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Die häufigsten Internet-Mythen – von Forschern entzaubert

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Der Cyberkrieg stehe bevor, behaupten die einen; andere meinen: KI und die Blockchain würden die Welt retten. Solche und weitere falsche Vorstellungen über das Internet haben Forscher nun entlarvt.

(Source: Netzmedien)
(Source: Netzmedien)

Das Internet: unendliche Weiten, ein schier unerschöpflicher Fundus an Informationen. Und Tummelplatz für Verschwörungstheoretiker, die allen möglichen Mumpitz verbreiten. Das kann amüsant sein, aber auch gefährlich. Zum Beispiel dann, wenn die Nutzer sich ein Weltbild aneignen, das gegen jeden Widerspruch immun ist und Misstrauen schürt – gegenüber der Wissenschaft, der Politik, den Medien oder bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Das Internet ist allerdings nicht nur Brutstätte, sondern auch Gegenstand abstruser Spekulationen. Bots, Fake News und Datenmonopole beherrschen die Welt – mit solchen und weiteren Vorstellungen räumt nun ein Buchprojekt auf. Es will die 50 häufigsten Internetmythen entlarven und aufzeigen, warum sie falsch sind.

Hier eine Auswahl dieser 50 Mythen sowie deren Widerlegung durch die Autoren – in Kurzform:

  • Mythos #01: Was man im Internet tut, lässt sich nicht regulieren.

Stimmt nicht! Gesetze und Vorschriften gelten auch im Internet und Verstösse lösen Rechtsfolgen aus – auch wenn es Herausforderungen für die Regulierung im Netz gibt, zum Beispiel Anonymität, der grenzüberschreitende Charakter von Verträgen und Straftaten sowie die Geschwindigkeit der Kommunikation. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass wir uns online wie auch offline bestimmten Regeln unterordnen. Und diese Regeln sind Verhandlungssache.

  • Mythos #07: Internetplattformen haften nicht für User Generated Content

Stimmt nicht! Internetplattformen sind nicht bloss neutrale Verteiler von Inhalten, die sie weder kennen noch interessieren. In den USA sind Plattformen wie Youtube zwar nur beschränkt haftbar, doch das europäische Recht kennt differenzierte Verantwortungsregelungen insbesondere in Bezug auf den Schutz geistigen Eigentums, eindeutig rechtswidrige Inhalte und schwere Straftaten wie beispielsweise die Förderung von Terrorismus.

  • Mythos #10: Der Cyberkrieg kommt.

Stimmt nicht! Zwar kann man beispielsweise ein Stromnetz auch aus der Ferne lahmlegen, doch kann ein Angreifer daraus nur dann einen wesentlichen politischen Nutzen ziehen, wenn der Cyberangriff im Rahmen eines konventionellen physischen Konflikts erfolgt, bei dem die Wirkung des Angriffs verstetigt werden kann. Cyberfähigkeiten werden als ein Werkzeug in physischen Konflikten eingesetzt, jedoch wird ein eigenständiger, rein digitaler strategischer Cyberkrieg nicht stattfinden.

  • Mythos #16: Ende-zu-Ende-verschlüsseltes Messaging garantiert perfekten Datenschutz.

Stimmt nicht! Die Linkvorschaufunktion in beliebten Messaging-Apps mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wie beispielsweise Whatsapp, Telegram oder iMessage gibt die Identität der Kommunikationspartner an Dritte weiter. Noch schwerer wiegt dieses Problem bei Messaging-Tools wie Instagram oder Slack, die beide keine End-to-End-Verschlüsselung verwenden. Es besteht die Möglichkeit, diese Datenschutzverletzung in ein Überwachungs- und Verfolgungsinstrument zu verwandeln.

  • Mythos #22: Wir leben alle in Filterblasen.

Stimmt nicht! Filterblasen bestimmen unser Leben nicht. Die personalisierte Filterung durch Algorithmen führt nicht zu öffentlicher Meinungsbildung und hat lediglich vernachlässigbare Auswirkungen auf die Suchergebnisse grosser Suchmaschinen. Das Konzept wird hauptsächlich als Metapher verwendet, um die Komplexität der sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Dynamik auf Plattformen und in der öffentlichen Diskussion zu reduzieren.

  • Mythos #25: Fake News sind ein ernstes Problem.

Stimmt nicht! Die Vorstellung, dass "Fake News" die Hauptbedrohung für die öffentliche Diskussion im Netz darstellen, ist selbst eine Art "Fake News". Die Bedrohung durch digitale Fehlinformationen besteht im systemischen Qualitätsverlust der öffentlichen Diskussion durch immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen und die Inflation von Informationsagenden. Die meisten Inhalte von "Fake News" sind eigentlich "Junk News", was sie jedoch nicht weniger gefährlich, sondern nur schwieriger zu entlarven macht.

  • Mythos #39: Netzneutralität ist im gesamten Internet sichergestellt.

Stimmt nicht! Gesetze zur Netzneutralität können zwar Diskriminierung verhindern, jedoch nützt dies eher den grossen Anbietern von Inhalten und Diensten, statt gleiche Ausgangsbedingungen für Nutzer und Anbieter aus abgelegenen Ländern zu fördern, da ihre Informationspakete unterschiedlichen Formen von Diskriminierung im Internet ausgesetzt sind. Konzepte der Netzneutralität allein reichen daher nicht aus, um die Gleichbehandlung von Nutzern und Inhalten aus Ländern mit schwächerem Internetzugang zu gewährleisten.

  • Mythos #43: Künstliche Intelligenz wird es schon richten.

Stimmt nicht! Zwar besteht die Chance, dass Menschen mithilfe von künstlicher Intelligenz einige Dinge in Ordnung bringen. KI könnte in vielen gesellschaftlichen Bereichen Innovationen fördern und die Art und Weise verändern, wie wir leben, kommunizieren, arbeiten und reisen – allerdings nicht automatisch zum Wohle der Allgemeinheit.

  • Mythos #50: Blockchains sind die Lösung für all unsere Probleme.

Stimmt nicht! Die dem Bitcoin zugrunde liegenden Konzepte sind für Gruppen interessant, die gemeinsam ein Ereignisprotokoll unterhalten möchten, sich aber nicht auf eine einzige Entität einigen können, um die Log-Einträge zu ordnen. Doch ausserhalb dieses Szenarios schneiden Blockchain-basierte Systeme in der Regel (in Bezug auf Durchsatz, Latenz und Kosten) schlechter ab als bestehende und einfachere Ansätze. Hinsichtlich des Problems mangelnden Vertrauens könnte die Blockchain zwar sicherstellen, dass die erfassten Daten nicht verändert wurden. Aber sie kann uns nicht sagen, ob die Daten ursprünglich korrekt waren.

Über das Buchprojekt

Die vollständigen Inhalte aus dem Sammelband sind auf der Website internetmythen.de kostenlos verfügbar. Das Buchprojekt will faktenbasiert, anschaulich und praktisch erläutern, was die Wissenschaft über internetbasierte Kommunikation weiss.

Herausgeber sind die beiden Medienforscher Matthias Kettemann und Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut. 58 Forscher aus aller Welt haben als Autoren mitgewirkt.

Ein weiterer Mythos betrifft die bösartig geplante Obsoleszenz von elektronischen Geräten, die just nach Ablauf der Garantie den Geist aufgeben. Elektrogeräte haben heutzutage zwar tatsächlich eine kürzere Lebensdauer als noch vor zehn Jahren. Das liegt aber nicht an einem ausgeheckten Plan der Hersteller, sondern vor allem am Kostendruck, wie Empa-Forscher Peter Jacob erklärt. Lesen Sie hier mehr dazu.

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