Kolumne

Die elektronische Kommunikation wird nie die verbale Kommunikation ersetzen

Uhr | Updated
von Jean-Pierre Jamet, Incomtec Consulting

Noch nie waren die Kommunikationsmittel so zahlreich und ausgefeilt wie heute: SMS, Twitter und E-Mails überschwemmen uns jeden Tag und können uns 24 Stunden täglich erreichen. Wir teilen ununterbrochen Informationen, kommunizieren ständig. Es geht so weit, dass es für gewisse Personen ein beängstigendes Phänomen werden kann, an einem Tag einmal keine E-Mails zu erhalten. Aber kommunizieren wir wirklich?

Jean-Pierre Jamet, Incomtec Consulting.
Jean-Pierre Jamet, Incomtec Consulting.

Wenn man einmal den Austausch von Informationen mit rein technischem Inhalt (z. B. Typ Hotline) beseitelässt und sich auf den Austausch im Bereich Marketing und Verkauf konzentriert, stellt man fest, dass die Kommunikation zum Ziel hat, dass etwas Irrationales zwischen den Gesprächspartnern geteilt werden soll (dies ist besonders sichtbar in der Werbung).

Das Irrationale wird oft in einem sehr negativen Sinn verstanden, denn es gehorcht nicht der Logik der empirisch- experimentellen Wissenschaft, die nur Phänomene in Betracht zieht, die sich wiederholen lassen; das heisst, dass sich jeweils dieselben Ergebnisse unter denselben Bedingungen ergeben. Dies verleitet manche sogar dazu, das Irrationale zu ignorieren, als würde es nicht existieren.

Bei seinen Kunden Vertrauen zu schaffen, ist aber kein rationaler Akt des Verkäufers. Die Aufmerksamkeit eines potenziellen Kunden zu wecken, folgt nicht festgelegten Regeln. (Die Anzahl erfolgloser Werbekampagnen sind der Beweis dafür.) Ein Team zu motivieren, hat immer etwas Geheimnisvolles an sich, und scheinbar erprobte Rezepte scheitern oft kläglich.

Es handelt sich also in der Kommunikation darum, Emotionen oder Gefühle zu übermitteln, das heisst, etwas nicht genau Definierbares und Vages, das Veränderungen unterworfen ist, und dennoch zählt gerade dies am meisten. Es ist ad absurdum beweisbar: Seien Sie unangenehm mit Ihren Kunden und Sie werden keinen grossen Umsatz erzielen! (Oder es wäre eine ausserordentliche Qualität Ihrer Produkte oder Dienstleistungen erforderlich, damit die technischen Vorteile die negativen, irrationalen Aspekte bei weitem übertreffen.)

Emotionale Entscheidungen

Die Natur hat uns ein wunderbares Instrument zum Kommunizieren gegeben, unsere Stimme. Sie erlaubt uns, Wörter auszutauschen, das heisst abstrakte Konzepte; aber in sich trägt sie alle unsere Emotionen. Die Stimme und die Musik sind eng miteinander verbunden, beide werden von den rezeptiven, emotionellen Zonen unseres Gehirns erkannt. Was macht die Musik denn anderes, als etwas Irrationales mitzuteilen? Alles spüren wir unmittelbar an der Stimme: Angst, Wut, Unruhe. Aber auch Vertrauen, Offenheit, Freude … Die Stimme teilt alles mit, was wir wissen (unser technisches Wissen), aber auch alles, was wir sind (zum Beispiel, ob man Vertrauen in uns haben kann).

Alle elektronischen Kommunikationsmittel tauschen nur Wörter aus, das heisst nur abstrakte Konzepte. Es ist sehr schwierig, alle Nuancen unserer Emotionen schriftlich zu übermitteln, ausser man ist ein talentierter Schriftsteller. Im Gegenteil dazu erlaubt uns eine Diskussion (auch am Telefon), unseren Gesprächspartner augenblicklich einzuschätzen, etwa seine Ehrlichkeit.

Dies geschieht sehr schnell – in jedem Callcenter erklärt man den Anfängern, dass die ersten 30 Sekunden entscheidend für das gesamte Gespräch sind. Alles Emotionelle wird unmittelbar wahrgenommen, alles Rationale verlangt Überlegung. Es ist interessant festzustellen, dass sich, um den emotionslosen elek tronischen Mitteilungen entgegenzuwirken, die Nutzung von "Smilies" stark verbreitet hat. So kann man auch eine Information über seinen emotionalen Zustand mitteilen. Aber ist eine kodifizierte Emotion glaubwürdig? Die Stimme ist ein wunderschönes Medium, wenn man ihr Aufmerksamkeit schenkt. Eine tiefe Stimme erzeugt Respekt; ein langsamer, ruhiger Redefluss beruhigt einen zu nervösen Gesprächspartner; ein Flüstern erhöht die Vertraulichkeit einer Information usw.

Also, wieso widerstrebt es so vielen Personen, anzurufen? Warum ziehen sie die schriftliche Mitteilung vor? Vielleicht weil die Stimme unsere Gefühle verraten kann, die man am liebsten verstecken möchte oder noch schlimmer, weil unsere Stimme verdrängte Gefühle durchscheinen lassen kann, derer wir uns nicht bewusst sind? Die verbale Kommunikation zwingt uns zu einer gewissen Transparenz und es ist verständlich, dass wir uns hinter den Wörtern verstecken möchten. Aber: Jede Entscheidung wird im Wesentlichen emotional getroffen, jedoch rational begründet. Das gilt besonders bei Kaufentscheidungen.

Über Jean-Pierre Jamet

Jean-Pierre Jamet gründete 1991 die JPJ Direct Marketing AG (heute Profondia AG) und leitete das Unternehmen bis 2010. Mit Datenmarketing, Mailings und Telefonmarketing unterstützte er 20 Jahre lang IT-Firmen in der Kundenakquisition. Heute ist er als Berater mit seinem Unternehmen Incomtec Consulting GmbH unterwegs. Jamet betrachtet die verbreitete Nutzung sozialer Netzwerke als äusserst vielversprechendes Marketingmittel, das ganz neue Möglichkeiten im B2B-Geschäft eröffnet. Er ist einer der Initiatoren des Projekts ICTSynergies Network. ICT-Synergies ist ein auf das Schweizer ICT-Business fokussiertes soziales Netzwerk.

Webcode
QqzGyuK9