Vis-à-vis Kenneth Ong

Zwischen Kostendruck und KI - wie der neue Schweiz-Chef Ericsson ausrichten will

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von Coen Kaat

Im September ist Kenneth Ong zum Country Manager bei Ericsson Schweiz aufgestiegen. Nach 100 Tagen in dieser Funktion zieht er ein erstes Fazit. Im Interview spricht er über seine Ziele, die Hürden, die im Weg stehen, und wie er diese anpacken will.

Kenneth Ong, Country Manager von Ericsson Schweiz. (Source: Netzmedien)
Kenneth Ong, Country Manager von Ericsson Schweiz. (Source: Netzmedien)

Sie sind nun 100 Tage im Amt als Country Manager von Ericsson Schweiz. Auf welche Ihrer bisherigen Leistungen sind Sie besonders stolz? 

Kenneth Ong: Ich konnte in den ersten 100 Tagen die meisten Stakeholder treffen, mich vorstellen und auch die Wichtigkeit unseres Geschäfts und einer funktionierenden Mobilfunkinfrastruktur betonen. Ich bin natürlich schon eine Weile bei Ericsson, aber in meiner vorherigen Position lag mein Fokus primär auf Swisscom. Nun durfte ich sämtliche Kunden in der Schweiz und auch in Italien über Vodafone kennenlernen und sie von der Partnerschaft mit uns überzeugen. Es war mir wichtig, ein Zeichen zu setzen, dass wir uns der Bedeutung der Digitalisierung bewusst sind und dass wir als Mobilfunknetz-Provider einen sehr starken Beitrag zur digitalen Transformation der Schweiz und in Italien beitragen können. 

Was war Ihre erste Amtshandlung als Schweiz-Chef?

Bei uns in der Organisation klarzumachen, dass ich eine offene Tür für alle habe. Es war mir wichtig, dass meine Mitarbeitenden mich weiterhin einfach als "Ken" wahrnehmen. Ich habe zwar eine neue, wichtigere Rolle, aber ich bin nach wie vor derselbe Mensch. 

Wie hat das Team auf Ihre neue Funktion im Unternehmen reagiert? 

Ich konnte mit einer sehr positiven Reaktion der Mitarbeitenden in diesen neuen Job starten. Man ist natürlich immer stolz darauf, wenn man positives Feedback erhält. Das half mir aber auch, das Schweiz-Geschäft noch motivierter anzupacken. 

Was waren die Hintergründe für diesen Führungswechsel?

Mein Vorgänger, Martin Bürki, fasste nach langer Zeit den Entschluss, sich weiterzuentwickeln. Er hat Ericsson Schweiz über ein Jahrzehnt geführt. Heute ist er Präsident der Eidgenössischen Kommunikationskommission (Comcom). Für mich war es natürlich eine schöne Bestätigung, als ich seine Nachfolge antreten durfte, und für die Mitarbeitenden sorgte dies für Kontinuität. Gleichzeitig ist es in einem internationalen Unternehmen auch wichtig, zu zeigen, dass wieder ein Schweizer am Steuer ist - auch wenn ich vielleicht nicht typisch schweizerisch aussehe (lacht). Ich denke, das war ein wichtiges Zeichen für unsere Kunden. 

Sie sind vor sechs Jahren zu Ericsson gestossen. Haben Sie damals schon gedacht - oder sogar geplant -, dass Sie den Laden irgendwann schmeissen werden?

So etwas ist schwierig zu planen. Mein Motto war aber schon immer, stets das Beste zu geben, jede Challenge anzunehmen und vor keiner Chance zurückzuschrecken. Diese Einstellung hat mir auf meinem bisherigen Weg immer sehr geholfen. Dank dieser Haltung, meinem grossartigen Team und der Art, wie wir intern und mit unseren Kunden zusammenarbeiten, können wir uns immer wieder neuen Herausforderung stellen und neue Chancen ergreifen.

Was ist "typisch Ken", das Sie nun bei Ericsson einbringen wollen?

Am Ende des Tages sind wir alle Menschen. Ich bin ein Familienmensch; wieso sollte ich mich im Geschäftsalltag verstellen? Ich möchte allen auf Augenhöhe begegnen und sie unterstützen. Jeder hat seinen Platz im Unternehmen, und ich bin überzeugt, dass jeder weiss, was seine Qualitäten sind und wie er oder sie das Maximum für die Firma herausholen kann. Ein wichtiger Punkt ist es aber auch, Spass dabei zu haben. Schliesslich verbringen wir sehr viel Zeit im Geschäft. Es müssen jetzt nicht alle im Unternehmen gleich "best Buddys" werden. Aber wenn wir es schaffen, eine Atmosphäre der Freude zu kreieren, macht dies alles einfacher. Ich mache auch mit: Ich bin ja eigentlich ein Kindskopf und das ist völlig OK (lacht).

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben? 

Meine Mitarbeitenden hören von mir eigentlich nie ein "Nein". Wenn jemand mit einer Frage oder einem Anliegen kommt, dann möchte ich darüber reden und wissen, was es zu berücksichtigen gibt. Das Schönste ist ja, wenn man gemeinsam ein Aha-Erlebnis haben kann. So eine Arbeitsumgebung führt dazu, dass die Mitarbeitenden sich gehört und befähigt fühlen. Empowerment und Coaching sind für mich ganz zentral in der Führung. Ich sage immer, ich bin nicht die smarteste Person im Raum (lacht). Das soll heissen: Ich bin kein Micromanager - ich vertraue meinen Mitarbeitenden und ihren Fähigkeiten. Ich will, dass auch mein Team ohne angezogene Handbremse arbeiten kann. Die Richtung gebe aber ich an. Schliesslich ist es ja nicht sinnvoll, wenn das Team so kreativ ist, dass es beginnt, Seife statt Netzwerkprodukte herzustellen. 

Was sehen Sie als die dringendste Aufgabe, die Sie und Ihr Team jetzt machen müssen?

Wir operierten lange in einer festen Struktur mit Kundenlösungen, die über Jahre gewachsen sind. Wir modernisierten Netzwerke und stellten Kapazitäten bereit - vor allem für Swisscom. Nun ist das Momentum da, das Mobilfunknetz 5G auch für andere Anwendungen zu nutzen.

Zum Beispiel? 

Blaulicht-Organisationen oder das Future Railway Mobile Communication System (FRMCS), ein Kommunikationssystem für den Schienenverkehr. Es zeichnet sich ab, dass unter anderem auch der Bund und die Kantone 5G für den Einsatz im Bereich
der öffentlichen Sicherheit nutzen wollen. So können wir nun alte Technologien ablösen. Ich war vor etwa einem Monat bei einem 5G-Anlass. Als ich die Ausrüstung für einen Einsatzleitwagen der Feuerwehr sah, bin ich fast ein wenig erschrocken: In so einem Fahrzeug sind mittlerweile sieben SIM-Karten drin! Die Fahrzeuge müssen über ein halbes Dutzend Videostreams verarbeiten: Wärmebildkameras, Bodycams der Einsatzkräfte, Drohnenaufnahmen. Deshalb brauchen sie mehr Bandbreite, als über eine einzelne SIM-Karte zur Verfügung gestellt werden kann. Das zeigt einmal mehr, wie die Infrastruktur das Rückgrat für weitere Dienste bildet - und wo wir einen Nachholbedarf haben. 

Wie wollen Sie dieses Thema anpacken?

Hier geht es auch darum, dass wir uns jetzt Kompetenzen im Stakeholder-Management aneignen müssen. Wir müssen stärker in Mission-Critical-Themen denken. 5G ist wirklich die Technologie für geschäftskritische Anwendungen. Hier haben wir das Potenzial, noch stärker präsent zu sein. Gerade jetzt, wo sich der Mobilfunk an einem kritischen Punkt befindet, ist dies für unser Geschäft wichtig. 

Was meinen Sie mit "einem kritischen Punkt"?

Schon vor den Rabattaktionen rund um den Black Friday gab es Mobilfunkabos für 9.90 Franken im Monat. Dafür erhalten die Kunden unlimitierte Gespräche und 3 Gigabyte Roaming. Für die Kunden ist das natürlich sehr vorteilhaft - aber für die Anbieter ist es problematisch. Wir sind schon jetzt auf einem Preisniveau, auf dem wir unter Umständen punkto Qualität und Nachhaltigkeit sehr viel kaputtmachen könnten in der Branche. Wenn ein Mobilfunkabo pro Monat so viel kostet wie zwei Tassen Espresso, machen wir etwas falsch. Bei diesen Themen müssen wir mit der Swisscom und den weiteren Betreibern zusammenarbeiten, um Anwendungen zu finden, bei denen man die Fähigkeiten des 5G-Netzwerks voll nutzen kann. Das machen wir aktuell noch nicht. Heute verwenden wir das Netzwerk vor allem für Streaming- und Over-the-top-Services.

5G birgt ja beispielsweise auch ein grosses Potenzial für Connected Factorys. Was für Anwendungen sehen Sie hier am Horizont?

Diesen Bereich, Connected Factorys, bearbeiten wir schon seit der Lancierung von 5G. Zusammen mit unseren Kunden haben wir schon die verschiedensten Use Cases geprüft. Aber wir müssen in der Digitalisierung noch immer grosse Schritte machen. Firmen sehen das Bedürfnis - spätestens wenn Kostendruck und Fachkräftemangel bei ihnen an der Tür klingeln. Wichtig ist, dass man 5G nicht einfach als Technologie vorstellt, sondern die Digitalisierung eines Prozesses in den Vordergrund stellt. Denn für den Kunden spielt es am Ende eine untergeordnete Rolle, ob man seine Arbeitsabläufe mit Bluetooth, WLAN oder eben Mobilfunk via 5G umsetzt. 

Weshalb eignet sich gerade 5G dafür?

5G bietet eine höhere Genauigkeit bei der Positionierung und einen grösseren Durchsatz beim Datenvolumen als WLAN. Auch im Bereich Security bietet 5G Optionen, die es bei WLAN nicht gibt. 5G öffnet auch bei der Mobilität wortwörtlich neue Türen: Man kann nahtlos von einem Innenbereich hinaus ins Makro-Netz übergehen. Beim WLAN ist man immer an einen Campus gebunden.  

Was für Anwendungsmöglichkeiten bietet dieser nahtlose Übergang?

Wir werden in Zukunft sicherlich einige Anwendungen sehen, die den Innen- und den Aussenbereich miteinander verschmelzen. Ich denke hier etwa an Tracking-Möglichkeiten. So kann man die gesamte Wertschöpfungskette verfolgen: von der Fertigstellung in der Fabrik über den Verlad in einen Lastwagen bis zur Enddestination. Das kann Mobilfunk bieten.

Ich möchte gerne auf den Kostendruck zurückkommen. Wie äusserst sich dies in Ihrer Branche?

Es ist nicht nachhaltig, wie die Industrie derzeit unterwegs ist. Das Mobilfunknetz ist das Rückgrat der Digitalisierung - es ist zu wichtig, als dass wir es für 10 Franken im Monat verschenken könnten. Auch unabhängig vom Blaulichtbereich sieht man, wie wichtig, wenn nicht sogar essentiell, das Netzwerk heutzutage für Unternehmen geworden ist. Was würden wir wohl zu hören kriegen, wenn wir das Netz für einen Tag abstellen?

Naja, vermutlich nichts (lacht).

Genau (lacht), oder eben sehr viele Reklamationen. Deswegen müssen wir als Telko- aber auch als ICT-Industrie noch einmal über die Bücher. 

Wie sollte die Branche auf den Kostendruck und Tiefstpreise für Abos reagieren?

Schlussendlich liegt die Lösung im Mehrwert, den wir bieten und den wir den Kunden auch klarmachen müssen. Die Kunden müssen aber auch bereit sein, für diesen Mehrwert zu zahlen. 

Was sind mittel- bis langfristig Ihre Ziele für Ericsson Schweiz? 

Hier kann ich nahtlos an das zuvor Gesagte anknüpfen. Wir wollen unsere Präsenz im Mission-Critical-Umfeld stärken. Zugleich wollen wir den Netzbetreibern neue Geschäftsfelder ermöglichen - auch im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Im Gegensatz zu früheren Anwendungen sehen wir hier mittlerweile auch einen sehr hohen Uplink-Demand. Das hat zwar bereits mit Social-Media-Plattformen wie Tiktok angefangen. Aber das Prompten auf KI-Plattformen führt zu einer Steigerung im Uplink-Traffic, den wir uns nicht gewöhnt sind. Und nun werden KI-Agenten auch untereinander kommunizieren. Unsere Netze sind vor allem auf Streaming und Downloads ausgerichtet. KI ändert die Anforderungen an die Infrastruktur.

Wie bereiten Sie Ericsson auf diese Ziele und neuen Gegebenheiten vor?

Wir investieren stark in die Entwicklung unserer Produkte. Unsere Engineering-Teams können Trends frühzeitig erkennen und somit auch schon früh in unsere Lösungen integrieren. Zudem investierten wir bereits vor etwa 7 Jahren in die Entwicklung eigener Halbleiter. Sämtliche Hardwareprodukte, die man auf den Radioantennen sieht, haben bereits dedizierte Chips drin. Wir sind jetzt schon in der Lage, auf diesem Equipment KI-Anwendungen zu implementieren. Der zweite Punkt betrifft die Organisation beziehungsweise das Stakeholder-Engagement. Wir müssen Ericsson auch ausserhalb unseres Traditionsgeschäfts - also etwa in der Politik, aber auch bei Blaulichtorganisationen und Bahnunternehmen - als wertschöpfenden Player etablieren. 

Sie sagten, Ericsson investierte in eigene Halbleiter? Produzieren Sie auch selbst Chips? 

Wir haben kein eigenes Fab, in dem wir Chips produzieren. Davon gibt es ja auch nicht viele auf der Welt. Die Produktion erfolgt über eine Partnerschaft. Aber das ganze Design, das Layout der Schaltkreise, das übernehmen wir selbst. 

Wo sehen Sie die grössten Hürden in Ihrem Geschäft?

Hürden gibt es in vielen Dimensionen. Das beginnt schon bei der schwierigen Topologie aufgrund der Alpen. Bisher haben wir das Netzwerk aufgrund der Bevölkerungszentren ausgebaut - da, wo Menschen sind, stellen wir Kapazitäten bereit. So erzielten wir eine Abdeckung von 99,9 Prozent. Aber manche geschäftskritische Anwendungen erfordern eine komplette geografische Abdeckung - also auch dort, wo es vielleicht keine Menschen, sondern nur ein paar Gämschi und Murmeli gibt (lacht). In diesen Regionen die erforderliche Infrastruktur zu bauen, ist genauso wichtig wie herausfordernd. Zudem haben wir in der Schweiz aufgrund von Nachhaltigkeits- und Sicherheitsanforderungen sehr starke Grenzwerte bezüglich der Leistung, was natürlich einen Ausbau herausfordern kann. Und als dritten Punkt kommt hier wieder der Kostendruck ins Spiel: bei uns, bei unseren Kunden und bei den Behörden. Wir sind motiviert, die Komplexität aus dem Netz zu nehmen. Seit der Abschaltung von 3G betreiben wir noch immer zwei Generationen in unserem Netzwerk - 4G und 5G. Wir prüfen laufend, wann man eine Technologie frühzeitig abschalten kann, um einerseits Betriebskosten zu sparen und andererseits die freigewordenen Ressourcen in zusätzliche Leistung oder neue Technologien zu stecken. 

Sie kennen die Schweizer Telko-Branche schon seit fast 20 Jahren. Was sind derzeit die wichtigsten Entwicklungen in dem Geschäft?

Die Nachhaltigkeit ist aktuell ein sehr wichtiges Thema im Zusammenhang mit Net-Zero-Versprechen. Die Schweiz will dieses Ziel bis 2050 erreichen. Gleichzeitig müssen wir aber weiterhin die gewohnten Services zur Verfügung stellen - dies ist ein schwieriger Balanceakt. Ich verstehe natürlich auch, wenn jemand keine Antenne im Garten haben möchte. Um solche Debatten werden wir in der nahen Zukunft nicht herumkommen. 

Wo sehen Sie das grösste Ausbaupotenzial für unsere Netzwerke?

Um die hohen zusätzlichen Kapazitäten abdecken zu können, ist der Ausbau der TDD-Technik im mittleren Frequenzband sehr wichtig. Dieses sogenannte Zeitduplexverfahren (TDD) ermöglicht Uplink und Downlink, und damit das gesamte Frequenzspektrum zu nutzen. Dies bietet die Möglichkeit, innovative Dienste zu schaffen, die mit 5G-Standalone und differenzierter Konnektivität einhergehen. Des Weiteren sollte der Fokus stärker auf den Innenbereich gelegt werden. Gemäss verschiedenen Reports werden etwa 70 bis 80 Prozent des Traffics indoor generiert.

Sie erwähnten vorhin bereits KI - vor allem im Zusammenhang mit den Anwendern und den technologischen Anforderungen. Wie setzt Ericsson selbst KI ein?

Wir setzen sehr stark auf KI. Einerseits setzen wir sie bei der Produktentwicklung ein. Andererseits sehen wir aber auch, dass wir ohne KI gar nicht genügend Personal zur Verfügung stellen könnten, wenn es um die Optimierung der Netzwerke geht. So komplexe Netzwerke mit mehreren Generationen, wie wir sie heute betreiben, manuell zu konfigurieren, würde einen unrealistischen Ressourcenaufwand benötigen. KI ist also unabdingbar geworden. Sie hilft etwa bei der Optimierung an den Ländergrenzen. Aufgrund der strengeren Grenzwerte in der Schweiz kommt es beispielsweise in den Basler Grenzgebieten dazu, dass man plötzlich auf dem französischen Netz ist. Solche Herausforderungen kann man gut mit KI anpacken. 

Welche persönlichen Ziele möchten Sie als Country Manager von Ericsson Schweiz erreichen?

Ich will Ericsson in den richtigen Bereichen, wie den Mission-Critical-Themen, positionieren und als starken Player etablieren. In den Gebieten, in denen wir schon stark sind, will ich einen Innovations-Boost hineinbringen, um zu zeigen, was unsere Netzwerke wirklich leisten können. Innerhalb des Unternehmens möchte ich sicherstellen, dass unsere Mitarbeitenden Freude haben bei der Arbeit und ein Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen empfinden. Obwohl wir hierzulande rund 160 Personen beschäftigen - und Teil eines globalen Konzerns mit 100'000 Mitarbeitenden sind -, will ich die Mentalität und den Zusammenhalt eines KMUs fördern.

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