57 Qubits

Quantencomputer simuliert Zeitkristall in Rekordgrösse

Uhr

Zwei australische Physiker haben Quantencomputern von IBM beigebracht, den bislang grössten Zeitkristall zu simulieren. Sie stellten somit einen Rekord in den Schatten, den über 100 Forschende im vergangenen Sommer mit einem Quantenrechner von Google aufgestellt hatten.

(Source: RostislavUzunov / Pixabay.de)
(Source: RostislavUzunov / Pixabay.de)

Es klingt nach Science Fiction, ist aber verblüffender als jegliche Fiktion. Das Konzept von Zeitkristallen soll dabei helfen, grundlegende Fragen auf dem Gebiet der Quantenphysik zu klären. Dereinst könnten Zeitkristalle aber auch bislang ungeahnte Möglichkeiten eröffnen – ähnlich wie die Erfindung des Transistors in den 1940er Jahren

Ein Zeitkristall ist dem Prinzip nach ein neuer Zustand der Materie. Im Gegensatz zu normalen Kristallen, in denen Atome oder Moleküle in einem regelmässigen Gitter räumlich angeordnet sind, herrscht in einem Zeitkristall auch eine zeitliche Ordnung. Das heisst: Zeitkristalle verändern sich laufend und kehren regelmässig in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Doch im Gegensatz zu einer tickenden Uhr, zu einem schlagenden Herzen oder einem sich drehenden Planeten verbrauchen Zeitkristalle keine Energie. Sie können quasi von sich aus schwingen.

An den Grenzen physikalischer Gesetze

Der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Frank Wilczek schlug das Konzept 2012 in einem Paper unter dem Titel "Quantum Time Crystals" vor. In Fachkreisen hielt man den Vorschlag für unmöglich – der französische Physiker Patrick Bruno bezeichnete ihn sogar als "No-Go-Theorem".

Tatsächlich ist die Idee schwer vorstellbar. Das Prinzip erinnert an ein Perpetuum Mobile – an eine Maschine, die ohne Energiezufuhr unendlich lange läuft. In der Realität ist so ein Objekt nicht machbar, weil es den Gesetzen der Physik widersprechen würde. Dennoch – oder gerade deswegen – regte das Paper von Wilczek zu Diskussionen und Forschungen an.

Frank Wilczek stellt in einer Vorlesung sein Konzept des Zeitkristalls als neuer Materiezustand vor.

2017 verkündeten gleich zwei Forscherteams einen Durchbruch auf dem Gebiet: Beide hatten es geschafft, auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Materialien Zeitkristalle zu erzeugen, wie "scinexx.de" berichtete. Allerdings hatte man sich inzwischen von der Idee eines idealen Zeitkristalls verabschiedet. Stattdessen konzentrierten sich die Forschenden auf einen Sonderfall: den diskreten Zeitkristall. In diesem Fall können Zeitkristalle existieren, sofern man sie durch eine externe Energiequelle wie einem Mikrowellen-Laser anregt. Allerdings würden die Teilchen auch auf diese Weise keine Energie absorbieren oder abgeben.

Quantencomputer machen es möglich

Solche diskreten Zeitkristalle haben Forschende bereits mehrfach mithilfe von Quantencomputern simuliert wie auch in Experimenten erzeugt – die Grenzen zwischen Simulation und Experiment sind oftmals fliessend, sobald solche Rechner ins Spiel kommen. Als Bausteine für die Zeitkristalle dienen Quantenbits respektive Qubits.

Qubits sind quasi das quantenmechanische Pendant zu den Bits klassischer Computer. Sie können jedoch nicht nur die Werte 0 oder 1 annehmen, sondern beide gleichzeitig sowie alle Zustände dazwischen. Mehr über Qubits und die Funktionsweise von Quantencomputern erfahren Sie hier.

Im Sommer 2021 sorgte ein internationales Forschungsteam für Aufsehen. Den über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelang es, einen Zeitkristall mithilfe eines Google-Quantencomputers mit 20 Quantenbits zu erzeugen.

Mit einem Quantencomputer von Google und dessen Herzstück, dem Prozessor namens Sycamore, haben Forschende einen Zeitkristall mit 20 Qubits kreiert. (Source: Google)

Doch nun haben zwei australische Physiker einen neuen Rekord aufgestellt, wie das Wissenschaftsmagazin "Science" berichtet. Der Physiker Stephan Rachel von der Universität Melbourne und sein Doktorand Philip Frey brauchten dazu nur einen Laptop und sechs Monate Zeit. Von Australien aus konnten sie mehrere Quantencomputer von IBM in den USA ansteuern und so einen Zeitkristall simulieren, der aus 57 Qubits besteht – also mehr als das Doppelte von dem, was mit dem Google-Rechner möglich war.

Die Forschenden räumen allerdings ein, dass der Forschungsbedarf weiterhin immens ist. Die Wechselwirkung sollte eigentlich unendlich lange anhalten, sagt Stephan Rachel gegenüber "Science". Doch die Qubits im IBM-Rechner könnten ihren Zustand nur so lange halten, dass es für eine Simulation von 50 Zyklen reicht.

Gegenstand von Forschungen sind auch die möglichen Anwendungszwecke von Zeitkristallen. Sie könnten gemäss Rachel beispielsweise dazu dienen, den Zustand von Qubits zu speichern, und zwar in einer Art Quanten-Arbeitsspeicher.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme nannten gegenüber "scinexx.de" etwas breitere mögliche Einsatzgebiete, zum Beispiel die Kommunikationstechnik, die Radartechnik oder die Bildgebung. Den Physikern in Stuttgart war es übrigens gelungen, erstmals einen Zeitkristall in Aktion zu filmen. Sie hatten einen Zeitkristall erzeugt, der mehrere Mikrometer gross ist und bei Raumtemperatur "tickt".

Das Video zeigt, wie sich sogenannte Magnonen in regelmässigem Takt zu einem Streifenmuster anordnen, das sich dann wieder auflöst. Magnonen sind magnetische Anregungszustände, die Eigenschaften von Quasiteilchen besitzen.

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