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"Das RZ-Geschäft ist sehr kapitalintensiv"

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von David Klier und Marc Landis

Die Schweiz liegt im europäischen Vergleich der Rechenzentrumsflächen auf Rang sechs. 235 000 Quadratmeter Gesamtfläche vermeldete das Bundesamt für Energie 2014, Tendenz steigend. Franz Grüter, CEO von Green.ch, erklärt im Gespräch, was Flächenwachstum, Energiepolitik und Veränderungen der Gesetzeslage für die Branche bedeuten.

Franz Grüter, CEO und VRP von Green.ch (Quelle: Netzmedien)
Franz Grüter, CEO und VRP von Green.ch (Quelle: Netzmedien)

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Rechenzentrums­flächen in der Schweiz?

Franz Grüter: Wenn ich ins Jahr 2010 zurückdenke, als wir mit dem Bau begannen, erinnere ich mich an Stimmen, die von totaler Überkapazität sprachen. Schon in zwei Jahren gäbe es Firmen, die daran kaputtgingen, hiess es. Heute, fünf Jahre später, sind tatsächlich sehr viele Rechenzentren gebaut worden. Grob gerechnet für gut eine Milliarde Franken. Die Rechenzentren, die gebaut wurden, haben aber alle Kunden. Es gibt eine Nachfrage und somit auch einen Markt. Es sind keine Luftschlösser. Was aber tatsächlich eintrat, ist, dass einige angekündigte Rechenzentren nie gebaut wurden. Zum Beispiel scheiterte Densitas, ehemals Deep Green.

Für Sie gibt es in dem Sinn also kein Überangebot?

Nein. Unser erstes Modul aus dem Jahr 2010 war drei Jahre früher als geplant komplett ausverkauft. Mitte 2013 haben wir wieder die Bagger aus der Garage geholt und jetzt den zweiten Trakt eröffnet. Im neuen Modul ist auch schon wieder ein Fünftel der Fläche unter Vertrag.

Die restliche Fläche ist Reserve?

Geschätzt für die nächsten drei bis fünf Jahre. Sollten wir hier mit der Planung danebenliegen und sich auch der Rest schneller füllen, bauen wir wieder.

Wie viel Fläche hat denn so ein Trakt?

Pro Block bauen wir knapp 4000 Quadratmeter nutzbare Fläche. Da könnte man natürlich Überkapazität hineininterpretieren. Aber es ist eher das zu erwartende Wachstum der nächsten fünf Jahre. Wir können ja nicht erst neue Flächen erschliessen, wenn alles ausgebucht ist.

Der Markt hat in letzter Zeit einige Übernahmen erlebt. ­Telecity und Interxion fusionierten, NTT Com kaufte E-­Shelter. Gibt es zu viele Player am Markt?

Es hat auch in der Vergangenheit schon Übernahmen gegeben. Beispielsweise der Aufkauf der IXEurope durch Equinix im Jahr 2007. Equinix war damals sehr stark in den USA und in Asien, ihnen fehlte aber ein Standbein in Europa. Das sicherte sich Equinix mit dem Zukauf. Ich glaube, die meisten dieser Übernahmen sind auf eine Verbesserung der geografischen Präsenz in den verschiedenen Märkten zurückzuführen. Das gilt auch für Telecity und Interxion. Die beiden sind meines Wissens wenn dann nur in sehr wenigen Märkten gleichzeitig vertreten. So können die Anbieter Kunden in spezifischen Märkten bedienen, zu denen sie sonst keinen oder nur erschwert Zugang hätten. Deshalb würde ich nicht von einer Konsolidierung sprechen.

Was bedeutet das für Green?

Wir haben vor, weiterhin so selbstständig zu bleiben, wie wir heute sind. Auch in Bezug auf die Mittel. Denn das RZ-Geschäft ist sehr kapitalintensiv.

Was heisst kapitalintensiv?

Wir haben bis jetzt fast 100 Millionen Franken in unser neuestes Rechenzentrum investiert.

Zusammenschlüsse dienen also auch der finanziellen Stärkung. Ist das nicht interessant für Green?

Unsere Muttergesellschaft Altice ist sehr finanzstark. Wir sind bestens aufgestellt und können unsere Expansion selbst finanzieren. Wir haben keinen Grund, zu verkaufen.

Der Energieverbrauch von Rechenzentren ist immer wieder ein Thema. 2013 betrug der Stromverbrauch der Schweizer Rechenzentren 2,8 Prozent des Gesamtstromverbrauchs. Wie entwickelt sich das weiter?

Das Rechenzentrumsgeschäft ist energiehungrig. Unser Verbrauch ist, bedingt durch das Wachstum, stark gestiegen und steigt weiterhin. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass unser Geschäft eine saubere Energiebilanz aufweist. Wir verursachen keinen Verkehr, wir nutzen keine fossilen Energieträger, wir produzieren keine Abgase. Davon abgesehen sind die Energiekosten neben den Einmalinvestitionen die grössten Ausgaben in dem Geschäft. Im laufenden Betrieb übersteigen die Energiekosten alle anderen Kosten.

Im Vergleich zum europäischen Ausland ist der Strom in der Schweiz sehr günstig. Wenn es da zu einer Angleichung kommt, könnte die Schweiz schnell weniger interessant werden – insbesondere für Kunden von ausserhalb.

Es beschäftigt mich natürlich, wie das in zehn Jahren aussehen wird. Kurzfristig sind die Energiepreise aber eher gesunken. Sollten die Preise mittelfristig um 10 oder 15 Rappen nach oben springen und wir dadurch nicht mehr konkurrenzfähig sein, hat das natürlich einen Einfluss aufs Geschäft. Was die Rahmenbindungen angeht, gibt es für uns drei wichtige Säulen: die Energiepreise, das Datenschutzgesetz und die Infrastruktur.

Wenn Sie die Situation vor dem Hintergrund der Energiestrategie 2050 betrachten, werden die Strompreise ganz ­sicher steigen. Wie wird sich das auswirken?

Das wird vom europäischen Umfeld abhängen. Ich glaube, wir müssen uns mit unseren Nachbarn messen. Wir stehen mit ihnen im Wettbewerb. Viele glauben, Unternehmen würden automatisch in die Schweiz kommen. Apple ist nach Irland und Dänemark gegangen. Facebook nach Schweden.

Länder, in denen es meistens kälter ist als in der Schweiz.

Genau, da können sie Energiekosten sparen. Die Energiekosten sind für einen Ansiedlungsentscheid durchaus von Bedeutung. Mit einer falschen Energiepolitik und einer starken Verteuerung der Energiepreise, die uns im Vergleich zur europäischen Konkurrenz schlechter dastehen lassen, kann der enorme Wachstumserfolg der Branche hierzulande schnell kippen. Im Moment stehen wir gut da. Aber wenn all das, was man derzeit diskutiert, umgesetzt wird, sieht es für das internationale Geschäft schlecht aus.

Die Energiestrategie 2050 ist ja eigentlich eine beschlossene Sache. Oder glauben Sie, dass sie revidiert wird?

Ich gehe davon aus, dass es irgendwann eine Volksabstimmung geben wird. Und nach dem Ergebnis der Abstimmung vom 8. März bin ich mir nicht sicher, ob die Energiestrategie 2050 dann wirklich so durchkommen wird.

Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit sind kein Thema für Sie?

Doch, natürlich. Vieles setzen wir auch bereits um, einiges hat noch Potenzial: Abwärmenutzung und Solarenergie beispielsweise. Unsere Südfassade ist eine riesige Photovoltaikanlage. Aber damit erzeugen wir nicht annähernd genug Strom, in den Wintermonaten praktisch gar nichts. Unsere Büros in Lupfig werden wir mit der Abwärme aus dem Rechenzentrum heizen. In der Nähe baut die Amag derzeit ein neues Schulungszentrum. Dorthin werden wir ebenfalls Abwärme überführen.

Was für einen Strommix beziehen Sie?

Wir nutzen heute den günstigsten Strom, den es gibt. Wir bieten unseren Kunden aber auf
Wunsch Strom aus erneuerbaren Energien an. Das Angebot nimmt niemand in Anspruch. Mit Ausnahme der öffentlichen Hand. 

Die Branche bewegt derzeit noch ein anderes politisches Thema: die Netzneutralität. Wie stehen Sie dazu?

Es ist sehr wichtig, dass die Neutralität weiterhin gewährleistet ist. Es darf nicht sein, dass Leute aufgrund ihrer verfügbaren Mittel beim Datenverkehr priorisiert werden und das Ganze kommerzialisiert wird.

Braucht es staatliche Regulierung?

Ich hoffe nicht, dass es viel Regulierung braucht. Aber vermutlich braucht es etwas Regulierung. Das Problem ist, dass viele Politiker im Moment gar nicht wissen, um was es überhaupt geht. Würden wir jetzt eine Umfrage unter Nationalräten machen, wüssten von 200 wahrscheinlich gerade mal 10, wovon wir reden.  

Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses hat viele Teile der IT-Welt in einen Schockzustand versetzt. Welche Auswirkungen hatte der Entscheid für Sie?

Kurzfristig eigentlich gar keinen. Wir stellen unseren Kunden alles in Schweizer Franken in Rechnung. Unsere Erträge bleiben also gleich. Für gewisse internationale Kunden sind wir durch den Entscheid natürlich indirekt teurer geworden. Wir haben aber sehr viele Kunden aus dem Dollar-Raum und der Dollar hat in der Zeit ja auch zugelegt. Schlussendlich muss man jetzt auch sehen, dass sich der Euro
bereits wieder gelegt hat. Und auch wenn es ein Schock war, glaube ich, dass der Entscheid richtig war. Den Kurs hätte man so nicht länger aufrechterhalten können.  

Gibt es denn abseits vom Strompreis nicht auch noch andere Vorteile in der Schweiz? Politische Stabilität, das Datenschutzgesetz …

Sie sagen es eigentlich schon. Das Datenschutzgesetz, das seinen Namen im Moment noch so verdient, ist einer unserer wichtigsten Wettbewerbsvorteile. Leider gibt es da inzwischen einige besorgniserregende Tendenzen, zum Beispiel die Revision des Büpf. Bei der Stabilität ist es nicht nur die politische, sondern auch die der Infrastruktur. Dazu kommen die guten Fachkräfte.

Aber die fehlen ja.

Nein. Es wird immer gesagt, dass wir jetzt keine Fachkräfte mehr holen können. Aber das stimmt ja nicht. Erstens haben wir noch nichts umgesetzt. Wir können jederzeit Personal aus dem EU-Raum rekrutieren. Zweitens wenn es dann umgesetzt ist, gehe ich davon aus, dass wir auch in Zukunft noch Fachkräfte holen können.

Die Masseneinwanderungsinitiative ist im Moment als noch kein Thema.

Nein, überhaupt nicht.

Lassen Sie uns noch über Ihre neuen Cloud-Angebot reden. Sie haben die Preise im Schnitt um 40 Prozent gesenkt. Wie ist das möglich?

Immer wieder hatten wir Kunden, die keine eigene Infrastruktur bei uns betreiben wollten. Daraus sind unsere Cloud-Services entstanden. Das sind sehr hochwertige Serverprodukte, die für kleine Unternehmen eher zu teuer sind. Um mit unserem Angebot die Masse besser ansprechen zu können, haben wir jetzt nicht nur die Preise gesenkt, sondern andere Leistungsspektren eingeführt, die tatsächlich viel günstiger sind.

Wie geht es weiter?

Wir stehen noch am Anfang. Ich bin aber überzeugt, dass wir in drei, vier Jahren mehr Kunden in der Cloud haben als Kunden mit eigener Infrastruktur im Rechenzentrum.

Damit treten Sie in Konkurrenz zu den Providern.

Wir werden zu einem Infrastruktur-Service-­Provider.

Wie grenzen Sie sich dann von anderen ab?

Wir werden kein Systemintegrator. Wir setzen unseren Kunden kein fixfertiges System auf. Sie bekommen bei uns einen Server und das Betriebssystem. Alles Weitere machen sie entweder selbst oder lassen es von einem Inte­grator machen. In das Geschäft wollen wir nicht. Unter unseren Kunden haben wir heute sehr viele IT-Firmen, die wir lieber als Partner sehen, statt als Konkurrenten.

Das Geschäft der Systemintegratoren verändert sich ja auch immer mehr. Sie müssen Services anbieten und wegkommen vom reinen «Schrauben». Sie unterstützen die ­Integratoren also dabei?

Die Systemintegratoren haben in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel durchlaufen. Sie haben 20 Jahre lang Hardware, Software und Dienstleistungen verkauft. Es gibt heute noch Unternehmen, die an diesem Geschäftsmodell festhalten. Aber diejenigen, die den Schritt in die Cloud gewagt haben, zu uns ins Rechenzentrum gekommen sind und ihren Kunden diese Services anbieten, haben Erfolg. Sie wachsen und mieten zusätzliche Fläche.

Ihre persönliche Botschaft an den Schweizer Channel?

Damit die Branche nachhaltig Erfolg haben kann, ist es wichtig, dass sich der Channel nicht vor der Cloud und den angrenzenden Entwicklungen verschliesst. Ich glaube, dass das Cloud-Business nicht einfach nur ein Schlagwort ist. Darum kann ich alle nur auffordern, dem Trend gegenüber offen zu sein und in diese Richtung zu gehen. Ausserdem würde ich mir wünschen, dass sich mehr IT-Unternehmen für Themen wie die Netzneutralität, das Büpf-Referendum und die Energiepreise engagieren.

Persönlich
Franz Grüter, geb. 1963, ist CEO und Verwaltungsratspräsident der Green.ch AG sowie der Green Datacenter AG. Seine Karriere startete er 1996 mit der Gründung eines eigenen IT-Unternehmens. Er legte damit einen Grundstein für das heutige Internetgeschäft von Green.ch. 2008 erkannte er das Potenzial der Schweiz als Rechenzentrumsstandort für internationale Unternehmen und initiierte den Bau des grössten kommer­ziellen Rechenzentrums der Schweiz. Franz Grüter ist verheiratet, hat drei Kinder und setzt sich auch politisch für gute Rahmenbedingungen der Schweizer ICT ein.
Quelle: Green.ch 

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