Distributor-Roundtable

Wie sich die Schweizer Distributionslandschaft transformiert

Uhr
von Yannick Züllig und ml

Was muss ein Distributor bieten, um sich Value Added Distributor (VAD) nennen zu können? Wie breit kann das Sortiment eines VAD sein, bevor der Value-Add verloren geht? Welche Hürden stellen sich Distributoren derzeit in den Weg? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, luden die Netzmedien zum "Distributor-Roundtable".

André Koitzsch, Managing Director, Infinigate Schweiz; Thomas Boll, CEO von Boll Engineering; Coen Kaat, stv. Chefredaktor IT-Markt; Frank Studerus, Managing Director, Studerus; Gabriele Meinhard, ­Managing Director Switzerland, TD Synnex (v. l.). (Source: Netzmedien)
André Koitzsch, Managing Director, Infinigate Schweiz; Thomas Boll, CEO von Boll Engineering; Coen Kaat, stv. Chefredaktor IT-Markt; Frank Studerus, Managing Director, Studerus; Gabriele Meinhard, ­Managing Director Switzerland, TD Synnex (v. l.). (Source: Netzmedien)

Der Handel mit IT-Geräten und Software verändert sich laufend. Die weiter voranschreitende Globalisierung macht lokale Geschäfte immer weniger profitabel. Verfügbarkeit und Preise spielen eine zunehmend grössere Rolle. Zudem durchlebt der Markt nach den beispiellosen Wachstumsjahren während der Coronapandemie eine stagnierende bis rückläufige Phase. 

Sich als Distributor in diesem Markt zu behaupten, ist nicht einfach; es erfordert eine ständige Anpassung an sich konstant ändernde Umstände. Die Strategien, damit umzugehen, sind nicht neu: Manche Distributoren konzentrieren sich darauf, durch Services die Produkte mit einem Mehrwert anzureichern; andere wollen den Widrigkeiten mit einem möglichst breiten Sortiment, das alles abdeckt, entgegentreten. VADs und Broadliner. Ist es überhaupt noch möglich, so klare Grenzen zu ziehen?

Welches Geschäftsmodell kann sich auch in Zukunft noch behaupten?

Um diese Fragen zu beantworten, lud die "IT-Markt"-Redaktion die Geschäftsleiter führender Schweizer Distributoren zum "Distributor-Roundtable" ein. An der Diskussion in den Räumlichkeiten der Netzmedien nahmen Teil: Thomas Boll, CEO von Boll Engineering, André Koitzsch, Managing Director von Infinigate Schweiz, ­Gabriele Meinhard, Managing Director Switzerland von TD Synnex, Roland Silvestri, CEO von Secomp, und Frank Studerus, Managing Director von Studerus.

Roland Silvestri, CEO, Secomp. (Source: zVg)

Roland Silvestri, CEO, Secomp. (Source: zVg)

Andrej Golob, CEO von Alltron, Mariano Isek, Managing Director von Zibris und Stefan Ebnöther, CEO von Littlebit, konnten an diesem Termin nicht teilnehmen und reichten ihre Antworten schriftlich nach.

Eine Frage der Definition

Der Roundtable begann mit der Frage, wie sich die Teilnehmenden selbst sehen - als VAD oder als Broadliner. Obwohl sich die meisten zu den VADs zählen, kamen bereits hier erste Unklarheiten auf: "Was ist überhaupt Value-Add?", fragte André Koitzsch von Infinigate. 

Nennen kann man sich ja, wie man will.

Stefan Ebnöther, CEO, Littlebit

"Nennen kann man sich ja, wie man will", sagte Stefan Ebnöther von Littlebit. Deshalb sei es auch schwierig, klar zu definieren, was überhaupt einen VAD ausmache. Einig waren sich die Teilnehmenden am Roundtable, dass Value-Add letztlich etwas sein müsse, das dem Kunden zugutekomme und wofür er auch bereit sei, zu bezahlen. 

Stefan Ebnöther, CEO, Littlebit. (Source: zVg)

Stefan Ebnöther, CEO, Littlebit. (Source: zVg)

Doch damit sei es nicht getan. Denn jeder Kunde brauche etwas anderes. Kleinere Partner seien oft stärker auf ihren Distributor angewiesen, wenn es etwa um technische Expertise geht, sagte André Koitzsch von Infinigate. "Grosse Partner wollen einfach nur einen guten Webshop, einen guten Preis und eine superschnelle Antwort." 

Zudem komme es auch darauf an, in welcher Branche man verkaufe und welche Produkte man anbiete. "Bei Commodities braucht es selten viel technische Expertise vom Distributor", sagte Thomas Boll. Aber es gebe auch komplexere Produkte, bei denen der Kunde ganz klar darauf angewiesen sei, mit jemandem sprechen zu können, der das zu verkaufende Produkt auch wirklich verstehe. 

Eigentlich ist der Begriff VAD gar nicht mehr ­zeitgemäss.

André Koitzsch, Managing Director, Infinigate Schweiz

Letztlich komme es auch auf den Hersteller an, ergänzte Frank Studerus. Bei einem Hersteller, der auch eine lokale Niederlassung betreibe, entfalle oft schon ein grosser Teil des technischen Supports. "Es gibt enorme Unterschiede", sagte auch Gabriele Meinhard von TD Synnex, "ob es jetzt nun ein ganz kleiner Hersteller ist, bei dem wir quasi von A bis Z den grössten Teil der Arbeit machen, oder ob es ein ganz grosser Hersteller ist. In dieser Value-Chain übernehmen wir zum Teil völlig unterschiedliche Aufgaben." 

Mariano Isek, Managing Director, Zibris. (Source: zVg)

Mariano Isek, Managing Director, Zibris. (Source: zVg)

"Eigentlich ist der  Begriff VAD gar nicht mehr zeitgemäss", sagte André Koitzsch. Denn die Zeiten, in denen man einfach etwas habe verkaufen können, ohne überhaupt zu wissen, wie es funktioniere, seien vorbei. "Was vor zehn Jahren noch Value-Add war, wird jetzt voraus­gesetzt."

Breit aufgestellt, aber kein Broadliner

Vor diesem Hintergrund verschwimme auch die Grenze zwischen Broadliner und VAD. Roland Silvestri sagte, dass ein Distributor durchaus ein sehr breites und tiefes Sortiment aufbauen könne und trotzdem VAD bleibe. Wichtig sei einfach, diese Breite über verschiedene Sparten aufzubauen - besonders in solchen, die ohne gros­sen Mehraufwand zu bewirtschaften seien - "einen Fernseher oder ein Handy muss ich niemanden erklären", sagte Silvestri. Bei einem komplexen Signage- oder Hotel-TV-Projekt müsse der Distributor deutlich mehr erbringen. Etwas anders gehe es den spezialisierten Distributoren. Einen Fokus zu haben - etwa im Bereich Netzwerktechnik - bedeutet laut Silvestri auch der bewusste Verzicht auf gewisse Produkte oder Hersteller, die nicht ins Portfolio passen.

Das Sortiment eines ­VADs muss in ein Gesamtkonzept passen.

Mariano Isek, Managing Director, Zibris

"Das Sortiment eines Value-Added-Distributors muss in ein Gesamtkonzept passen", sagte Mariano Isek von Zibris, die Breite sei nicht der wichtigste Faktor; "viel wichtiger ist es, dass die Produkte komplementär sind und ineinandergreifen, nur so kann man auch den Value-Add hervorheben und leben."

Andrej Golob, CEO, Alltron. (Source: zVg)

Andrej Golob, CEO, Alltron. (Source: zVg)

Ein Limit sei - bei grossen wie auch bei kleinen Distributoren - der Faktor Mensch. "Solange man in jedes Produkt einen Product Manager oder einen Business Deve­loper stecken kann, solange geht es noch", sagte Thomas Boll.

Bei Galaxus kauft ein ­Roboter ein, und der schaut nur auf den Preis.

Roland Silvestri, CEO, Secomp

Fachkräftemangel als Geissel des Handels

Einig waren sich alle Roundtable-Teilnehmer auch beim Fachkräftemangel: Das sei das derzeit grösste und akuteste Problem für die Branche. Sowohl für die Distributoren als auch für deren Kunden und Partner. Für die Distis selbst sei es teilweise schwierig, qualifiziertes Personal zu finden, was wiederum das mögliche Wachstum einschränke. Umgekehrt stelle man aber auch fest, dass die Kunden ebenfalls nicht genug Mitarbeitende und Ressourcen hätten. Das verunmögliche es, neue Produkte an bestehende Kunden zu bringen, wenn dort niemand die Zeit habe, sich überhaupt für das neue Produkt schulen zu lassen. Angehen wollen die meisten Distributoren das Problem auf dieselbe Art. "Wir investieren deshalb in die Ausbildung zukünftiger ICT-Cracks", sagte Alltron-CEO Andrej Golob.

Letztlich kommt es auch auf den Hersteller an.

Frank Studerus, Managing Director, Studerus

Boll Engineering versucht ausserdem, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeitende wohl und gehört fühlen, wie Thomas Boll erklärte. Das soll Abgänge verhindern und so die Kompetenz intern behalten. 

Gabriele Meinhard von TD Synnex sagte, dass man mit den Mitarbeitenden eine Karriereplanung mache, um aufzuzeigen, dass sich die Talente intern weiterentwickeln könnten. "Als TD Synnex haben wir dazu die kritische Masse, das national oder international zu tun." Diese Massnahmen erforderten jedoch allesamt Zeit, und an Zeit mangele es, da es zu wenige Fachkräfte gebe, um die Arbeit zu erledigen.

Die Menschlichkeit geht verloren

Eine weitere Folge des Fachkräftemangels sei die Automatisierung des Einkaufs. Zwar habe man in der Schweiz eine vergleichsweise sehr loyale Kundenbasis, die auch etwas weniger preissensibel sei als jene aus dem grenznahen Ausland, sagte Gabriele Meinhard. Die zunehmende Automatisierung, mitunter beim Einkauf, finde im Transaktionsgeschäft auch in der Schweiz statt; da und dort auch auf Kosten der persönlichen Kontakte und Interaktionen.

Wichtig ist, wie der ­Hersteller seine ­Distributoren einsetzt und entschädigt.

Andrej Golob, CEO, Alltron

Laut Roland Silvestri schlägt sich dies insbesondere in den Bereichen Retail und Online nieder. "Bei Galaxus kauft ein Roboter ein, und der schaut nur auf den Preis", meinte Silvestri. "Da kannst du ein noch so toller Typ sein und deine Arbeit gut machen - wenn der Preis nicht passt, kauft er keine Schraube bei dir ein."

Dies sei besonders für den Value-Add-Bereich problematisch, sagte Thomas Boll. Hier dürfe man Geschäfte nicht nur auf den Preis reduzieren. Stattdessen müsse man den Mehrwert auf einer zwischenmenschlichen Ebene erklären können.

Das Ende der Exklusivität

Das Umfeld für exklusive Distributionsverträge verändere sich ebenfalls. Seien exklusive Partnerschaften früher gang und gäbe gewesen, kämen sie heute immer seltener vor.
 

Wenn man eine Marke von Grund auf aufbaut, investiert man viel Zeit und Geld darin. Dann ist es ­sinnvoll, die Partnerschaft exklusiv zu halten - ­zumindest für eine gewisse Zeit.

Thomas Boll, CEO, Boll Engineering

"Exklusivität ist meiner Meinung nach zweitrangig", sagte Andrej Golob. "Wichtig ist, wie der Hersteller seine Distributoren einsetzt und entschädigt." Es gebe aber nach wie vor gute Gründe für exklusive Deals, sagte Thomas Boll. "Wenn man eine Marke von Grund auf aufbaut,  investiert man viel Zeit und Geld darin. Dann ist es sinnvoll, die Partnerschaft exklusiv zu halten - zumindest für eine gewisse Zeit." Bei grossen, etablierten Marken sei dies aber oftmals gar nicht mehr möglich, da der Hersteller selbst für die Visibilität der Marke sorge und dafür keinen Distributor mehr benötige.

Ein weiteres Problem mit "exklusiven" Partnerschaften bestehe darin, dass es den Kunden eigentlich immer möglich sei, dasselbe Produkt oder dieselbe Marke irgendwo auf dem europäischen Markt zu bekommen. Das sei besonders im Bereich Consumer Electronics ein Problem, sagte Roland Silvestri. "Wir erleben das jeden Tag!"

Adaption im Angesicht von "as-a-Service"

Trotz all dieser Herausforderungen und des zunehmenden Trends, dass immer mehr Hersteller ihre Produkte nur noch "as-a-Service" anbieten, waren sich die Teilnehmenden des Roundtables einig, dass es den IT-Channel auch künftig noch brauchen werde.

"Der IT-Channel spielt nach wie vor eine ganz wichtige Rolle im IT-Markt, insbesondere in einem KMU-Land wie der Schweiz", sagte Andrej Golob. "Der Channel integriert die verschiedenen Elemente zu einem Ganzen für den Kunden." Es passiere auch nicht zum ersten Mal, ergänzte Stefan Ebnöther. "Herstellertrends zum Direktgeschäft hat es immer wieder gegeben."

Wir müssen uns immer wieder neu erfinden und unsere ­Dienstleistungen den sich ­wandelnden Ansprüchen ­anpassen.

Gabriele Meinhard, Managing ­Director Switzerland, TD Synnex

Hier sei jedoch auch der Distributor gefordert, sagte André Koitzsch. "Wo kann jetzt der klassische Distributor eine Rolle spielen, in einer eigentlich direkten Beziehung zwischen dem Hersteller über den Amazon Marketplace bis hin zum Endkunden?" Gerade im Softwarebereich könne man grosse Player, wie eben Amazon, nicht einfach ignorieren, sondern man müsse adaptieren.

"Gewisse Geschäfte fallen weg", meinte auch Gabriele Meinhard, "aber das war schon immer so. Wir müssen uns immer wieder neu erfinden und unsere Dienstleistungen den wandelnden Ansprüchen anpassen."
 


Die Teilnehmer des Podiums waren:

  • Thomas Boll, CEO von Boll Engineering
  • André Koitzsch, Managing Director, Infinigate Schweiz
  • Gabriele Meinhard, Managing Director Switzerland, TD Synnex
  • Roland Silvestri, CEO, Secomp
  • Frank Studerus, Managing Director, Studerus

Schriftlich zur Diskussion beigetragen haben:

  • Andrej Golob, CEO, Alltron
  • Mariano Isek, Managing Director, Zibris 
  • Stefan Ebnöther, CEO, Littlebit
Webcode
arr9N6P3