Vis-à-vis

"Die Cloud ist Sache unserer Partner"

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Der Distributor Infinigate feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. In acht Ländern tritt das Unternehmen als "Value Added Distributor" für IT-Security auf. Matthias Brunner, Managing Director von Infinigate Schweiz, spricht im Interview über die Mehrwerte und warum sich Infinigate aus dem Cloud-Geschäft heraushält.

"Wir begreifen uns als eine Art Markt­expansionsdienstleister" - Matthias Brunner, Managing Director von Infinigate Schweiz. (Quelle: Netzmedien)
"Wir begreifen uns als eine Art Markt­expansionsdienstleister" - Matthias Brunner, Managing Director von Infinigate Schweiz. (Quelle: Netzmedien)

Viele Distributoren schmücken sich mit dem Zusatz «Value Added». Was verstehen Sie darunter?

Matthias Brunner: Bei uns ist das ein zentrales Element. Der Anspruch, dass wir die Technologien, die wir vertreiben, in- und auswendig kennen. Wer das nicht macht, ist kein echter Value Added Distributor. Dieser Mehrwert hat einen Sinn und wird nachgefragt. Sowohl auf Partner- als auch auf Herstellerseite.

Was genau ist dieser Mehrwert?

Abgesehen vom reinen Produktverkauf bieten wir Zusatzdienstleistungen um die Produkte herum an. Dienstleistungen, die es braucht. Denn die Technologien, die wir vertreiben, haben in aller Regel eine gewisse Komplexität. Das sind keine Plug-and-Play-Produkte.

Beispiel?

Verschlüsselung. Wenn Sie in Ihrer Firma entscheiden, dass Sie einige heikle Teile des E-Mail-Verkehrs verschlüsseln müssen, ist das eine komplexe Angelegenheit. Das kaufen Sie nicht einfach irgendwo, klicken dreimal «Yes», «Yes», «Yes» und drücken dann auf «Enter». Da machen Sie sich Gedanken. Was brauche ich, was kaufe ich, wie muss ich es installieren, wie konfigurieren? So etwas machen Sie in Form eines Projektes.

Und das machen Sie?

Wir begleiten unsere Partner bei solchen Projekten. Im Presales, mit Workshops, mit Testgeräten und Marketingdienstleistungen.

Sie sagten, dass auch Hersteller nach Mehrwerten fragen. Wie sehen die aus?

Der Hersteller konzentriert sich auf die Entwicklung seiner «Leading Edge»-Technologie und seines Brands. Er zieht aber nicht in alle Herren Länder ein. Er baut nicht in jedem Land eine Channel-Organisation auf, bildet seine Reseller aus, befähigt sie für ihren Markt. Das machen wir. Kurz: Wir sorgen für einen optimalen Marktzugang des Herstellers. Produkte auf die Preisliste oder Webpage zu setzen und vielleicht noch eine Offerte zu schreiben, ist kein «Value Add».

Seit Mitte April haben Sie einen Vertrag mit Hewlett Packard Enterprise. Die Firma hat ein lokales Team in der Schweiz mit eigener Channel-Betreuung. Wie ordnen Sie sich da ein?

Wir haben einen Vertrag für HPE-Netzwerkprodukte. Nicht für alle HPE-Produkte. Dieser Vertrag bedeutet, dass HPE neuen wie bestehenden Partnern die Möglichkeit geben will, die Netzwerkprodukte bei einem «Value Added Distributor» einzukaufen.

Wie hängt das mit der Übernahme von Aruba Networks durch HPE zusammen?

Wenn ein grosser Hersteller einen anderen Hersteller übernimmt, passiert in aller Regel auf der Ebene der Distribution das Gleiche. Der aufgekaufte Hersteller übernimmt die Kommandostruktur und somit auch den Distributor des Käufers. Im Fall von Aruba und HPE geschah das nicht. HPE erkannte, welche massgebliche Rolle Infinigate beim Aufbau von Arubas Präsenz in der Schweiz spielte. Die Struktur blieb bestehen. HPE will also unsere Expertise im Spiel behalten und erweitert diese sogar auf die eigenen Netzwerkprodukte.

Das heisst, HPE kam in diesem Fall auf Sie zu?

Ja. Aber wir hatten natürlich auch Interesse an der Zusammenarbeit. Letztlich zeigt das, dass Bewegung im Markt ist. Hersteller erkennen, dass sie mit einem echten «Value Added Disti» Produkte schneller und effizienter im Markt platzieren können. Vor zehn Jahren war das noch anders. Damals mussten wir viel mehr missionieren, die Unterschiede erklären, zeigen, was uns ausmacht. In der Zwischenzeit ist das seltener nötig.

Der Markt verändert sich also. Welchen Einfluss hat das auf Sie?

Wir selbst entwickeln uns auch weiter. Wir wollen uns stetig verbessern und begreifen uns immer mehr als eine Art Marktexpansionsdienstleister. Die Value-Add-Distribution ist nicht mehr die gleiche wie vor zehn Jahren. Es kommt immer mehr dazu. Man hat immer neue Ideen, was man noch alles machen könnte.

Das zeigt sich auch an Ihrem stetig wachsenden Portfolio. Vor dem Vertrag mit HPE verkündeten Sie im Februar eine Vertriebspartnerschaft mit Centrify. Das Identitäts- und Zugriffsmanagement des Anbieters bezeichneten Sie als eines der «Next Big Things». Wann erreicht dieses «Next Big Thing» den Schweizer Markt?

Der Zug fährt bereits. 50 Prozent aller Angriffe sind heute in irgendeiner Form mit geklauten oder gefälschten Identitäten verknüpft. Der beste Perimeterschutz oder die beste Firewall nützt Ihnen nichts, wenn die Angreifer die Identitäten Ihrer Mitarbeiter irgendwo ausserhalb abgreifen.

Was steckt da für den Channel drin?

Das Bewusstsein, dass man angegriffen, dass man selbst Ziel werden kann, wächst. Jeder Geschäftsführer oder jeder Verwaltungsratspräsident kann heute in der Tageszeitung von Cyber-Gefahren lesen. Sie stellen Gelder bereit, um Schutz- und Gegenmassnahmen zu ergreifen. Das ist eine Riesenchance für den IT-Security-Channel. Aber man muss natürlich in den Zug einsteigen und die entsprechenden Kompetenzen haben.

Er fährt ja schon. Wie kommt man da noch rein?

Voraussetzung ist ein solides Know-how im Netzwerk- und Systembereich. Abgesehen davon muss ein Reseller einen guten Umgang mit Kunden pflegen. Er muss sie an das Thema richtig heranführen, ihnen zuhören können. ­Security-Know-how können wir ihm nachher gern vermitteln.

Sie vertreiben auch Lösungen von Dell Sonicwall. Dell will Sonicwall verkaufen, um Geld für den Aufkauf von EMC zu beschaffen. Was passiert, wenn Dell einen Käufer für Sonicwall findet?

Wir beobachten die Entwicklung natürlich, aber ehrlich gesagt, sehen wir das relativ gelassen. Solche Veränderungen sind heute ohnehin mehr Regel als Ausnahme. Ausserdem sollten Sie bedenken, dass wir Sonicwall seit 15 Jahren vertreiben. Ich schätze, wir decken etwa 80 Prozent des Sonicwall-Geschäfts in der Schweiz ab. Auf europäischer Ebene sind wir mit unseren acht Länderniederlassungen der grösste Sonicwall-Distributor. Für Sonicwall haben wir ein gewisses Gewicht. Das gleiche Gewicht haben wir für einen potenziellen Käufer. Der potenzielle Käufer wird kaum als Erstes sein eigenes Geschäft zerschlagen. Er wird erkennen, was wir für Sonicwall erbringen. Wie gesagt: Wir sehen das gelassen. Daher dürfen auch die Sonicwall-Reseller unsere Gelassenheit übernehmen.

Im Dezember schufen Sie die Position des «Teamleader Sales Engineering» und besetzten Sie mit Dietmar Bachmann. Er soll Ihr «kontinuierliches Wachstum von 25 Prozent» erhalten oder allenfalls erhöhen. Wie soll das gehen?

Unsere ausschliessliche Ausrichtung auf Security und Netzwerk kommt uns da zugegen. Dieses Marktsegment wächst stärker als der Gesamt-IT-Markt. Das wird nach allgemeiner Einschätzung auch weiterhin so bleiben. Mit Dietmar haben wir unserer Kompetenz und Expertise erhöht. Unter seiner Leitung haben wir kürzlich ein neues Projekt lanciert, das sogenannte «Lead Generation Frame­work». Da geht es um das altbekannte Thema Neukundenakquisition. Ein Be­reich, in dem sich noch sehr viele Reseller stärker engagieren könnten. Mit dem Projekt wollen wir Partner strukturiert und diszipliniert dabei unterstützen. Angefangen beim Erfinden und Entwerfen einer Kampagne über das Umsetzen bis zum Abschluss von Deals. Damit sich die ­Partner im Tagesgeschäft nicht verzetteln, liegt die Projektleitung bei uns. Die Partner sagen uns natürlich vorher, dass sie das so wollen.

Wie arbeiten Sie mit den anderen Infinigate-Niederlassungen im europäischen Ausland zusammen?

Jede der acht Niederlassungen hat einen eigenständigen Geschäftsführer, der selbstständig sein Herstellerportfolio verantwortet. Trotzdem sind die Synergien, ist die Zusammenarbeit der Niederlassungen gross. Sie werden gesucht und gefördert. Das gibt uns Kraft und Schwung.

Wie sehen diese Synergien konkret aus? Wie arbeiten Sie etwa mit Infinigate Deutschland zusammen?

Wenn wir bei einem ungeplanten Ereignis zu wenige Ressourcen haben, können wir uns austauschen. Wir haben hier in Rotkreuz acht Techniker. Infinigate München hat 25 Techniker. Fällt bei uns einer aus oder haben wir eine neue Geschäftschance, bei der wir Unterstützung brauchen, können wir die in Deutschland anfordern.

Also arbeiten Techniker von Infinigate Deutschland an Projekten hier in der Schweiz mit?

Selbstverständlich. Es ist ein Riesenvorteil, Bestandteil so einer Gruppe zu sein.

Wie viele Partner hat die Infinigate-Gruppe insgesamt?

Europaweit haben wir 5600 Partner. Unter Partner verstehen wir zahlende Kunden, denen wir innerhalb des letzten Geschäftsjahres mindestens ein Mal eine Rechnung ausstellten. In der Schweiz alleine haben wir 950 Partner. Bei diesen gilt die übliche 20-Prozent-Regel.

Was heisst das?

Mit 20 Prozent dieser 950 Partner machen wir ungefähr 80 Prozent unseres Umsatzes.

Können diese Partner von den Synergien zwischen den acht Länderniederlassungen profitieren?

Nicht direkt. Sollten sie auch nicht. Indirekt profitieren sie aber schon. Immerhin decken wir als Gruppe 70 Prozent des europäischen Sicherheitsmarktes ab. Das gibt uns ein gewisses Gewicht bei den Herstellern und macht uns auch attraktiv für neue Hersteller und Reseller. Wir gehen davon aus, dass Infinigate so auch in Zukunft ein attraktives Portfolio bieten wird.

Dieses Jahr feiert die Infinigate-Gruppe ihr 20-jähriges ­Bestehen. Sie selbst sind seit 2000 Geschäftsführer der Schweizer Niederlassung. Wie hat sich der Markt aus Ihrer Sicht verändert?

Es ist alles schneller geworden. Entwicklungen, die sich früher vielleicht über ein Jahr hinzogen, dauern heute nur noch ein Quartal. Wenn man nicht ständig am Puls ist, sich nicht ständig informiert, wenn man da nicht mithalten kann, scheidet man früher oder später aus. Auf jeder Ebene. Sei es als Hersteller, als Distributor oder als Reseller.

Was kann man dagegen unternehmen?

Man muss sich fokussieren. Nicht alles selbst machen, sondern auf Arbeitsteilung setzen. Auch auf der Ebene von Resellern können Kooperationen sinnvoll sein. Aber nur schon die Trennung in Hersteller, Value-Added-Distributor und Reseller ist eine Art Arbeitsteilung. In den Rollen muss man konsequent sein und von der Arbeit des jeweils anderen profitieren.

Wie hat sich Infinigate selbst verändert, wie gehen Sie mit der Digitalisierung um?

Ganz unspektakulär. Die Digitalisierung hält bei uns genauso Einzug wie bei anderen Unternehmen auch. Wir werden im laufenden Kalenderjahr unser ERP und CRM upgraden. Wir werden unser Webpage und das Partnerportal relaunchen. Es sind grosse Projekte, die viele Ressourcen binden. Ich bin auch hier sehr froh, dass wir Bestandteil einer grossen Gruppe sind. Derlei Projekte laufen über die Holding, das hält uns den Rücken frei. Wir als Landesgesellschaft können uns auf den Job konzentrieren.

Wie sieht es bei der eigentlichen Geschäftstätigkeit aus? ­Andere Distributoren im Markt bieten Cloud-Marktplätze und wollen eigene Services über die Reseller verkaufen. Kein Thema für Sie?

Wir denken da anders. Wir sind ein echter Value-Added-Distributor mit Fokus auf Sicherheit und Netzwerk. Cloud-Dienstleistungen kommen und haben Zukunft. Aber das ist das Geschäft unserer Partner und vielleicht auch unserer Hersteller. Wir sehen das nicht als unsere Aufgabe und haben zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor, uns in dem Umfeld zu engagieren.

Wie wichtig ist für Sie der Verkauf von Hardware?

Das Hardwaregeschäft war für uns noch nie bedeutend und wird auch nie eine spezielle Bedeutung für uns haben. Es gibt gewisse Sicherheitsprodukte, die man in Form einer Appliance beim Kunden installiert. Aber das hat keinen Einfluss auf unsere Rechnung. Es spielt für uns keine Rolle ob das Produkt nur als Lizenz oder als physische Appliance über den Ladentisch geht. Es gibt keinen Unterschied zwischen Hardware- und Lizenzgeschäft. Wir arbeiten lösungsorientiert. Wie sich die Lösung zusammensetzt, ist egal.

Was kommt Ihrer Meinung nach auf den Schweizer Channel in den nächsten Jahren zu?

Ich sehe viele spannende Technologie auf uns zu kommen. Ich sehe Tempo, Tempo, Tempo. Ich sehe Veränderungen aller Art. Und ich sehe ständig ändernde Kundenwünsche und -anforderungen. All das bietet grosses Geschäftspotenzial für diejenigen, die den Takt halten können, die sich in dieser wandelnden Welt behaupten können. Das wird spannend!

Wie lautet Ihre persönliche Botschaft an den Schweizer ­Channel?

Fokus, Kooperationen, Siegeswille, wie wir ihn aus dem Sport kennen, Gradlinigkeit. Und trotzdem sollte der Channel flexibel und anpassungsfähig bleiben.

Zur Person:
Matthias Brunner ist seit 2000 Geschäftsführer von ­Infinigate Schweiz – ein ­Value Added Distributor (VAD) mit Spezialisierung auf IT-­Security und Netzwerke. Er ist Gründungsmitglied und VR der Infinigate Holding, welche die acht Landesgesellschaften kontrolliert. Die Infinigate-Gruppe erwirtschaftet 300 Millionen Euro Umsatz und deckt insbesondere durch ihre Niederlassungen in den drei grossen Märkten UK, Deutschland und Frankreich 70 Prozent des europäischen Marktes ab.
Als Ökonom war Brunner anfänglich im Bank- und Finanzwesen beschäftigt. Seit 1988 war er bei diversen Unternehmen im IT-Sektor, unter anderem sechs Jahre bei IBM, tätig. Er bekleidete Positionen in Sales und Marketing, Beratung sowie Management.
Quelle: Infinigate

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