Nachgefragt

Was macht eigentlich ... André Hintermann?

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von Erhard Rüttimann

Über zwanzig Jahre lang war André Hintermann als Global Account Manager, Verkaufsleiter und Business Unit Manager in der ICT tätig. Sein Karrierepfad schien auf Jahre hinaus klar vorgegeben. 2001 begann er aus persönlichem Interesse berufsbegleitend eine Ausbildung zum Systemcoach und psychologischen Berater. Anfang 2006 verliess er dann SAP.

Bild: André Hintermann
Bild: André Hintermann

Von 1993 bis 1998 war André Hintermann erfolgreich bei Oracle tätig. Dann wechselte er zu SAP, wo er als Director Financial Services den Finanzbereich ausbaute. 2003 wechselte er in eine Europafunktion, um sich einer neuen Herausforderung im Bereich Electronic Invoicing zu stellen. Auf dem Höhepunkt seiner ICT-Karriere verliess er die Branche und widmet sich nun ganz seiner Berufung.

Was hat Sie damals bewogen, die ICT-Industrie zu verlassen?

Ich habe mich schon immer darum bemüht, meinem Schaffen einen wirklichen Sinn zu geben. Immer wieder habe ich mich gefragt: Wie kann ich der hohen Fokussierung, dem ständigen Erfolgsdruck, der fast uneingeschränkten Erreichbarkeit und manchmal auch der schwierig zu vereinbarenden Rollen als Berufs- und Privatperson begegnen und negative Auswirkung vermeiden?

Und, haben Sie die Antwort gefunden?

Wir sitzen hier in der Autobahnraststätte Mystop in Affoltern und schauen auf die Autos, die schnell unter uns durchfahren. Genau entlang von Strukturen, die vorgegeben sind. Es hat links und rechts einen fixen Streifen, es hat eine Überholspur, einen Pannenstreifen und es gibt nur wenige Ausfahrten. Die Fahrer haben innerhalb vorgegebener Strukturen ein Ziel, worauf sie fokussiert sind und viele, die mit diesem klaren Ziel vor Augen unterwegs sind, nehmen gar nicht wahr, was es unterwegs noch alles für Möglichkeiten zu entdecken gäbe, weil der Fokus so eng ist.

Was wollen Sie damit sagen?

Es ist für viele wichtig, innerhalb von Strukturen voll fokussiert optimal unterwegs zu sein, was per se ja nichts Schlechtes ist – aber nicht immer. Die Frage lautet: Hat man dabei eine Wahlfreiheit? Kann man wählen, wann absoluter Fokus erforderlich ist und die Energie auf einen Punkt gebracht werden muss und wann man sich vom Fokus wieder lösen und den Horizont wieder öffnen kann. Ich denke, dass dieses Bewusstsein oder diese Wahlfreiheit vielen abhanden gekommen ist.

Was hat diese Erkenntnis bei Ihnen ausgelöst?

Wenn man den Verkauf in der ICT betrachtet, dann fragt man sich, ob die Personen, die am Ziel warten oder mit einem unterwegs sind, d. h. Kunden, Partner und Kollegen, mit Menschen zu tun haben wollen, die permanent fokussiert sind. Fokussiert auf ein Verkaufsziel oder einen Businessplan. Oder ob diese Menschen nicht einmal gern einfach so nur als Person wahrgenommen werden möchten? Man kann – auch unternehmerisch – den grösseren Beitrag und die grössere Wirkung erzielen, wenn man der freien Wahrnehmung des Gegenübers eine Chance gibt.

Was empfehlen Sie?

Bewusst an der Beziehungsqualität arbeiten. In unserer schnelllebigen, stark fragmentierten und performanceorientierten Welt muss der Qualität von Kontakt und Beziehung höchste Bedeutung zukommen. Dies wissen nicht nur Kunden und Mitarbeitende zu schätzen, sondern auch die Familie und Freunde. Damit gegenseitige Wertschätzung, Zuneigung und Liebe entstehen und auch erhalten werden kann, braucht es Zeit und Aufmerksamkeit.

Und das reicht?

Man muss auch regelmässig Freiräume schaffen und diese eisern verteidigen, um mit sich selbst und mit seiner persönlichen Gesamtperspektive in Kontakt zu bleiben. Im Business ziehen wir uns zurück, um in Ruhe Strategien und Pläne zu entwickeln. Genauso sollte man für sich selbst auch eine persönliche Lebensvision und einen Lebensplan entwickeln.

War das in der ICT nicht möglich?

Wenn ich meinen Werdegang betrachte, sehe ich, dass es natürlich um Erfolg geht und auch um Anerkennung, Einfluss und Status. Das ist der Motor, aber auch die grosse Falle in den Branchen, in denen mit grosser Hebelwirkung gearbeitet werden kann. In der ICT oder der Finanzwelt können Resultate um Faktoren erhöht werden – ohne dass dabei der Aufwand parallel grösser werden muss. Das erhöht den Druck auf die involvierten Personen massiv.

Was raten sie den Kollegen, die in der ICT bleiben wollen?

Auf jeden Fall den persönlichen Horizont zu erweitern. Man muss einen Gegenpol zum Geschäftsalltag bilden. Es ist wichtig, dass man einen sinnstiftenden Bereich findet, wo man für seine ganz persönliche Entwicklung und inhaltliche Lebensgestaltung weitere Impulse und Erfahrungsmöglichkeiten erhält. Man muss das eigene Bewusstsein, die Wahrnehmung und die intuitiven Fähigkeiten entwickeln. Dabei gewinnt man zusätzlichen persönlichen Gestaltungs- und Handlungsspielraum – auch im Business.

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