Zweiter Tag des Swiss E-Gov Forum 2020

Verwaltungen entdecken die Digitalisierung von unten

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E-Government – das hört sich vielleicht an wie Bürokratie aus der Steckdose. Aber weit gefehlt: Statt nur Top-Down-Strategien zu befolgen, lancieren Gemeinden und Kantone ihre eigenen Digitalisierungsprojekte. Auch auf Bundesebene kommt einiges voran.

Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich. (Source: Netzmedien)
Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich. (Source: Netzmedien)

Der Befund klingt mittlerweile wie ein Mantra. Seit etwa 10 Jahren zeigen Studien immer wieder aufs Neue: In puncto E-Government hinkt die Schweiz anderen Ländern hinterher. Auch deswegen, weil eine Voraussetzung für den Ausbau von E-Gov-Diensten, nämlich die E-ID, zum Zankapfel wurde.

Das Referendum gegen das E-ID-Gesetz des Bundes kommt voraussichtlich Ende September vors Stimmvolk. Derweil werben inzwischen fünf Anbieter von E-ID-Lösungen um die Gunst der Nutzer, wie Urs Paul Holenstein, Leiter des Fachbereichs Rechtsinformatik im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, am Eröffnungstag des Swiss E-Government Forums 2020 in Bern sagte. Lesen Sie hier den Bericht zum diesjährigen Auftakt des Events.

Der zweite Tag zeigte jedoch ein anderes Bild. Eines, das die Verwaltungen nicht als Verwahrer von Aktenordnern zeigt, sondern als projektfreudige Teams, die zusammenspannen und die digitale Transformation selbst in die Hand nehmen.

Ein kleiner, aber lukrativer Markt

Ein Beispiel dafür ist der Digitalisierungshunger der Gemeinden. Den belegte Matthias Stürmer von der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit mit Zahlen: Vor fünf Jahren zählte die Schweiz insgesamt 181 Mobile Apps von Behörden; heute sind es bereits 334. Davon stammen 36 Prozent von Gemeinden, 21 Prozent vom Bund und jeweils 12 Prozent von Kantonen und Hochschulen.

Matthias Stürmer, Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit am Institut für Informatik der Universität Bern. (Source: Netzmedien)

120 dieser Behörden-Apps gehören also Gemeinden. Der Markt für solche Gemeinde-Apps ist überschaubar: Drei Viertel aller Aufträge gingen an nur drei Hersteller. Die Top-3-Anbieter sind:

  • I-Web mit einem Marktanteil von 43 Prozent

  • Anthrazit mit einem Marktanteil von 26 Prozent

  • Interactive Friends mit einem Marktanteil von 6 Prozent

Mit 40'000 Franken müssen Sie rechnen

Was kostet denn so eine App? "Das ist in etwa so, wie wenn man danach fragt, wie viel ein Haus kostet", sagte Stürmer. Die Preise können also stark variieren, je nach Funktionalität. Immerhin gibt es Richtwerte, beispielsweise vom Offertenportal Gryps. Daraus geht hervor: 18'000 Franken für eine App – das wäre ziemlich günstig. "Für eine durchschnittliche App muss man mit 40'000 Franken rechnen", sagte Stürmer. "Es kann aber schnell teurer werden."

Dennoch seien Mobile Apps unter den Behörden sehr gefragt, und zwar auf allen Verwaltungsebenen. Technologische Entwicklungen begünstigen den Trend. Denn Cross Platform Frameworks wie etwa Cordova, Ionic oder Flutter, aber auch Progressive Web Apps würden das Erstellen von Apps effizienter gestalten – nach dem Motto: Write once, use everywhere.

Die virtuelle Anlaufstelle für alle Behördendienste

Eine ähnliche Devise verfolgt der Verein hinter iGovPortal.ch. Die Idee: ein E-Gov-Projekt von und für Kantone – plus die dazugehörigen Gemeinden. Das Portal soll den Bürgerinnen und Bürgern als virtueller Schalter dienen; als Anlaufstelle für alle möglichen Behördendienste – von der Betreibungsauskunft über das Ausstellen vom Jagd- oder Eheschein bis hin zur Online-Steuererklärung.

Die Lösung ist bereits in den Kantonen Fribourg, Jura, Solothurn und St. Gallen im Einsatz. Ziel des Vereins ist es, E-Government in der Schweiz zu standardisieren – und zwar mithilfe einer Lösung, die auf allen Geräten funktioniert, für jeden Nutzer nachvollziehbar und barrierefrei ist, wie Stéphane Schwab, Leiter des E-Government-Sekretariats des Kantons Fribourg, sagte.

Stéphane Schwab, Leiter des E-Government-Sekretariats des Kantons Fribourg. (Source: Netzmedien)

Die Verwaltungen wie auch die Bürgerinnen und Bürger könnten die Plattform an ihre Bedürfnisse anpassen, sagte Schwab. Aber der grosse Vorteil sei ein anderer: Kommt eine neue Gemeinde hinzu, kann sie bestimmte Basisdienste wie beispielsweise E-Payment oder die elektronische Signaturlösung einfach übernehmen oder allenfalls anpassen. Das heisst: Die Verwaltungen müssten nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, sagte Schwab. "So bleibt mehr Geld für innovative Projekte übrig."

Es lichtet sich im Datenschutz-Dschungel

Wer Innovationen umsetzen will, braucht nicht nur Erfindergeist und Mut, sondern auch Ausdauer. Besonders in der Politik. Da kann es Jahre dauern, bis man sich überhaupt erst darauf einigt, wo denn das Problem liegt. Und wenn es so weit ist, sind plötzlich alle verwirrt, weil sich herausstellt: Die Lösung ist aufwändiger als gedacht, und von Rechtssicherheit fehlt scheinbar jede Spur.

So kommt es wohl vielen Menschen vor, die sich in den Verwaltungen wie auch in Unternehmen mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen. Kein Wunder, denn auch in der Schweiz durchlebten die Datenschutz-Reformen lange Zeit eine dunkle Phase, wie Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich, sagte.

Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich. (Source: Netzmedien)

Insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung der EU habe hierzulande für Unsicherheit gesorgt. "Das hat dazu geführt, dass Datenschutzexperten wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Seither habe ich mehr Unsinn über Datenschutz gehört als in den ganzen letzten 20 Jahren", sagte er. Viele unterlägen diesbezüglich einer grossen Fiktion. Und zu viele Datenschutzrechtler hätten daraus ein Geschäftsmodell gemacht.

Die Banalität des Bussgelds

"Es tönt fast wie eine Sensation: Die DSGVO ist in der Schweiz nicht anwendbar", sagte Baeriswyl. Es sei völlig unmöglich, das alles zu vollziehen. Und die angedrohten Bussgelder? Die könnten nicht vollstreckt werden, denn es gibt keine entsprechenden internationalen Abkommen.

Das grosse Aber: Viele Instrumente aus der DSGVO fliessen in das hiesige allgemeine Datenschutzrecht ein. Was dessen Reform angeht, steht der nächste Meilenstein kurz bevor: die Schlussabstimmung über das revidierte Datenschutzgesetz. Am 20. März dürfte sie stattfinden, und per Anfang 2021 könnte das DSG in Kraft treten. "Das ist die grosse Hoffnung", sagte Baeriswyl. Zwar gebe es noch kleine Differenzen, die seien aber lösbar.

Dass sich Differenzen in der Politik mitunter überraschend auflösen können, zeigte Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner auf. Er referierte über die Revision des Beschaffungsrechts und untermalte das vermeintlich trockene Thema mit trockenem Humor. Und mit pointierten Meinungen.

Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht. (Source: Netzmedien)

Steiners Kernaussage lautete: Das totalrevidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das im vergangenen Juni verabschiedet wurde, ist ein Paradigmenwechsel: vom Preis- zum Qualitätswettbewerb.

"Geiz ist geil" war gestern – heute zählt Verantwortung

Die Revision schaffe Anreize dafür, dass "neoliberale" Prinzipien im Beschaffungswesen über Bord geworfen würden. „Nicht mehr bloss Marktöffnung, Preiswettbewerb und Geld geben den Ausschlag, sondern Nachhaltigkeit, Qualitätswettbewerb und Innovation.“ Es soll also nicht mehr nur das finanziell günstigste Angebot zum Zug kommen, sondern das vorteilhafteste.

Dies erfordere allerdings ein Umdenken; eine Erneuerung der Vergabekultur. Ziel sei es, dass der Mut zu einer volkswirtschaftlichen Verantwortung belohnt werde, und nicht etwa eine "Geiz-ist-geil-Mentalität". Steiner zufolge bedingt dies auch eine Professionalisierung der Einkaufsorganisationen. "Es braucht mehr Intelligenz in der Bedarfsdefinition", sagte er. Was beispielsweise Nachhaltigkeit genau bedeute, müsse in jedem Einzelfall genau erklärt werden. "Das Vergaberecht wird komplizierter, aber in gewisser Weise wird es hoffentlich auch einfacher, weil alle dasselbe machen."

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