Auswirkungen des EU-Entscheids

"Das widerspricht dem Prinzip der Verhältnismässigkeit"

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Die Vorratsdatenspeicherung widerspricht EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Wir unterhielten uns mit Anwalt Martin Steiger über mögliche Auswirkungen auf die Schweiz.

Martin Steiger, IT-Rechtsanwalt (Quelle: Martin Steiger)
Martin Steiger, IT-Rechtsanwalt (Quelle: Martin Steiger)
Herr Steiger, der EuGH hat entschieden, die Vorratsdatenspeicherung de facto zu verbieten. Hierzulande wurde vor kurzem im Rahmen der BÜPF-Revision eine Ausdehnung ebendieser Speicherung von 6 auf 12 Monate beschlossen. Wird dieser EU-Entscheid nun auch Auswirkungen auf die Schweiz haben?

Er müsste Auswirkungen haben. Grundsätzlich ist es zwar so, dass die Schweiz als Nicht-EU-Land nicht direkt vom Entscheid betroffen ist. Man könnte hierzulande prinzipiell also vorerst ein "Sonderzügli" fahren. Allerdings würde dies längerfristig kaum Bestand haben. Die Digitale Gesellschaft Schweiz hat bereits angekündigt notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) zu gehen, wo die Richter wohl ebenfalls korrigierend eingreifen würden.

Glauben Sie, dass es soweit kommen wird?

Im Moment ist die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft beim Dienst "Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr" gegen die Vorratsdatenspeicherung hängig. Danach müsste ein negativer Entscheid zuerst vor das Bundesverwaltungsgericht, dann vors Bundesgericht und schliesslich nach Strassburg weitergezogen werden. Da die Richter in Strassburg allerdings aufgrund der gleichen europäischen Grundrechte entscheiden, würde spätestens dort die Vorratsdatenspeicherung zu Fall kommen.

Wieso ist die Vorratsdatenspeicherung aus Ihrer Perspektive schlecht?

Sie widerspricht dem rechtsstaatlichen Grundprinzip der Verhältnismässigkeit und ist nicht notwendig. Sie ist ein unnötiger Eingriff mit massiven negativen Nebenwirkungen. Präventiv Daten von allen Menschen zu sammeln, gerade auch von Kindern, Journalisten oder Anwälten, die nichts verbrochen haben, ist eine schwerwiegende Verletzung der Privatsphäre der Bürger. Sie schränkt das Privatleben ein und weckt das Gefühl, ständig überwacht zu werden. Das Urteil aus Luxemburg ist deshalb wegweisend. Die Richter haben aufgezeigt, dass sich die Vorratsdatenspeicherung auf das absolut Notwendige beschränken muss.

Hat Sie der Entscheid aus Luxemburg überrascht?

Nein, der EuGH ist, wie so oft, bei seinem Urteil der Empfehlung des Generalanwalts gefolgt und bei diesem Urteil auch noch darüber hinausgegangen. Man sah das Urteil also eigentlich kommen. Es gab auch bereits Entscheide in EU-Mitgliedstaaten, die in diese Richtung wiesen und es wird jetzt klare Auswirkungen geben. Es erstaunt daher umso mehr, dass unsere Ständeräte trotzdem entschieden haben, die Vorratsdatenspeicherung auszudehnen. Sie hätten eigentlich wissen müssen, dass ihr Entscheid bald in Frage gestellt würde und längerfristig so nicht Bestand haben kann.

Zur Person:

Rechtsanwalt Martin Steiger unterstützt Unternehmen und Privatpersonen durch Beratung und persönliche Vertretung in rechtlichen Angelegenheiten im digitalen Raum mit Schwerpunkten im IT-, Immaterialgüter- und Medienrecht. Seine Büros befinden sich am Standort Zürich.

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