Nachgefragt

Verwirrung um Banking-IT-Entwickler

Uhr | Updated
von Coen Kaat

Hat Temenos ein Büro in Zürich eröffnet? Musste Raiffeisen Avaloq aus der Patsche helfen? Zu den Schweizer Anbietern von Kernbankensoftware kursieren widersprüchliche Meldungen. Die Redaktion fühlte den Unternehmen den Puls.

Der Schweizer Markt für Kernbankensoftware wird von drei grossen Anbietern geprägt: Finnova, Temenos und Avaloq. Vor allem Avaloq hat in letzter Zeit für widersprüchliche Medienberichte gesorgt. So häuften sich vergangenes Jahr beim Unternehmen die Berichte über Entlassungen. Avaloq soll in einer Krise stecken, was laufende Projekte infrage stelle, wie etwa die neue IT-Plattform für Raiffeisen.

Zugleich befindet sich das Unternehmen nach eigenen Angaben auf einem Expansionskurs. Anfang des Monats hatte es etwa in Singapur ein neues Business-Process-Outsourcing-Zentrum eröffnet. Kurz darauf erwarb Avaloq die restlichen Anteile am BPO-Spezialisten B-Source. Die Redaktion warf daher einen genaueren Blick auf die jüngsten Geschehnisse in der Branche und fragte nach.

Finanzspritze für Avaloq

Anfang Dezember 2015 stieg Raiffeisen bei Avaloq ein. Die Bank erwarb 10 Prozent der Aktien des Softwareanbieters. Ein Ausbau der seit 2007 bestehenden Partnerschaft, wie Raiffeisen mitteilte. Es folgte sogleich ein Bericht von Inside Paradeplatz mit einem leicht anderen Ton als die offizielle Mitteilung. Laut dem Nachrichtenportal handelte es sich um eine bitter nötige Finanzspritze – aufgrund verzögerter Projekte und eines Mangels an Neuaufträgen. Gemäss einem weiteren Bericht der Website Ende Januar brauchte das Unternehmen auch einen Überbrückungskredit von der Credit Suisse.

Die Krise des Schweizer Softwareherstellers ist gemäss dem Nachrichtenportal mit einem deutlichen Personalabbau verbunden. Beim Softwareentwickler selbst will man davon nichts wissen. "Avaloq hat im Jahr 2015 rund 300 neue Mitarbeitende eingestellt. Derzeit sind in der Avaloq Gruppe rund 100 Stellen zu besetzen", sagt Andreas Petrosino, Communication Manager bei Avaloq, auf Anfrage. "Von einem Abbau kann keine Rede sein."

Die Gelder der Raiffeisenbank seien eine Investition in die Weiterentwicklung und Innovation bei Avaloq, sagte Franz Würth, Mediensprecher bei der Bank, auf Anfrage. Petrosino erklärt die Finanzierung mit der Umstellung des Unternehmens vom reinen Lizenzgeschäft auf Software-as-a-Service- und Business-Process-Outsourcing-Modelle (BPO).

"Das BPO-Geschäft ist ein Mietmodell", sagt er, "das heisst, den langfristig höheren Erträgen stehen zuerst einmal höhere Investitionskosten in die Infrastruktur, die Mitarbeitenden und den Betrieb der BPO-Zentren gegenüber."

Dialba-Ablösung verläuft nach Plan

Das gemeinsame Projekt "Rainbow" verläuft währenddessen gemäss beiden Unternehmen planmässig. Mit dem Migrationsprojekt will Raiffeisen seine in den 90er-Jahren eingeführte IT-Plattform Dialba-2000 ersetzen. "Das Projekt ist inhaltlich, zeitlich und finanziell auf Kurs", sagt Würth. "Wir werden 2017 komplett umstellen." Für die Umstellung kreierten die Unternehmen ein gemeinsames Joint Venture: Arizon. Die Tochter nahm Anfang 2015 ihren Betrieb auf. Gemäss Petrosino beschäftigt das Joint Venture mittlerweile 260 Mitarbeiter und hat – wie das Mutterunternehmen - "zahlreiche neue Stellen zu besetzen".

Dass sich die Ablösung so in die Länge ziehe, liege an der Komplexität des Projekts. "Arizon migriert 300 Raiffeisenbanken in der Schweiz, die heute sehr diverse IT-Architekturen aufweisen, auf eine neue Lösung aus einem Guss", sagt Petrosino. Dies involviere 8000 Benutzer und erfordere eine starke Governance. "Eine Lösung mit einer so grossen Zahl von Mandanten wurde bis heute noch nicht entwickelt", ergänzt Würth. Die Unternehmen wählten hierzu das sogenannte Human Centered Design. "Damit stellen wir sicher, dass alle Anwender in den über 1000 Raiffeisen-Filialen in der Schweiz das System intuitiv bedienen können", sagt Petrosino.

Der Zusammenarbeit mit Avaloq ging ein gescheitertes Projekt mit IBM voraus. IBMs Migrationsprojekt wurde im August 2013 sistiert – ein Jahr nach der Ankündigung. Es habe nicht die geplanten Resultate erbracht.

Temenos richtet Blick auf Heimmarkt

Der Schweizer Markt für Kernbankensoftware ist auch die Heimat eines unsichtbaren Riesen: Temenos. Das Genfer Unternehmen wurde 1993 gegründet. Mittlerweile unterhält es über 70 Niederlassungen in 40 Ländern. In der Deutschschweiz war Temenos hingegen lange Zeit kaum bekannt.

Dies änderte sich letztes Jahr: Temenos gewann im Februar 2015 Julius Bär als Kunden. Temenos scheint nun sein Augenmerk verstärkt auf die Schweiz zu richten. Dies geht auch aus einem Interview von inside-it.ch mit Ben Robinson, Chief Strategy & Marketing Officer bei Temenos, hervor. Demnach habe das Unternehmen kürzlich einen Standort in Zürich eröffnet – das erste Büro in der Deutschschweiz. Wie Robinson auf Anfrage der Redaktion mitteilt, befindet sich die Zürcher Niederlassung bisher lediglich in Planung und hat den Betrieb noch nicht aufgenommen. Näheres zu dem Unterfangen gab Temenos noch nicht bekannt.

Wie das Unternehmen der Redaktion ferner mitteilte, sieht es im Schweizer Markt für sich selbst nur wenig Neuland: Die meisten Banken setzen bereits auf Bankenlösungen von Drittanbietern. Der Entwickler wittert nach eigenen Angaben dennoch Marktchancen und will mit seinen Produkten einige dieser Lösungen ersetzen.

Anfang Februar meldete das Unternehmen ein starkes Umsatzwachstum. Im Geschäftsjahr 2015 stieg der Umsatz um mehr als 15 Prozent auf 542 Millionen US-Dollar. Der Gewinn schrumpfte hingegen um fast ein Drittel auf 66,3 Millionen Dollar. Gemäss Mitteilung verbuchte das Unternehmen höhere Ausgaben in allen Bereichen. Insbesondere die Kosten für den Bereich "Softwareentwicklung und Wartung" seien stark gestiegen. Von 106 Millionen auf 161 Millionen Dollar.

Der Marktführer wird deutsch

Im Schweizer Markt führend ist jedoch weder Avaloq noch Temenos, sondern Finnova. Laut dem "Handout Swiss Banking 2015" von Active Sourcing hielt das Unternehmen im vergangenen Jahr als Marktführer einen Anteil von 38 Prozent. Sechs der Top-10-Banken setzten auf eine Lösung aus dem Hause Finnova. Was die gemittelte Effizienz betrifft, hatten Banken, die auf Avaloq setzen, jedoch die Nase vorn. Gemäss der Marktanalyse verbesserten diese Banken ihre Cost-Income-Ratios im Schnitt um 8,6 Prozent im Jahresvergleich.

Im vergangenen Jahr baute Finnova nach eigenen Angaben seine Zusammenarbeit mit Swisscom aus. Seit April 2015 ist der Telko mit 9 Prozent an der Softwarefirma beteiligt. Zugleich wurde Marcel Walker, Leiter des Geschäftsbereichs Banking bei Swisscom, Mitglied des Finnova-Verwaltungsrats. Ebenfalls im April erhöhte MSG Systems seine Beteiligung auf 51,4 Prozent. Der deutsche IT-Berater und Systemintegrator ist somit neu Mehrheitseigner von Finnova.

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