Umstellung bis Ende 2017

Die All-IP-Ära beginnt jetzt

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Ende 2017 wird Swisscom ihr ISDN-Netz abschalten. Als Folge werden in den nächsten Jahren viele tausend Nutzer auf IP-Telefonie umstellen müssen. Doch nach wie vor erfreut sich ISDN grosser Beliebtheit bei KMUs. Für den Fachhandel bietet die Umstellung grosses Potenzial, um neue Kunden zu gewinnen

(Quelle: Flickr @Jim_K-Town )
(Quelle: Flickr @Jim_K-Town )

In den 1990er-Jahren revolutionierte ISDN als erster digitaler Standard die Telekommunikation. Mit ISDN konnten auf einer Leitung nun gleichzeitig mehrere Dienste abgewickelt werden. Als Internetstandard ist ISDN schon lange durch das deutlich schnellere DSL abgelöst worden. In der Telefonie hält sich die Technologie aber bis heute hart­näckig.

Bei KMUs immer noch beliebt

Vor allem bei KMUs ist ISDN sehr beliebt. Dies mag auch historische Gründe haben, wie Armin Blum, Leiter Festnetzdienste und Grundversorgung beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom), in einem Gespräch erklärt:  "ISDN war der Inbegriff einer End-to-End-Digitalisierung." Beim Umstieg von analog auf digital hätten sich die zahlreiche Unternehmen für ISDN entschieden und seien dabei geblieben. Dies habe auch an der grossen Zuverlässigkeit des Netzes gelegen, sagt Blum weiter.

Die ISDN-Ära neigt sich ihrem Ende entgegen. Spätestens Ende 2017 wird Swisscom ISDN abschalten. Bereits vor einem Jahr machte der Telko seine Pläne publik. Damit liegt Swisscom bei der Umstellung auf IP- beziehungsweise Voice-over-IP(VoIP)-Telefonie im internationalen Trend. Die Deutsche Telekom wird ISDN nur ein Jahr später abschalten. Einige Länder werden sich früher von der Technologie verabschieden oder sind sogar schon ganz ausgestiegen.

Laut Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom komme das Unternehmen mit der Umstellung auch den gewandelten Anforderungen der Nutzer entgegen, die deutlich mehr wollen, als ISDN ihnen liefern kann. Nach dieser Argumentation erscheint die Abschaltung des Netzes nur selbstverständlich

Einer Studie des Offertenportals Gryps zufolge waren Mitte 2014 allerdings noch 70 Prozent aller Schweizer KMUs auf ISDN unterwegs. Bei den Grossunternehmen waren es hingegen nur 30 Prozent. Die Mehrzahl der ISDN-Nutzer seien vor allem kleine Unternehmen mit nur wenigen Telefonanschlüssen, ordnet Gaby Stäheli, Co-CEO bei Gryps, die Zahlen ein. Spätestens bis Ende 2017, also in weniger als drei Jahren, werden jedenfalls noch viele tausend KMUs eine alternative Lösung zu bestehenden ISDN-Anlagen brauchen.

Im Gespräch zeigte sich Patrick Venzin, Berufsschule Uster und VoIP-Berater bei Globacom AG, zeigte sich von diesem hohen Wert überrascht. Seiner Meinung sollten es inzwischen deutlich weniger KMUs sein, aber fundierte Zahlen konnte er nicht nennen. Vielmehr berief sich Venzin auf seine Erfahrungen aus der Zeit als CTO beim ehemaligen VoIP-Anbieter Foxfon.

Kunden die Vorteile schmackhaft machen

Viele ISDN-Nutzer verfolgten aber immer noch den Ansatz: "Es funktioniert doch, warum soll ich also auf etwa anderes umstellen?", sagt Patrick Venzin, Lehrer Berufsschule Uster im Fach VoIP und VoIP-Berater bei der Globa­com AG. Der Umstieg werde nur aus Bequemlichkeit nicht in Angriff genommen. Dabei böten neue Technologien einen deutlich grösseren Funktionsumfang als ISDN. Angefangen bei der Übermittlung von Namensinformationen, erweiterten Konferenz- und Weiterleitungsfunktionen bis hin zur mobilen Integration.

Eine der wichtigsten Aufgabe der Fachhändler wird es daher sein, die Nutzer von den Vorteilen der neuen Technologie zu überzeugen und ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen. Und sie dürften bei ihren Kunden äusserst willkommen sein. Denn diese nehmen sich des Themas allmählich an und haben fragen, was an einem Event des IT-Beratungshauses AWK Ende Januar dieses Jahres zu erkennen war.

Hotel Au Premier in Zürich: ein voller Saal und viele Fragen. Über 100 Besucher waren der Einladung von AWK gefolgt. Auf der Gästeliste fanden sich auffallend viele Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen, wie das Unispital Zürich, das Bundesamt für Polizei oder die Rega. Auch aus der Privatwirtschaft kamen einige Gäste und zwar aus völlig verschiedenen Branchen. Vom Kaufhaus Globus über den Versicherer Swiss Life bis hin zum Energie-Anbieter Alpiq, reichte das Spektrum. Der Saal war zum Bersten voll und nicht jeder fand einen Sitzplatz. Und die Gäste kamen mit Fragen: Inwieweit erhöhen sich die Anforderungen an die Datensicherheit? Was passiert, wenn der Strom ausfällt? Soll eine VoIP-Anlage on-Premise oder lieber gleich in der Cloud betrieben werden?

Diese Fragen stellen sich auch deshalb, weil die Umstellung auf IP-basierte Systeme Kunden die Möglichkeit bietet, sich grundlegend mit der Telefonie-Infrastruktur ihres Unternehmens auseinander zu setzen. So kommen neben klassischen, vor Ort gehosteten Telefonanlagen, auch extern gehostete Lösungen, Cloud-Varianten (private und public) oder auch Kombinationen davon in Frage.

Eine Erkenntnis des Abends war, dass die Umstellung auf IP-basierte Systeme Nutzern die Möglichkeit bietet, sich grundlegend mit der Telefonie-Infrastruktur auseinanderzusetzen. So kommen neben klassischen, vor Ort gehosteten Telefonanlagen auch extern gehostete Lösungen, Cloud-Varianten – private und öffentliche oder auch Kombinationen davon – infrage. Ein ausführlicher Abklärungsprozess über die Möglichkeiten unter Einbeziehung aller Beteiligten sollte deshalb der Umstellung vorausgehen, hob Rolf Wagner hervor, Bereichsleiter Telekom und Serviceprovider bei AWK in seinem Vortrag hervor.

Goldene Übergangszeit für den Fachhandel

Bei vielen tausend Anschlüssen, die noch auf die IP-Telefonie umgestellt werden müssen, ergeben sich automatisch viele Geschäftsmöglichkeiten für den Fachhandel. Venzin bremst die Erwartungen aber etwas. Seiner Meinung nach würden die grossen Firmen, die jetzt bei Swisscom seien, auch beim Brachenprimus bleiben. Daher sollten sich die kleineren VoIP-Anbieter auf die KMUs konzentrieren. Die Nische für die kleinen Anbieter seien innovative und hochindividualisierte Lösungen, mit denen sie gegenüber den grossen Playern punkten könnten, zeigt sich Venzin überzeugt.

Ein potenziell grosses Geschäft ergibt sich auch für die Hersteller von Telefonanlagen, denn die bisherigen ISDN-­Apparate stossen bei der IP-Telefonie an ihre Grenzen. Obwohl diese teilweise mittels Adapter weiterbetrieben werden können, kann nicht der volle Funktionsumfang gewährleistet werden. Daher rät Wagner von AWK die Umstellung mittelfristig mit "dem regulären Lifecycle-­Management der bestehenden Infrastruktur abzustimmen". Auf diesem Wege könnten Kosten gesenkt und Ausfallzeiten minimiert werden.

Er weiss wovon er spricht: Sein Unternehmen rüstete 2012 sein Telefonie-System um. Ein Projekt, das sechs Monate in Anspruch nahm und Geduld erforderte. Allein drei Monate musste das Team für Tests und das Lösen von Problemen aufwenden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse war, dass IP-Projekte auch immer Netzwerk-Projekte sind. Anwender müssten bei der Evaluation eines IP-Systems auch immer die Leistungsfähigkeit des IT-Netzwerks untersuchen. Besonders wenn zusätzliche Features, wie das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten, gewünscht sind.

Die Schwachstellen bei der Umstellung

Bei der Umstellung von ISDN auf VoIP sind vor allem die Aspekte Bandbreite und internes Netzwerk entscheidend. Flaschenhals Nummer eins ist die Bandbreite. Nach Angaben von Wagner ist für eine Sprachleitung eine Bandbreite von 100 kbit/s nötig. Seit der Erhöhung der Anforderungen für die Grundversorgung per 1. Januar diese Jahres auf 2000 kbit/s Downstream und 200 kbit/s Upstream sollte dies für zumindest eine Leitung ausreichen, erklärt Wagner.

Dennoch könne im Einzelfall die Qualität nicht ausreichen, hebt Stäheli hervor. Eine sehr hohe Ausfallsicherheit könne gewährleistet werden, indem ein zweiter Provider hinzugezogen werde, um schwache oder unsichere Verbindungen zu überbrücken. Für VoIP-Berater Venzin gehört die Sorge um genügend Bandbreite hingegen der Vergangenheit an. In den meisten Regionen sei die Bandbreite für VoIP ausreichend, und nur in ganz wenigen Regionen sei es noch wirklich ein Problem. Dem pflichtet auch Bakom-Experte Blum bei. Er schätzt, dass es in der gesamten Schweiz nur wenige Anschlüsse gibt, bei denen es wirklich zu Engpässen käme. Diese könnten über den Kabelanschluss oder Mobilfunk beliefert werden. Satelliten seien hingegen keine Lösung, da der Übertragungsweg für VoIP zu lang sei, merkt Blum an.

Er betont, dass für die Sicherstellung der Mindestbandbreite alleinig Swisscom als Grundversorgungskonzessionärin verantwortlich sei. Dabei habe das Bakom die Anforderungen weitestgehend technologieneutral formuliert. Diese relative Freiheit bei der Erbringung der Grundversorgung hebt auch Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom, hervor.

Roger Vogler, Sales Manager Deutschschweiz bei People­phone, und Roger Schaller, Mediensprecher bei Sunrise, sehen aber auch in den internen Netzwerken von Kunden eine Schwachstelle. Vor einer Umstellung müsse dieses ausführlich auf seine Eignung für die IP-Telefonie überprüft werden. Eine saubere Netzplanung und ein grosses Verständnis der VoIP-Technologie seien hierbei zentral, betont Vogler. "Noch vor zehn Jahren waren die Netzwerke katastrophal", sagt Venzin. Inzwischen habe sich hier aber viel getan, und oft seien die Netzwerke der Unternehmen für die Umstellung gut geeignet, sodass es hier nur noch wenige Probleme geben dürfte. Zudem hätten die Unternehmen inzwischen einen hohen Grad an Routine und technisches Know-how entwickelt.

Erreichbarkeit wird aufwendiger

Für Venzin ist der einzige Vorteil von ISDN, dass diese Technologie ausfallsicherer ist als VoIP. Daher ist für Unternehmen bei Business-Kritischen Anwendungen die durchgehende Erreichbarkeit zentral. Venzin rät daher immer zwei getrennte Bandbreitenzulieferer zu wählen, damit es einen Backup bei Ausfällen gibt. Die sogenannte "Live-Line" ist für Businesskritische Anwendungen unverzichtbar. Nur redundante Systeme könnten diese sichern.

Gerade auf dem Feld der Live-Line gebe es viele innovative Lösungen, sagte Venzin. Beispielsweise werden bei einigen Anbietern beim Ausfall der VoIP-Leitung sofort alle Anrufe auf das Handy umgeleitet. Viele kleine VoIP-Anbieter würden in diesem Feld mit Innovationen glänzen und sich gegenüber den grossen Konkurrenten abheben, sagte Venzin.

Weichen werden jetzt gestellt

Bis zum Ende der ISDN-Telefonie wird noch einiges Wasser den Rhein hinunterfliessen. Momentan werden auf den Entscheidungsebenen in den Unternehmen die Weichen für die Zukunft der Telefonie gestellt.

Hiervon können  jene Fachhändler profitieren, die als "Trusted Advisor" KMUs auf ihrem Weg in die All-IP-Ära begleiten.

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