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So können virtuelle Realitäten UCC bereichern

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von Rüdiger Sellin, freier Fachjournalist (MAZ/SFJ)

Dass Videokonferenzen oder pure Onlinemeetings ermüdend sein können, kann der eine oder andere Sitzungsteilnehmer in den letzten zwölf Monaten sicher bestätigen. Dabei könnte die User-Experience deutlich lebendiger ausfallen, wenn man mehrere Sinne gleichzeitig anspricht.

Bei den Stichwörtern Augmented Reality (AR) oder Virtual Reality (VR) denken die meisten wohl eher ans Gamen auf der Playstation. Da passt es, dass Sony vor wenigen Wochen eine neue VR-Brille speziell für die PS5 ankündigte. Zwar kann man jenes für die PS4 konzipierte VR-Headset per Kamera-Adapter auch auf der PS5 nutzen, was Hardcore-Gamer aber kaum zufriedenstellt. Denn "State of the Art" sieht anders aus, was natürlich auch Sony weiss. So wird die aktuelle Sony-Konsole ein eigenständiges VR-Headset erhalten, um den Gamern ein ultimatives Entertainment-Erlebnis bieten zu können.

 

Zwei Dimensionen auf Dauer zu wenig

Bei langen Sitzungen hingegen denkt ein User wohl kaum als Erstes an AR oder VR. Aber warum sollte man Unified Communications & Collaboration (UCC) nicht um die Dimension Raum erweitern? Wie wäre es zum Beispiel, eine Onlineschulung oder eine simple Präsentation damit zu beleben? Dank UCC mit vollständig IP-basierter Kommunikationsinfrastruktur sind die technischen Voraussetzungen zur Endgeräteverbindung seit Jahren gegeben, solange auch in den Heimbüros genügend Bandbreite vorhanden ist. Flaschenhals ist hier oft die langsame Übertragung vom Endgerät des Users zum Server (Upstream), die sich besonders bei hohen Videoanteilen bemerkbar macht. Ideal sind also symmetrische Bandbreiten ähnlich wie im Ethernet in Firmenbüros.

 

Doch was bringen virtuelle Erlebniskomponenten eigentlich? AR und VR transportieren Botschaften und Inhalte weitaus eindrucksvoller, als man es von klassischen Medien gewohnt ist. Neben der 360-Grad-Begehung einer entfernten Lokalität wird der AR- und VR-User ein echter Teil des Ganzen und erhält neue Erfahrungen und Perspektiven. Diese neuen Technologien sind mehr als ein reines Marketing- und Vertriebsinstrument. AR und VR können die Produktentwicklung und -einführung sowie die Positionierung einer Marke beleben. Sie können Prozesse anschaulicher darstellen, neue Geschäftsmodelle entwickeln oder die Neukundengewinnung ankurbeln. Ausbildungen und Schulungen werden um die räumliche Erlebnisebene erweitert.

 

Unterhaltsame Museen und Erkundigungen

Dazu zwei Beispiele: Besonders Jugendliche empfinden den Museumsbesuch mit den Eltern oder ihrer Schulklasse oft als langweilig und öde. Innovative Anbieter wie das Deutsche Museum in München hingegen ermöglichen das Eintauchen in virtuelle Erlebniswelten. So können Besucher in dessen "VRlab" ausgewählte Objekte mithilfe von speziellen Virtual-Reality-Brillen und Controllern erkunden, sich über weite Entfernungen "beamen" oder direkt mit den Objekten interagieren. Beispielsweise kann man sich den Dampfkreislauf einer Sulzer Dampfmaschine anzeigen lassen, den Flugpionier Otto Lilienthal auf einen Flug mit seinem Lilienthalgleiter schicken oder auf einem Fahrsimulator über die Mondoberfläche fahren. Ein erster Eindruck am heimischen Bildschirm wird hier vermittelt.

 

Ein Einblick in das deutsche Museum auf einer virtuellen Tour. (Source: Screenshot virtualtour.deutsches-museum.de)

 

Auch den Kanton Waadt kann man über ein neues, interaktives Portal mit ein paar Mausklicks erkunden. Die 360-Grad-3-D-Technologie wird dazu verwendet, adaptive Inhalte zu schaffen und 3-D-Videos zu drehen. Die Landschaften der Region lassen sich auch mit einer VR-Brille der neusten Generation betrachten. Diese Technologie erlaubt eine leichtere Integration in soziale Netzwerke wie Facebook 360 und Youtube. Damit kann man den Peak Walk auf Glacier 3000, das Drehrestaurant Kuklos oberhalb von Leysin, die Weinberge im Lavaux oder die Felswände des Chasseron erleben, aber auch die Kathedrale von Lausanne, den Lac de Joux, Château-d'Oex oder die Arena von Avenches. Oder man begibt sich an Bord eines Schiffes und passiert das Schloss Chillon.

 

Tiefere Kosten, weniger CO2

Auch der Businessbereich als primärer UCC-Nutzer entwickelt sich in Richtung AR und VR. Laut Vodafone Deutschland sparen Unternehmen damit Arbeits- und Reisekosten und verweist auf den Verband Deutsches Reisemanagement. Dessen Geschäftsreiseanalyse 2020 ergab, dass deutsche Unternehmen im Durchschnitt 312 Euro pro Geschäftsreise aufwenden. Substituiert man die vielen Vor-Ort-Meetings durch eine virtuelle Zusammenarbeit, werden Entscheidungszeiträume deutlich verkürzt, was den kürzeren Produktlebenszyklen entgegenkommt. Man spart Kosten und senkt zudem den CO2-Ausstoss.

Diese Argumentation bildet auch im Handel ein gutes Argument für den Einsatz von VR. Denn das Covid-Virus hat uns nicht nur in unsere Heimbüros verbannt, sondern auch das Onlineshoppen deutlich verstärkt. Virtuelle Assistenten erleichtern dabei den Kaufprozess und intensivieren das Kauferlebnis. Auch der Automobilhandel freut sich über die zunehmende Anzahl Onlinekäufer, die ihr Wunschfahrzeug vor dem Kauf frei gestalten und fast beliebig individualisieren können – ein sinnliches Erlebnis innen wie aussen.

 

Technische Innovationen

Bereits zu Zeiten von Windows 95 und 98 oder in den bekannten Imax-Kinos konnte man VR mit 3-D-Brillen erleben. Smartphones gab es noch nicht, aber der Anfang war gemacht. Unterdessen können Mobilfunknetze wie 4G und 5G hohe Bandbreiten an praktisch jedem Ort bereitstellen, solange entsprechende Sender vorhanden sind. Der Pferdefuss ist jedoch die schwere und klobige VR-Hardware. Hier wird die Entwicklung leichterer und kompakterer VR-Brillen mit 4k- und 8k-Auflösung erwartet. Auch zur Verkabelung sollte man sich Gedanken machen und am besten durch drahtlose Übertragungen ersetzen.

Von gehobenen Fahrzeugen kennt man sogenannte Head-up-Displays (HUDs), die sicherheitsrelevante Informationen direkt an die Windschutzscheibe des Fahrers projizieren. Ganz ähnlich funktionieren Datenbrillen, wo im durchsichtigen, integrierten Display Informationen quasi vor dem Auge schwebend eingeblendet werden. In der industriellen Produktion lassen sich dank AR etwa Maschinen und Prozesse per Sprachbefehl oder Gesten steuern. So entwickelten Swisscom und der Schweizer Medizinaltechnik-Hersteller Ypsomed bereits im Frühjahr 2017 AR-Anwendungen für ausgewählte Produktionsprozesse via 5G.

 

Qualitätskontrolle bei Ypsomed mit AR-Brillen. (Source: Ypsomed)

 

Im Rahmen des Projekts hat Ypsomed ihre Produktionsprozesse für Injektion-PENs über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg digitalisiert. In ihren Produktionshallen nutzt Ypsomed 5G zur Digitalisierung des Warenbezugs und der Warenverfolgung über den gesamten Produktionsprozess, für Echtzeit-Auswertungen von Maschinendaten, zur Virtualisierung von Computer-Ressourcen sowie für Qualitätstests einzelner Bauteile über AR-Brillen. Dadurch wurden die Prozesse erheblich vereinfacht, noch sicherer und deutlich effizienter. Dank papierloser und automatisierter Dokumentation der Prozesse, verminderter Produktionsunterbrechungen, kürzerer Reaktionszeiten und vorausschauender Wartungsdiagnosen werden Kosten reduziert und die hohe Fertigungsqualität gesichert.

 

Fazit

Mit AR und VR bietet sich privaten und geschäftlichen Zielgruppen die Möglichkeit, Orte, Leistungen oder Produkte emotionaler und intensiver zu erleben. Und weil mehr unserer fünf Sinne intensiver angesprochen werden, können wir uns auch nachhaltiger daran erinnern. Im Businessbereich wird eine Marke oder ein Produkt positiver erlebt, was die Bindung zum jeweiligen Unternehmen stärkt. Und statt langweiliger Online-Meetings oder -Trainings erleichtern AR und VR die Identifikation mit einem präsentierten Inhalt oder etwas Gelerntem deutlich.

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