Porträt

"Die Cloud ist heute unser Flaggschiff"

Uhr | Updated

In Lyss nahe Biel gibt es eine Firma, die sehr früh den Weg ins Internet und anschliessend in die Cloud beschritten hat. Heute bietet sie allerhand IT-Services, ausschliesslich gehostet in der Schweiz.

Es ist das Jahr 1996. Weltweit nutzen etwa 10 Millionen Menschen aktiv das Internet. Sie surfen auf knapp 260 000 ­Websites. 35 Millionen Menschen verschicken E-Mails. Die Brüder Yves und Guy Zürcher sehen schon damals mehr. Sie sehen die Zukunft, die das Internet bereithält. Die beiden gründen eine Webagentur in ihrem Heimatort Ipsach im Kanton Bern. Raptus taufen sie die Firma.

Dieses Jahr, 2016, feiern die Brüder das 20-jährige Bestehen ihres Unternehmens. Knapp 30 Mitarbeiter beschäftigen sie heute. Die entwerfen und betreuen aber schon lange nicht mehr nur Websites. Etwa zehn von ihnen virtualisieren Server, sichern Daten, hosten selbstentwickelte Cloud-Dienste. Alles in Rechenzentren in der Schweiz. In Zürich und in Basel.

Die Rechenzentren gehören nicht Raptus. Hardware interessiert die Brüder nur noch am Rande. "Wir kümmern uns um alles ab dem Betriebssystem der Server", sagt Guy Zürcher. Die Hardware sei primär Sache des RZ-Betreibers Metanet. Bald könnte ein weiterer Anbieter dazukommen. "Wir überlegen derzeit, Swisscom-Partner zu werden."

Guy Zürcher sitzt am Kopfende eines langen, weissen Tisches in einem Konferenzraum. Er trägt Pullover und Jeans. Am anderen Ende des Tisches, in der Ecke, lehnen drei goldene Bojen. Trophäen. Gewonnen an vergangenen Ausgaben der Best of Swiss Web Awards. Die Wand hinter Zürcher ist aus Glas, gibt den Blick frei auf hellen Dielenboden und einen Kickertisch. Neben Zürcher sitzt Luc Février. Er leitet die IT-Services und das Hosting. Auch er trägt Pullover und Jeans.

Früh auf Cloud vorbereitet

Zürcher lehnt sich zurück, gibt Février das Wort. "Unterhalt und Wartung von Hardware sind nicht unsere Kerngebiete", sagt Février. "Wir bieten das aber nach wie vor an." Es sei jedoch nicht der Fokus, den sie setzen wollten. Welchen Fokus setzen sie stattdessen?

Vor etwa acht Jahren begann Raptus, sich auf die Cloud vorzubereiten. "Wir wollten uns nicht in einer Situation wiederfinden, wo wir nur ein paar PCs liefern und E-Mails konfigurieren dürfen", sagt Zürcher. "Wir wollten mitmischen." Sie vermieteten virtuelle Server und Infrastrukturen an erste Kunden. Früher als viele ihrer Konkurrenten in der Region, wie Zürcher sagt. Mit Erfolg. "Die Cloud ist heute unser Flaggschiffprodukt."

Es gebe zwar noch Kunden, die nicht in die Cloud wollten. Aber die klassische IT beim Kunden vor Ort werde immer seltener. Letztlich sei es eine Frage der Philosophie, sagt Février. Eine Frage, die in der Schweiz weniger gestellt werde. Nicht so selten wie in Deutschland oder in den USA, aber es finde ein Umdenken statt. Wer sind diese Kunden, die umdenken und sich in die Cloud wagen? "Hauptsächlich KMUs", sagt Février. Der ein oder andere grössere Kunde sei schon dabei, aber kleine und mittlere Unternehmen stünden im Fokus. 

Welche Probleme treiben diese Kunden um? "Es sind keine Probleme", sagt Février. "Ihre Anforderungen haben sich geändert." Die Menschen seien mehr unterwegs. Sie würden von Zuhause und unterwegs arbeiten wollen. Vor allem aber würden sie nach mehr Sicherheit verlangen … Zürcher unterbricht Février. "Die KMUs haben heute die gleichen Anforderungen an die IT wie grössere Unternehmen vor 20 Jahren", sagt Zürcher. Ausfallsicherheit, Stabilität, Datensicherheit und Geschwindigkeit. Selbst ein Einzelbetrieb mit nur einer Person verlange das. Février nickt.

Persönlicher Kundenkontakt wichtig

"Unsere Kunden wissen heute viel mehr über die Technologien und die Möglichkeiten, die sie haben", sagt Février. Das Vorwissen und die Anforderungen variieren dennoch von Kunde zu Kunde. Einige kämen mit einem ausformulierten Anforderungskatalog, andere hätten eher schwammige Vorstellungen. Bei solchen Kunden sei es dann die Aufgabe von Raptus, diese Vorstellungen zu präzisieren und zusammen mit den Kunden eine Lösung zu finden, sagt Février. "Einer unserer Grundpfeiler ist der persönliche Kontakt", sagt Zürcher. Vertrauen sei enorm wichtig in der IT. Das müsse man möglichst früh aufbauen. "Wir versuchen immer, den Kunden zu uns zu bringen oder zu ihm zu gehen." Im Cloud-Geschäft sei die Anonymität, das Unpersönliche der IT, sehr schwierig. Zürcher und sein Team stellen deshalb den Kunden ins Zentrum.

Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit Partnern. Raptus ist die zentrale Anlaufstelle. Für alles. Selbst für Systeme, die Partner liefern. Zürcher will das "Ping-Pong-Spiel" zwischen seinen Kunden, ihm und den Lieferanten vermeiden. Hat ein Kunde ein Problem, dann soll er sich bei seinem Ansprechpartner von Raptus melden. Der schicke ihn dann nicht weiter, sondern frage selbst nach und löse das Problem.

Kostet das den Kunden etwas? "Ja", sagt Zürcher. "Aber das ist eine Dienstleistung, die unsere Kunden gern in Anspruch nehmen." Das scheint zu funktionieren. Raptus macht laut Zürcher 99 Prozent seines Umsatzes mit Service und Dienstleistungen. Hardware verkauft Raptus immer weniger. Und wenn doch, dann mit einer sehr geringen Marge. Höhere Margen seien ohnehin kaum möglich. "Es ist nicht unser Ziel, mit Hardware Geld zu verdienen", sagt Février. 

"Da wir nicht mehr von der Hardware abhängig sind, entstehen ganz neue Möglichkeiten", sagt Zürcher. Wie sehen diese Möglichkeiten aus? Klassische Desktop-Virtualisierung, komplette Serverumgebungen, Webhosting, Shop-­Lösungen, Back-up-as-a-Service. Die Back-up-Lösung ist eine Eigenentwicklung. Sie basiere auf Linux, sagt Zürcher. Die Verwaltung des Service sei aber inzwischen zu aufwändig geworden. "Wir haben jetzt auf Ahsay umgestellt", sagt Février. Sechs Monate lang habe das Team von Raptus die Lösung des chinesischen Anbieters getestet. "Jetzt wollen wir alle bestehenden Kunden auf das neue System migrieren." Die Daten landen dabei ausschliesslich auf Servern in der Schweiz, sagt Février. Raptus bietet ausserdem einen Exchange-Ersatz auf Linux-Basis. Kerio heisst die Lösung. Im Gegensatz zu Microsofts Exchange-Lösungen laufe Kerio zu 100 Prozent auf Schweizer Servern.

Grossunternehmen locken gute Fachkräfte mit Riesenlöhnen

Zürcher und Février sind trotz allem nicht sorgenfrei. Für sie sei es schwer, gutes Personal zu finden. Als KMU könnten sie ihren Mitarbeitern nicht die gleichen Bedingungen bieten wie grössere Firmen. Die würden sich die besten Fachkräfte im Markt herauspicken und sie mit hohen Löhnen locken, sagt Février. "Es ist ein Kreislauf, der mir ganz und gar nicht passt", sagt Zürcher. Ein 22-Jähriger ohne Erfahrung bekomme 7000 oder 8000 Franken. Das könne für die Branche nicht gesund sein. Aber so laufe es nun einmal und man müsse sich eben anders abgrenzen. Zürcher zeigt auf den Kickertisch hinter der Glaswand. "Wir versuchen, ein familiäres Umfeld zu bieten", sagt er. "Wir helfen uns untereinander. Wir bilden selbst aus und hoffen, dass sie bleiben." Der Fachkräftemangel ist aber nicht das einzige, das ihn wurmt.

Die Cloud und ihre Möglichkeiten seien toll. Doch Zürcher spürt wachsenden Preisdruck. Er sieht einen Kampf aufziehen. Einen Kampf, dem der Vorteil des Standorts Schweiz zum Opfer fallen könnte. "Dann hätten wir und etliche andere Anbieter massive Probleme", sagt Zürcher. Unter welchen Umständen könnte der Vorteil wegfallen? "Wenn etwa Microsoft seine Ankündigung umsetzt und Azure in der Schweiz hostet", sagt er. Wenn Microsoft für seine Cloud in der Schweiz die gleichen Preise aufrufe wie heute, dann müssten sich einige sehr warm anziehen. Der Standortvorteil sei auch dann bedroht, wenn sich ausländische Unternehmen in den Schweizer Markt einkaufen würden, sagt Février. Dazu komme der Generationenwechsel. In zehn oder fünfzehn Jahren würden andere Menschen in den Geschäftsleitungen der Unternehmen sitzen als heute. Menschen, die mit einer anderen Philosophie aufgewachsen seien. Denen es vielleicht nicht so wichtig sei, dass ihre Daten in der Schweiz lagerten. "Das wird ziemlich einschlagen", sagt Février.

Webcode
6689