CSEM-Event

Nobelpreisträger, Graphen und smarte Start-ups am CSEM Business Day

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Am Dienstag hat der CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) Business Day 2017 im Verkehrshaus in Luzern stattgefunden. Teilnehmer aus Forschung und Industrie nutzten die Gelegenheit, den Rednern zu lauschen, zu diskutieren, neue Produkte zu begutachten und während Lunch und Aperitif neue Kontakte zu knüpfen.

Das private Forschungsinstitut CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) hat zum dritten Mal den CSEM Business Day organisiert. Am Anlass vergangenen Dienstag im Verkehrshaus in Luzern waren rund 300 Besucher dabei. Die Teilnehmer stammten aus verschiedensten Bereichen der Industrie und Forschung. Am Event zeigten ausserdem aus dem CSEM hervorgegangene Start-ups ihre Produkte und Technologien.

CSEM-CEO Mario El-Khoury eröffnete den Anlass und sagte: "Mikrotechnologie bildet das Herz jeder Technologie, denn die Mikrotechnologie verwandelt analoge, physikalische Signale in digitale." Der Anlass stehe auf jeden Fall im Zeichen einer "technologischen Avantgarde", sagte er weiter. Die Schweiz müsse um jeden Preis ein Land bleiben, das herstellt und industriell produziert. "Das verurteilt uns geradezu zur Innovation", sagte er. "Aber was für eine ruhmreiche Verurteilung! Die nehmen wir gerne an!"

Nobelpreisträger und Digital-Excellence-Leiter der EU-Kommission

Die beiden Hauptredner am Event waren Nobelpreisträger Kostya Novoselov und Thomas Skordas, Leiter des Bereichs Digital Excellence und Forschungsinfrastrukturen der Europäischen Kommission.

Kostya Novoselov, der 2010 für "bahnbrechende Experimente mit dem zweidimensionalen Material Graphen" zusammen mit Andre Geim den Physik-Nobelpreis bekam, stieg gleich ziemlich technisch ein. Graphen bestehe aus einer ein-atomaren Schicht aus hexagonal angeordneten Kohlenstoff-Atomen, erläuterte er. Damit ist es ein zweidimensionales Material. Es sieht aus wie eine Bienenwabe - nur ist es sehr, sehr dünn.

Novoselov versuchte, den Anwesenden das Material mit dem perfekten Atomgitter näherzubringen. Graphen habe hochinteressante elektronische und optische Eigenschaften, sagte er. Es sei sehr gut leitend und gleichzeitig äusserst transparent. Besonders Verbundmaterialien, die auf Graphen basieren, seien für vielerlei Anwendungen spannend. Ausser Elektronik unter anderem für Membranen, Tissue Engineering oder künstliche Haut. Zum Beispiel gebe es Kontaktlinsen, die Graphen und eine Nachtsichtfunktion enthalten.

Graphen könne man durch mechanische Exfoliation oder Liquid Phase Exfoliation gewinnen. Letzteres sei ähnlich wie herkömmliches Drucken. Antennen und Kabel aus Graphen könnten etwa Batterien überflüssig machen, Graphen könne zudem in Solarzellen und RFID-Anwendungen eingesetzt werden.

"Neue Materialien - neue Möglichkeiten"

Vielversprechend seien neue Verbundmaterialien, die über Graphen hinausgehen. "Solche Materialien kann man ganz entsprechend den gewünschten Eigenschaften designen." Novoselov hofft auf eine grössere Vielfalt an Materialien, die auch viel mehr Chancen bieten würden. Im Moment beruhe die gesamte Elektronik auf Silizium, und auch für andere Bereiche stünden nur wenige verschiedene Materialien zur Verfügung.

Die Redaktion führte während des Events auch ein Interview mit Kostya Novoselov.

Über Mittag fanden parallel mehrere Technologiesessions statt, an denen die Besucher neue Produkte des CSEM oder von CSEM-Start-ups kennenlernen konnten. Im Bereich Internet of Things und Wearables stellte etwa Insightness die Kombination von smarten Sensoren und deep learning vor.

EU-Kommission ist für kühne digitale Projekte und setzt auf zweite Quantenrevolution

Am Nachmittag sprach Thomas Skordas, Leiter des Bereichs Digital Excellence und Forschungsinfrastrukturen der Europäischen Kommission, über deren Pläne. Die Europäische Kommission konzentriere sich auf Internet Security, Artificial Intelligence, Cloud Computing, Neue Materialien, Additive Manufacturing, (Bio-)Sensoren und Photonik.

"Wir befinden uns im Zeitalter des Petascale Computing", sagte Skordas. "Die Rechenleistung ist bereits enorm. Und Quantum- oder neuromorphes Computing könnten bald zur zweiten Quantenrevolution führen." Die zweite Quantenrevolution bedeute, dass individuelle Quantenzustände mess- und manipulierbar sind.

Die erste Quantenrevolution führte zu Transistoren und Laser. Und selbst wenn es noch etwas dauert, bis Dinge wie Quantencomputer und neue Kryptographieverfahren wirklich bereit sind: Computer enthalten heute bereits 100 Millionen Transistoren pro Quadratmillimeter. Transistoren sind winzig geworden - und könnten bald noch kleiner werden, sagte Skordas weiter. Es könnte sein, dass molekulare Transistoren und dann auch atomare realisiert würden. "Die Elektronik befindet sich an einer entscheidenden Kreuzung. Es könnte auch sein, dass wir zur Spintronik wechseln, indem wir das magnetische Moment des Elektrons zur Informationsverarbeitung nutzen." Damit würde die gesamte Elektronik nochmal winziger – was nochmals mehr Rechenleistung auf kleinerem (Chip-)Raum möglich machen würde. Die EU-Kommission hält denn auch Hochleistungsrechner für das Herz von Fortschritt und Innovation im digitalen Zeitalter, und wolle die entsprechenden europäischen Firmen stärken. Zudem investiere man 130 Milliarden Euro in Quantentechnologien.

Ein ähnlicher Betrag soll in Augmented Reality (AR) und Robotik gesteckt werden. Die Kommission befasst sich auch mit dem Internet der nächsten Generation. Im Moment werde das Internet von vier, fünf grossen Firmen beherrscht. "Blockchain-Technologien könnten diese Macht viel stärker verteilen", sagte Skordas dazu. Die EU hat auch die Digital Skills der Bevölkerung erfasst – und 40 Prozent hätten die digitalen Fähigkeiten für ihren Job nicht, sagte Skordas. Ein Grund dafür sei, dass sich die IT über alle Bereiche ausbreite – von Bauern bis zu Ärzten brauche jeder digitale Fähigkeiten. Die EU-Kommission sei für entschiedene Aktionen und kühne Projekte im Themenbereich Digitalisierung, schloss Skordas seine Rede.

Mitdiskutieren an den World Café Round Tables

Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmer Chancen und Risiken der Digitalisierung in den Bereichen IoT, Energie und Gesundheit in kleinen Gruppen – an kleinen Tischen. Die Gruppenleiter fassten daraufhin die Ergebnisse im Plenum für alle zusammen.

Beim Apéro zum Schluss gab es noch einmal die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, künftige Kollaborationen anzubahnen oder in überzeugende Projekte und Start-ups zu investieren.

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