XaaS

Vom Ende des Besitzes – wie Abomodelle die Wirtschaft umkrempeln

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von Sandro Morghen, Senior Experience Designer bei der Digitalagentur Nexum in der Schweiz

Das Bedürfnis, Sachen nicht mehr zu besitzen, sondern nur noch zu nutzen, verändert schleichend die Grundlagen des wirtschaftlichen Zusammenlebens. Während die produzierende Industrie verzweifelt nach alternativen Geschäftsmodellen sucht, verändern digitale Pioniere ganze Märkte.

Aufmerksamen Zeitgenossen ist vielleicht aufgefallen, dass auf den Strassen die Zahl der Sportwagen klingender Marken wie Lamborghini oder Ferrari zugenommen hat. Das mag zwar mit der gestiegenen Millionärsdichte zusammenhängen, gänzlich lässt sich die Lambo-Schwemme damit jedoch nicht erklären. Denn: Luxusauto-Vermietungen boomen. Für wenig Geld kommen Normalsterbliche in den Genuss, sich einmal hinter das Steuer eines Luxusboliden zu setzen und dabei die neidischen Blicke auf sich zu ziehen. Das Beispiel macht deutlich, was Nutzungsmodelle leisten können: Sie erlauben es uns, "grösser" zu erscheinen als wir in Wirklichkeit vielleicht sind.

Software-Vermietung als Start-up-Booster

Auch für Unternehmen nimmt die besitzlose Nutzung einen immer höheren Stellenwert ein. Denn noch vor nicht allzu langer Zeit galt: Wer mit einer digitalen Businessidee durchstarten wollte, kam um aufwendige Investitionen in Server-Hardware und komplizierte Individualsoftware nicht herum.

So passt es auch, dass mit dem Aufkommen der Start-up-Wirtschaft vor etwa 15 Jahren auch Software-as-a-Service-Anbieter (kurz SaaS) ihren Siegeszug antraten. Das Versprechen ist verlockend: Anstatt Kapital, das dringend für Aufbau und Wachstum benötigt wird, in teure IT-Infrastruktur und massgeschneiderte Software zu stecken, nutzen Unternehmen standardisierte respektive einfach individualisierbare Software zu einem monatlichen oder jährlichen Abopreis.

Angefangen hat alles mit dem Webhosting-Service, dem SaaS-Klassiker schlechthin. Schon als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, wurde schnell klar, dass sich eigene Webserver nur für wenige Unternehmen lohnen würden. So ruht mittlerweile gefühlt das halbe sichtbare Internet auf Amazon-Servern, Unkenrufen nach Datenschutz und inländischem Hosting zum Trotz.

Von SaaS zu XaaS

Ob Tools fürs CRM, zur Personalverwaltung, für den Betrieb eines Onlineshops, Design, Umfragen, interne Kommunikation oder gar komplexe mathematische Berechnungen: Unternehmen steht heute eine bunte Auswahl der unterschiedlichsten IT-Servicedienste auf Nutzungsbasis zur Auswahl. Mit ihnen lässt sich jeder denkbare Geschäftsvorgang mit Profisoftware auf Knopfdruck und zu bezahlbaren Monatstarifen abdecken. In diesem Zusammenhang hat sich auch der Begriff "XaaS" (Anything-as-a-Service") durchgesetzt. Er soll die Vielfalt der angebotenen Dienstepalette zum Ausdruck bringen und beinhaltet IT-Services wie "Data-as-a-Service", "Identity-as-a-Service", "Database-as-a-Service" und "Backup-as-a-Service", um nur einige zu nennen.

XaaS-Produkte haben sich mittlerweile zu echten Tragpfeilern der Digitalisierung entwickelt. Denn: Mit der richtigen Idee ist das Risiko, an Implementierungsfragen zu scheitern, zwar nicht verschwunden, aber doch deutlich reduziert. Das befeuert die Innovationsfreude etablierter Unternehmen und bereitet den Boden für Start-ups mit immer kreativeren Serviceversprechen und raffinierteren Geschäftsmodellen.

Düsentriebwerke im Abo, Kühlung als Service

Längst beschränken sich Servicemodelle nicht mehr nur auf reine Software. Wenn Firmen im Abo- oder Mietmodell auf Hardware oder Maschinen zurückgreifen, sprechen Experten gerne von "Everything-as-a-Service", "Equipment-as-a-Service"-Angeboten oder einfach "EaaS". Traditionell gelten in diesem Bereich besonders investitionsintensive Lösungen als Paradeanwendungen. So haben Hersteller von Bürodruckern und Kopiergeräten diesen Markt schon seit Jahrzehnten für sich entdeckt – kaum ein Unternehmen nennt Gerätschaften dieser Art sein Eigentum. Stattdessen werden neben einer Grundgebühr die Kosten für das aufgelaufene Kopieraufkommen entrichtet.

Ein EaaS-Pionier ist Rolls Royce. Mit seinem Programm "Total Care" bietet der britische Düsentriebwerkhersteller die Nutzung seiner Jettriebwerke im praktischen All-Inclusive-Abonnement an. Die Kunden, in der Regel die Fluggesellschaften selbst, zahlen dabei eine vereinbarte Servicegebühr pro Flugkilometer, Service und Revisionen inklusive. Wie im Druckergeschäft hat auch "Total Care" Tradition. Seit den 1960er Jahren setzt Rolls Royce auf sein lukratives Servicemodell, einst ersonnen, um sich von Mitbewerbern innovativ abzuheben. Mittlerweile hat auch das Geschäft mit Daten Einzug gehalten. Rolls Royce verbaut zahlreiche Sensoren und IoT-Schnittstellen in seine Triebwerke und nutzt die gesammelten Daten zur Optimierung und Ergänzung des Kerngeschäfts. Damit zählt Rolls Royce zu den Vorzeigebeispielen für eine gelungene Digitalisierung.

Nicht weniger einfallsreich ist die Idee von Airsys, einem Distributionsunternehmen für Klimaanlagen, das sich vom reinen Händler zu einem EaaS-Anbieter weiterentwickelte. Unter dem griffigen Titel "Cooling-as-a-Service" bietet das findige Unternehmen Kühlleistungen im Servicemodell an. Spezialisiert hat sich Airsys auf einen veritablen Wachstumsmarkt: Es kühlt gegen fixe Servicepauschalen Datencenter auf der ganzen Welt.

Vom Streaming-Boom dahingerafft

Auch Konsumenten haben sich immer stärker zu Besitzmuffeln entwickelt. Während beispielsweise der führende Streaminganbieter Netflix zwischen 2013 und 2020 einen atemberaubenden Wachstumssprint hingelegt hat, brachen die Verkaufsumsätze von DVD- und Bluray-Discs zeitgleich dramatisch ein. Die sorgfältig sortierte DVD-Sammlung im heimischen Wohnzimmer? Schnee von gestern. Nicht viel besser erging es den Geräteherstellern: Der Absatz von passender Abspielhardware ist zu einem Businessmodell verkommen, das es so eigentlich gar nicht mehr gibt. Das Geschäft mit Medienträgern und DVD-Playern – vom Streaming-Boom dahingerafft.

Von der Unlust am Besitz wird auch die Automobilindustrie herausgefordert. Nicht genug, dass die Begeisterung der heranwachsenden Generation am Erwerb eines Neuwagens vor allem in den Städten rapide abnimmt; die Autohersteller kämpfen gleichzeitig mit dem Abschied vom Benzinmotor. Auch wenn dies heute vielleicht noch Zukunftsmusik ist, nehmen die Konzepte für das autonome Fahren Gestalt an. Pikant: Ob Kunden in einer Zukunft der vollautonomen E-Mobilität überhaupt noch ein eigenes Gefährt besitzen möchten, halten Experten für fraglich. Schliesslich würden Fahrgelegenheiten jederzeit bereitstehen, wo und wann immer dies der Kunde möchte. Automobilhersteller sind alarmiert, denn klar ist: Es werden deutlich weniger Autos benötigt als dies heute der Fall ist, und welcher Anbieter bei den nutzungsbasierten Mobilitätsmodellen letztendlich die Nase vorn haben wird, steht in den Sternen.

Adieu Besitz, hallo Digitalisierung

Kreativen Servicemodellen gehört die Zukunft. Hersteller sind spätestens jetzt gefordert, alternative Geschäftsmodelle jenseits des Erwerbskaufs zu entwickeln und schrittweise zu implementieren. Das gilt sowohl für den B2B-Sektor als auch in einem immer stärker werdenden Masse für den B2C-Sektor mit seinen vielen verschiedenen Produkt- und Themenbereichen.

Solche Veränderungsprozesse sind fest mit der Fähigkeit verbunden, das eigene Geschäft tiefgreifend zu digitalisieren, um Kunden, wie es Rolls Royce vorgezeigt hat, smarte und datengetriebene Nutzungsmodelle anbieten zu können, die sich von den Mitbewerbern abheben.

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