Tarnung mit Mikrofon und Lautsprecher

ETH entwickelt akustische Scheinwelten

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von Felix Würsten / ETH News

ETH-​Forschende haben ein raffiniertes Verfahren entwickelt, mit dem sich Objekte akustisch verbergen oder vorspiegeln lassen.

Diese Anlage der ETH lässt einen hören, was gar nicht da ist. (Source: ETH Zürich / Astrid Robertsson)
Diese Anlage der ETH lässt einen hören, was gar nicht da ist. (Source: ETH Zürich / Astrid Robertsson)

Wenn wir ein Musikstück hören, nehmen wir nicht nur die Töne wahr, welche die Instrumente erzeugen, sondern gleichzeitig auch ein Abbild der Umgebung, in der wir uns befinden. Denn die Schallwellen werden an Wänden und Objekten in unserer Umgebung reflektiert, so dass ein charakteristischer Klangeffekt - also ein spezifisches akustisches Feld - entsteht. Deshalb klingen Musikstücke in einer alten Kirche ganz anders als in einem modernen Betonbau.

Architekten machen sich diesen Umstand bereits seit langem zu Nutze, wenn sie beispielsweise Konzertsäle bauen. Doch das Prinzip lässt sich auch für andere Anwendungen nutzen, zum Beispiel wenn man im Untergrund verborgene Objekte sichtbar machen will. Dazu misst man, wie Schallwellen von einer bekannten Quelle reflektiert werden.

Aktive und passive Manipulation

Es gibt aber auch Wissenschaftler, die noch einen Schritt weitergehen wollen und das akustische Feld gezielt manipulieren möchten, um einen Effekt zu erzielen, den es aufgrund der realen Situation gar nicht geben dürfte. Man versucht beispielsweise, ein illusionäres Klangerlebnis zu schaffen, das einem vorgaukelt, man sei in einem Betonbau oder einer alten Kirche. Oder man verbirgt Objekte durch Manipulation des akustischen Feldes, so dass sie für den Hörer gar nicht mehr existieren.

In der Regel kommen dazu passive Methoden zum Einsatz, bei denen die gewünschte Täuschung durch entsprechende Gestaltung der Oberflächen mit Hilfe von sogenannten Metamaterialien erzeugt wird. Will man ein Objekt akustisch verbergen, beschichtet man beispielsweise dessen Oberfläche, so dass es keine Schallwellen mehr reflektiert. Allerdings funktioniert dieser Ansatz in der Regel nur in einem eng begrenzten Frequenzbereich, weshalb er für viele Anwendungen nicht in Frage kommt.

Aktive Methoden versuchen, die Täuschung durch eine Überlagerung mit weiteren Schallwellen zu erreichen. Das primäre akustische Feld wird also durch ein sekundäres Signal ergänzt. Doch auch bei diesem Ansatz sind die Möglichkeiten bisher limitiert, funktioniert er doch nur, wenn das primäre Feld im Voraus ungefähr bekannt ist.

Täuschung in Echtzeit

Die Gruppe von Johan Robertsson, ETH-​Professor für Angewandte Geophysik der ETH Zürich, hat nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der University of Edinburgh einen neuen Ansatz entwickelt, der die aktive Täuschung wesentlich verbessert. Unter der Leitung von Theodor Becker, Postdoc in Robertssons Gruppe, und Dirk-​Jan van Manen, der als Oberassistent an der Konzeption der Versuche massgeblich beteiligt war, haben es die Forschenden geschafft, das primäre Schallfeld in Echtzeit zu verfremden, wie sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Science Advances" berichten. Dadurch können sie nun Gegenstände akustisch verschwinden lassen oder nicht-​existente vorspiegeln.

Für das Projekt haben die Forschenden im Centre for Immersive Wave Experimentation, das sich im Innovationspark Zürich in Dübendorf befindet, eine grosse Versuchsanlage installiert, mit der sie die speziellen akustischen Effekte realisieren können. Konkret können sie mit dieser Anlage die Existenz ein rund zwölf Zentimeter grossen Objekt verbergen respektive einen ebenso grossen imaginären Gegenstand vortäuschen.

Im Zentrum der Anlage befindet sich ein Objekt, das akustisch unsichtbar gemacht werden soll. Das primäre akustische Feld wird von den Lautsprechern im äussersten Ring erzeugt. 228 Mikrofone im mittleren Ring zeichnen dieses Feld auf und senden Messdaten an einen Computer. Anschliessend erzeugen 36 Lautsprecher in der Mitte ein Signal, welches das primäre Feld verfremdet.

Das Zielobjekt wird dabei von einem äusseren Ring aus Mikrofonen umgeben sowie einem inneren Ring aus Lautsprechern. Die Mikrofone registrieren, welche akustischen Signale aus dem Primärfeld von aussen auf das Objekt eintreffen. Basierend auf diesen Messdaten berechnet dann ein Computer, welche sekundären Töne die Lautsprecher aussenden müssen, damit das primäre Feld in der gewünschten Art verfremdet werden kann.

Mit der Versuchsanlage lassen sich zwei Situationen simulieren. Beim Tarnen (links) sorgen die Mikrofone und Lautsprecher rund um das Objekt dafür, dass die Schallwellen der primären Quelle nicht reflektiert werden. Beim Vortäuschen (rechts) erzeugen sie eine akustische Illusion, so als ob sich in der Mitte ein Objekt befinden würde. (Source: Becker TS et al, Sci.Adv., 2021)

Aufwändige Technik

Soll das Objekt maskiert werden, senden die Lautsprecher ein Signal aus, das die am Objekt reflektierten Schallwellen vollständig auslöscht. Soll hingegen ein Objekt vorgetäuscht werden, ergänzen die Lautsprecher das primäre akustische Feld so, als würde in der Mitte der beiden Ringe ein Objekt Schallwellen zurückwerfen.

Damit diese Verfremdung klappt, müssen die von den Mikrofonen gemessenen Daten sehr schnell in Anweisungen für die Lautsprecher umgesetzt werden. Für die Steuerung nutzen die Forschenden daher sogenannte Field Programmable Gate Arrays (FPGAs), die eine sehr kurze Reaktionszeit haben und daher schnell reagieren.

"Mit unserer Anlage können wir das akustische Feld über einen Frequenzbereich von mehr als dreieinhalb Oktaven manipulieren", erklärt Robertsson. Die maximale Frequenz beträgt beim Maskieren 8700 Hz, beim Vortäuschen 5900 Hz. Bisher können die Forschenden das akustische Feld auf einer Fläche in zwei Dimensionen beeinflussen. In einem nächsten Schritt wollen sie nun das Verfahren auf drei Dimensionen ausdehnen. Und sie wollen auch den Einsatzbereich erweitern: Im Moment verfremdet das System Schallwellen, die in der Luft übertragen werden. Doch mit dem neuen Verfahren könnte man auch akustische Scheineffekte unter Wasser erzeugen, erklärt Robertsson. Er sieht dabei eine breite Palette von möglichen Anwendungen, beispielsweise in der Sensorik, in der Architektur, aber auch im Kommunikations-​ und Bildungsbereich.

Auch für die Erdwissenschaften ist die neue Technik von Interesse: "Im Labor bestimmen wir die akustischen Eigenschaften von Mineralien mit Hilfe von Ultraschallwellen, die eine Frequenz von mehr als 100 kHz haben. Im Feld hingegen untersuchen wir die Strukturen im Untergrund mit seismischen Wellen, die eine Frequenz von weniger als 100 Hz haben", erklärt Robertsson. "Mit dem neuen Verfahren können wir diesen 'toten Bereich' nun überbrücken."

Andrew Curtis, Professor für mathematische Geowissenschaften an der Universität von Edinburgh (GB), ergänzt: "Diese Zusammenarbeit begann vor 15 Jahren, als die zugrundeliegende Theorie entwickelt wurde, was die Langfristigkeit wissenschaftlicher Projekte verdeutlicht. Die Finanzierung durch den Europäischen Forschungsrat, der europäische Wissenschaftler zusammenbringt, war der Schlüssel dazu."

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der ETH Zürich.

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