternehmen als Projekt- und Prozessbegleiterin tätig.

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