Vis-à-vis

"Ich will alte Zöpfe abschneiden"

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von Coen Kaat

Seit Anfang August hat Ingram Micro einen neuen Senior Managing Director für die Schweiz: Benno Schlumpf. Im Interview spricht er über seine ersten Monate im Amt, über seine Pläne für das Unternehmen und über die Übernahme durch Tianjin Tianhai.

Benno Schlumpf, Senior Managing Director von Ingram Micro Schweiz. (Quelle: Netzmedien)
Benno Schlumpf, Senior Managing Director von Ingram Micro Schweiz. (Quelle: Netzmedien)

Sie sind jetzt seit rund 100 Tagen im Amt als Senior Managing Director von Ingram Micro Schweiz. Wie ist es ­Ihnen in dieser Zeit ergangen?

Benno Schlumpf: Ich bin seit rund 20 Jahren im Distributionsgeschäft tätig. In den letzten sechs Jahren habe ich zusammen mit einem tollen Team das Value-Geschäft bei Ingram Micro aufbauen dürfen. Zwischen 1998 und 2002 war ich schon mal bei Ingram. Ich kenne also das Unternehmen und ich kenne die Branche. Für mich war es daher keine Revolution, sondern eher eine Evolution. Ich habe nur manchmal ein wenig Mühe, meine alte Rolle abzulegen.

Was heisst das genau?

Ich muss mich manchmal an der Nase nehmen und mich daran erinnern, nachzusehen, was ausserhalb des Value-Geschäfts in den anderen Abteilungen läuft. Von meiner vorherigen Position loszulassen, fiel mir aber nicht schwer. In den letzten vier Jahren konnte ich André Koitzsch als meinen Stellvertreter und Nachfolger positionieren. Mit ihm kann ich wirklich auf Augenhöhe über Value-Themen sprechen. Der Wechsel zu ihm verlief daher auch problemlos. Er kam einfach sehr viel schneller als wir beide dachten.

Wieso kam es denn so plötzlich?

Das war bedingt durch den Abgang meines Vorgängers, Thomas Maurer. Es war ein einvernehmlicher Wechsel, aber es ging einfach sehr schnell. Ich hatte nie Ambitionen, Maurers Nachfolge anzutreten. Als ich gefragt wurde, ob ich den Job übernehmen wolle, musste ich erst einmal darüber schlafen. So eine Entscheidung muss man gut überdenken. Nach ein paar Tagen sagte ich schliesslich zu. Denn mir liegt die Kontinuität des Unternehmens sehr am Herzen.

Wie meinen Sie das?

Für mich war es eine logische Weiterentwicklung. Nicht für meine Person, sondern für das Unternehmen und vor allem für das Team. In den letzten Jahren gab es an einigen Schlüsselstellen den einen oder anderen Wechsel. So kamen neue Personen in das Unternehmen mit neuen Ideen, und die auch neue Themen einbrachten. Es ist mir sehr wichtig, dass wir diese Ideen weiterverfolgen. Ich bin davon überzeugt, dass ich diesen Prozess unterstützen kann. Für mich war das der ausschlaggebende Faktor, die Führung zu übernehmen.

Was war Ihre erste Amtshandlung als Chef?

Das weiss ich schon nicht mehr. Aber es war bestimmt nichts Spektakuläres. Ingram Micro ist eine stabile Firma. Unsere Strukturen sind etabliert, unsere Prozesse laufen. Als ich die Leitung übernahm, gab es keine wirklichen Krisenherde und folglich auch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Ich bin ja auch kein Haudegen, der einfach reinschlägt und schnelle, radikale Veränderungen vornehmen will.

Was wollen Sie konkret ändern?

Wir planen vor allem bereichsübergreifende Massnahmen. Diese sollen die einzelnen Abteilungen näher zusammenbringen. So sollen sie auch vermehrt zusammenarbeiten. Damit meine ich nicht nur Sales und Marketing, sondern etwa auch Finance und Operations. Da war früher teilweise noch ein Abteilungsdenken vorhanden. Diese Massnahmen laufen aber über das ganze Jahr 2017 und darüber hinaus. Zudem will ich alte Zöpfe abschneiden und der Aussage "das haben wir immer so getan" den Garaus machen.


Wohin wird die Reise nun gehen mit Ihnen am Steuer?

Die Frage ist eher: Wohin geht die Reise von Ingram Micro? Für mich ist es ein Privileg, das Unternehmen in dieser spannenden Phase anzuführen. Ingram Micro war früher ein Volumendistributor. Mit der Übernahme von Brightpoint stiegen wir in das Handy-Business ein. Parallel dazu bauten wir das Value-Geschäft auf. Diese drei Geschäftsfelder fassen wir heute zusammen zum Bereich "Core Technology Solutions". Und dieser bildet nur noch einer von vier Stützpfeilern des Unternehmens.

Was sind die anderen Stützpfeiler?

Neben den "Core Technology Solutions" steht Ingram Micro nun auf drei weiteren Beinen: Lifecycle-Services, Commerce & Fulfillment Solutions und die Cloud-Services. Bei Lifecycle-Services geht es nicht nur um Smartphones, sondern um den Lebenszyklus von Produkten. Das deckt alles vom Kauf, der Aktivierung, über die Reparatur bis zur Wiederaufbereitung ab. Unter dem Stichwort Commerce & Fulfillment übernehmen wir logistische Aufgaben für unsere Kunden, wie etwa das Retourenmanagement. Diese vier Pfeiler auch in der Schweiz aufzubauen und auszurollen, macht meine Aufgabe so spannend.

Woher kommt die Expertise für diese neuen Strukturen?

In den letzten fünf Jahren haben wir weltweit etwa 30 Unternehmen mit einem Gesamtwert von rund 2 Milliarden US-Dollar übernommen. Mit diesen Akquisitionen stärken wir unsere Organisation. Da gehen wir sehr pragmatisch vor. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, ergreifen wir sie.

Obwohl Ingram Micro gerade übernommen wird, übernehmen Sie weiterhin andere Unternehmen?

Das Tempo hat jetzt zwar abgenommen. Aber das wird sich wieder ändern. Tianjin Tianhai will uns nicht kaufen, um uns möglichst schnell wieder zu veräussern. Ich gehe davon aus, dass sie uns anschliessend die nötigen Mittel zur Verfügung stellen werden, mit denen wir unseren bisherigen Expansionskurs fortsetzen können. Daher begrüsse ich diesen Schritt sehr.

Im November wurde die Übernahme durch Tianjin Tianhai erneut verschoben. Steht die Akquisition auf wackligen Beinen?

Rund um dieses Thema kursierten einige Falschmeldungen in gewissen Medien. Der Termin wurde verschoben, das stimmt. Aber wir hatten schon bei der Ankündigung der Übernahme mitgeteilt, dass sie im zweiten Halbjahr 2016 abgeschlossen sein werde. Jetzt haben wir das Datum auf Mitte Dezember gelegt. Damit liegen wir aber noch immer im ursprünglichen Zeitplan. Die Verzögerungen hängen mit dem Einverständnis der zuständigen Behörden zusammen. Wir haben zwar bereits die Zusage vom Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS). Die Zusage der chinesischen Behörden fehlt jedoch noch.

Wie wird sich die Übernahme auf die Kunden und Partner in der Schweiz auswirken?

Für die Partner und Kunden wird sich nichts ändern. Wir werden also auch unter der neuen chinesischen Mutter in der gleichen Aufstellung weiterarbeiten. Unsere Situation ist vergleichbar mit der von Swissport letztes Jahr. 2015 hat die Unternehmensgruppe HNA, zu der auch Tianjin Tianhai gehört, das Unternehmen vollumfänglich übernommen. Swissport operiert aber weiterhin selbstständig. HNA tauschte nicht plötzlich das Management aus und stellte die Firma unter ein chinesisches Regime.

Sie müssen jetzt also nicht noch rasch Chinesisch lernen?

Hoffentlich nicht. Das würde ich zwar gern, aber ich glaube nicht, dass ich es schaffen würde.

Was wird 2017 auf die Schweizer Partner zukommen?

Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sagen ein Wirtschaftswachstum von etwas unter 2 Prozent voraus. Der Marktforscher IDC hingegen sagt, dass der IT-Markt in der Schweiz etwa ebenso stark schrumpft. Es wird zwar mehr investiert, aber der Markt reduziert sich trotzdem. Für viele Partner wird das zu einer echten Herausforderung, denn der Konkurrenzkampf wird sich verschärfen. Dieser wird in erster Linie über den Preis ausgetragen. Wir sprechen zwar schon seit Jahren über Konsolidierungen, aber jetzt sind sie deutlich sichtbar – und sie betreffen alle Glieder der Kette. Von Herstellern wie EMC und Dell über Distributoren wie Tech Data und Avnet bis hin zu Resellern wie Bechtle und Steffen Informatik. Über diese gros­sen Geschichten lesen wir in den Medien. Aber daneben gibt es noch ganz viele kleinere Geschichten, die man nicht hört.

Wie sollen Unternehmen darauf reagieren?

Wenn man sich fokussiert und spezialisiert, kann man sich weiterhin auf dem Markt behaupten. Dazu muss man aber zunächst die Bereiche aufgeben, in denen man nicht so daheim ist. Früher dachte man noch, man müsse alles anbieten und den Markt komplett abdecken. Aber das ist heutzutage schlicht nicht mehr möglich. Den Trend zu Spezialisierungen fördern auch die Hersteller. Sie fordern Ausbildungen und Zertifikate von ihren Partnern. Langfristig werden vor allem die Partner überleben, die in den richtigen Themen investieren.

Das klingt recht düster.

Wir haben auch Partner, denen es wirklich gutgeht. Diese Unternehmen haben ihr Geschäftsmodell konsequent auf die Bedürfnisse ihrer Endkunden ausgerichtet. Das klingt zwar abgegriffen, aber so selbstverständlich ist das nicht. Denn damit sind auch grosse Investitionen in Ausbildungen und Infrastruktur verbunden. Wenn man aber eine grosse Mannschaft beschäftigt und bisher vor allem von Volumen und Handel gelebt hat, steht man heute vor einer grossen Herausforderung.

Wie lange wird es den Channel noch geben?

Auch die grossen Hersteller fühlen den Kostendruck. Sie können sich keine grossen Vertriebsorganisationen mehr leisten. Deshalb benötigen sie den Channel. Insbesondere in einem KMU-Land wie der Schweiz. So wird es auch bleiben. In gewissen Bereichen gehen die Hersteller vielleicht direkt auf den Endkunden zu. Aber in der Regel nur wenn das Produkt selbsterklärend ist und keine Zwischenstufen mit zusätzlichem Value-add erfordert. Mit eigenen Services können die Partner den Handel unterstützen und sich auf dem Markt diversifizieren.

Ist das auch der Grund, wieso Ingram Micro einen Cloud-Marktplatz aufgebaut hat?

In der Cloud ist zwar nicht alles Gold, was glänzt, aber das ist ein Thema, das wir einfach abdecken mussten. Das haben wir frühzeitig erkannt und investierten einen schönen dreistelligen Millionenbetrag, um einen eigenen Marktplatz aufzubauen. Das Geld floss vor allem in die Akquisitionen von Odin und Ensim.

Ingram Micros Schweizer Cloud-Marktplatz feierte soeben seinen ersten Geburtstag. Wie verlief das erste Jahr?

Die Plattform ist sehr erfolgreich gestartet. Sie konnte sich etablieren und wir haben auch schon einige neue Services hinzugefügt. Zuletzt etwa Microsoft Azure und Dropbox for Business. Letzteres ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Das bieten wir exklusiv an.

Wie viele Partner nutzen den Cloud-Marktplatz mittlerweile?

Die genaue Anzahl Partner nennen wir nicht. Was wir aber sagen können ist, dass diese konstant wächst. Die Partner, die sich registriert haben, decken von gross bis klein alles ab. Darunter finden sich auch Born-in-the-Cloud-Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell konsequent auf die Cloud ausgerichtet haben. Andere Partner wiederum wollten wohl nur mal sehen, wie die Cloud funktioniert. Aber mehr als die Hälfte der registrierten Partner nutzen den Marktplatz aktiv. Das heisst, sie kaufen nicht nur Cloud-Dienstleistungen, sondern verwalten sie auch aktiv über das Portal.

Wie sieht das Feedback der Partner aus?

Unsere Partner schätzen vor allem die effiziente Provisionierung. Das dauert bei uns höchstens eine halbe Stunde. Sie schätzen die Flexibilität der Plattform. Der Partner kann seine Dienstleistungen laufend an die Bedürfnisse seiner Kunden anpassen – auch an einem Sonntag. Für uns ist zudem das Thema Single-Sign-on wichtig. Partner müssen sich nur einmal anmelden und müssen sich nicht mehrere Passwörter für verschiedene Portale und Systeme merken.

Das klingt alles sehr positiv. Gab es keine Kritik von den ­Partnern?

Wir werden oft mit dem direkten Mitbewerb verglichen. Deren Marktplätze haben mehr Services im Angebot. Das sind zum Teil auch lokale. Bei Ingram Micro dauert dies einfach länger, da in unseren Plattformen alles vollautomatisch integriert wird. Zudem bieten wir Cloud-Dienste nur mit Support an und müssen diesen natürlich zunächst aufbauen. Ingram Micro Schweiz fügt selbst keine Services zum Angebot hinzu. Diese Entscheidungen werden zentral gefällt. Wer am lautesten ruft und natürlich entsprechendes Potenzial aufzeigt, steht auf der Prioritätenliste ganz vorne. Ein lokaler Schweizer Service hat es da sehr viel schwerer.

Sie haben keinen Einfluss auf das Angebot im Schweizer Cloud-Marktplatz?

Doch, den haben wir. Wir haben im Cloud-Bereich eine DACH-Organisation. Diese kann unseren Standpunkt mit mehr Gewicht vertreten. Wir können aber auch jederzeit einen Cloud-Service auf die traditionelle Weise anbieten. Der ist dann einfach nicht über den Marktplatz erhältlich.

Sie haben keinen Einfluss auf das Angebot im Schweizer Cloud-Marktplatz?

Doch, den haben wir. Wir haben im Cloud-Bereich eine DACH-Organisation. Diese kann unseren Standpunkt mit mehr Gewicht vertreten. Wir können aber auch jederzeit einen Cloud-Service auf die traditionelle Weise anbieten. Der ist dann einfach nicht über den Marktplatz erhältlich.

Wie werden Sie den Marktplatz nächstes Jahr ausbauen?

Im ersten Jahr ging es darum, den Marktplatz auszurollen. Jetzt wollen wir das Angebot in der Tiefe verbessern. Es werden also sicher neue Services hinzukommen – etwa im Bereich Security. Wir werden auch unser Microsoft-Angebot ausbauen und neue Services in den Bereichen Windows Enterprise und Dynamics 365 hinzufügen. Wir wollen aber auch die Benutzeroberfläche noch intuitiver gestalten.

Letztes Jahr hat Ingram Micro ein europäisches Kompetenzzentrum für 3-D-Druck aufgebaut. Ist das auch in der Schweiz ein Thema?

Wir haben zwar dedizierte Personen auf das Thema angesetzt und arbeiten auch schon mit ersten Partnern zusammen. Für einen grossen Disti wie uns ist es aber noch zu früh, um da flächendeckend mitzumischen. Der 3-D-Druck ist noch immer eine Marktnische, die in den Kinderschuhen steckt. Trotzdem ist das Thema bereits sehr ressourcenintensiv. Es erfordert enorm viel Investitionen und einen hohen Fokus, um es wirklich in den Griff zu kriegen. Wir werden erst mit grossem Engagement in das Thema einsteigen, wenn wir auch Volumen generieren können.

Wie lautet Ihre persönliche Botschaft an den Channel?

Wenn ihr auf mich hört, wird alles gut! Nein, Scherz beiseite. Unternehmen sollten sich auf ihre Stärken konzentrieren und nicht versuchen, möglichst alles abzudecken. Wenn einem eine Kompetenz fehlt, sollte man nicht krampfhaft versuchen, diese selbst aufzubauen, sondern sich stattdessen einen geeigneten Partner suchen. So machen wir es auch. Und anders ist es in der heutigen Wirtschaftslage gar nicht mehr möglich.

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