Nachgefragt

Neue Strategie: Fujitsu setzt auf Service-Geschäft

Uhr | Updated
von Coen Kaat

Der japanische Technologiekonzern Fujitsu ändert seine Strategie, betrachtet das klassische Produktgeschäft aber weiterhin als eine wichtige Säule. Christian Leutner, Vice President & Head of Products Business CE & WEMEI bei Fujitsu, spricht im Interview über die aktuellen Entwicklungen und die daraus resultierenden Anforderungen an den Channel.

Christian Leutner, Vice President & Head of Products Business CE & WEMEI, Fujitsu
Christian Leutner, Vice President & Head of Products Business CE & WEMEI, Fujitsu

Fujitsu hat kürzlich den Umbau von Produkt- zum Lösungsanbieter angekündigt. Gibt Fujitsu damit auch das Channelmodell auf?

Christian Leutner: Das steht nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Fujitsu hat im letzten Jahr allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz über eine Millionen Euro in den Ausbau des Channels investiert. Mit Trainings und Zertifikaten werden Partner für die veränderten Kundenbedürfnisse fit gemacht; insbesondere bezüglich Cloud-Lösungen, integrierter Systeme, Virtual Client Computing, Mobilitätslösungen oder Sicherheit. Mehr als 80 Prozent unseres Produktumsatzes in diesen Ländern machen wir mit unseren Partnern. Der Channel ist und bleibt ein unverzichtbarer Teil unseres Vertriebs.

Aber das Channelgeschäft ist klassisch produktorientiert. Ist das nicht ein Widerspruch zur neuen Strategie von Fujitsu?

Um es klar zu sagen: Fujitsu steigt nicht aus dem Produktgeschäft aus. Wir werden auch weiterhin Hardware beziehungsweise klassische Infrastrukturlösungen im Portfolio haben; hier gibt es auch nach wie vor eine Nachfrage. Allerdings verlagert Fujitsu den Schwerpunkt bei der Strategie Richtung Servicegeschäft. Im Rahmen der digitalen Transformation ändern sich nicht nur Prozesse und technologische Grundlagen, sondern eben auch Geschäftsmodelle und Strategien. Das gilt für Fujitsu wie für den Channel und wer sich darauf nicht einstellt, wird es künftig schwer haben.

Ist die digitale Transformation für das Channelmodell also doch eher disruptiv und weniger eine Chance?

Digitalisierung ist für den Channel eine enorme Herausforderung – aber die Chancen überwiegen. Fujitsu braucht starke Partner mit Know-how und ihrer Nähe zu den Kunden. Digitalisierung ist das Zeitalter des "WIR". Niemand, Fujitsu nicht, keiner unserer Partner, kein Kunde kann zukünftig Lösungen allein auf die Beine stellen. Aus dieser Einsicht heraus haben wir das Konzept der "Co-Creation" entwickelt. Vereinfacht erklärt: Kunden kennen ihre Geschäftsprozesse, der Partner kennt den Kunden und dessen Bedürfnisse – Fujitsu liefert die innovative technische Basis. Gemeinsam wird daraus die spezifische Lösung entwickelt. Ein Beispiel hierfür ist unser Schweizer Partner BWO Systems. Von Fujitsu kam die Security-Entwicklung Palmsecure, ein Infrarot-Handvenenscanner. BWO machte daraus die spezifischen Lösungen für den professionellen und privaten Gebrauch. Das Ergebnis sind beispielsweise die sichere Zutrittskontrolle zu Firmengebäuden und -räumen, zu Briefkästen oder Garagen, zu Privathäusern oder auch die Vergabe von Rechten innerhalb von IT-Infrastrukturen.

Was unternimmt Fujitsu ausserdem, um den Channel digital fit zu machen?

Hier nur zwei Beispiele: Um Partner intensiv zu unterstützen, haben wir zusätzlich zu unserem Select-Partnerprogramm ein EMEIA-weites Programm für Serviceprovider, Dienstleister und Partner etabliert. Damit unterstützen wir Unternehmen dabei, ihren Fokus auf einen kunden­orientierten "IT-as-a-Service"-Ansatz zu erweitern und ihre Geschäftsmodelle zukunftsfähig auszurichten. In München wurde zudem ein Digital Transformation Center eröffnet, wo Partner mit ihren Kunden und Spezialisten von Fujitsu gemeinsam Lösungen erarbeiten können.

Sie sprachen von einer "Nachfrage" im Produktgeschäft. Welche Entwicklungen beobachten Sie?

Es gibt einen generellen Trend zu grossen und weitgehend automatisierten Rechenzentren. Zentrale Anforderungen sind hochperformante Server- und Storage-Technologien, hyperkonvergente Lösungen und Sicherheit. Ohne sehr leistungsfähige Infrastrukturen sind Technologien wie künstliche Intelligenz, Big Data oder Cloud Computing nicht realisierbar. Auch Finanzierungslösungen und Storage on Demand spielen eine Rolle, damit Kunden nicht in die sogenannte Kapitalbindungsfalle laufen. On- und Off-Premise-Architekturen sind gefragt. Das ultramobile Segment wächst bei den Endgeräten enorm.

Welche Zielgruppen hat Fujitsu mit der neuen Strategie im Blick?

Für uns ist elementar, dass neue Technologien nicht nur für Grossunternehmen verfügbar und bezahlbar sind. Das gilt insbesondere in Ländern wie der Schweiz, in denen es einen starken KMU-Sektor gibt. Viele KMUs sind zwar hochgradig innovativ – aber ihre (IT-)Ressourcen sind limitiert. Insbesondere solche Unternehmen arbeiten häufig mit unseren Channelpartnern vor Ort zusammen. Daher ist es ein wesentlicher Anspruch von Fujitsu, Technologien wie beispielsweise künstliche Intelligenz auch als mittelstands- und channelgerechte Angebote verfügbar zu machen.

Können Sie Beispiele nennen?

Unsere FAIR-Lösung, das bedeutet Fujitsu Advanced Image Recognition: Diese Software für automatische, optische Qualitätssicherung bietet gerade mittelständischen Kunden enorme Vorteile, da sie mit einem vortrainierten neuronalen Netzwerk geliefert wird, eine einfach zu nutzende Bedieneroberfläche hat, nicht extra programmiert werden muss und daher für den sofortigen Einsatz parat ist. Normalerweise müssen zehntausende von Bildern eingelesen werden, um eine solche KI mit ihrem Algorithmus zu trainieren. FAIR benötigt nur noch 70 bis 100 Bilder. Das vereinfacht und beschleunigt den praktischen Einsatz enorm. Ein anderes Beispiel ist unsere durch Quantencomputing inspirierte Architektur Digital Annealer. Die Verarbeitungsleistung der Lösung ist bei kombinatorischen Optimierungsproblemen in Bereichen wie der Chemie, Energieerzeugung, Logistik oder Vermögensverwaltung bis zu 17 000 Mal schneller als herkömmliche Prozessoren. Da wir die Lösung als Cloud-Service anbieten, ist die Einstiegshürde auch für Mittelständler verhältnismäs­sig gering.

Was meinen Sie mit "durch Quantencomputing inspiriert"?

Echte Quantencomputer für den normalen Betrieb gibt es noch nicht. Ob sie angesichts der immensen Anforderung an Kühlung (nahe am absoluten Nullpunkt) und Abschirmung vor elektromagnetischer Strahlung so verbreitet sein werden wie heutzutage PCs oder Standardserver, ist nicht abzusehen. Aber sie werden in einigen Jahren für bestimmte Einsatzbereiche durchaus Relevanz erlangen. Mit Digital Annealer hat Fujitsu bereits heute eine Architektur verfügbar, die nach dem Vorbild von bestimmten Quantenprozessen arbeitet. Sie nutzt einen vom Quanten-Tunnel-Effekt inspirierten Simulationseffekt: das Annealing. Ein zu lösendes Problem wird durch Parallelisierung aufgeteilt und in den einzelnen Threads weitgehend simultan bewertet. Dieser Vorgang wird in hoher Anzahl viele Male wiederholt. Gesucht wird das vorher nicht bekannte Optimum eines Wertefelds. Salopp formuliert: Digital Annealer rechnet nicht in einem Durchgang das exakte Ergebnis aus, sondern nähert sich in vielen Berechnungen dem besten Wert an.

Gibt es schon Kunden für Digital Annealer?

Ja, beispielsweise im Finanzbereich: Digital Annealer unterstützt das britische Finanzinstitut Natwest dabei, hoch komplexe, anspruchsvolle und zeitkritische Aufgaben im Bereich der Finanzinvestitionen zu bewältigen. Die Bank nutzt die Fähigkeiten der Architektur, um den Bestand an hochwertigen liquiden Vermögenswerten zu optimieren, einschliesslich Bonds, Bargeld und Staatsanleihen.

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