Glenfis Cloud Talk

Agilität vs. Struktur – das muss kein Widerspruch sein

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von Marc Landis und msc

Agilität ist in vielen IT-Projekten das vorherrschende Credo. Aber was bedeutet agil eigentlich und welche Strukturen braucht es, damit Agilität nicht im Chaos versinkt? Diesen und anderen Fragen ging der Glenfis Cloud Talk nach, der am 8. November in Zürich über die Bühne ging.

Im Cloud-Talk von Glenfis ging es um Agilität und Struktur. (Source: Netzmedien)
Im Cloud-Talk von Glenfis ging es um Agilität und Struktur. (Source: Netzmedien)

Am 8. November hat in Zürich der Glenfis Cloud Talk stattgefunden, der sich mit dem Thema "Agilität verlangt Flexibilität – Methoden verlangen Strukturen" auseinandersetzte. Unter diesem Motto diskutierten Experten aus verschiedenen Perspektiven und gaben Einblicke in Theorie und konkrete Projekte.

In der modernen Geschäftswelt sind Unternehmensleiter und Entscheider oft mit der Frage konfrontiert, wie sie mit der steten und immer schnellen stattfindenden Veränderung von Märkten und Kundenanforderungen umgehen sollen. Oft wird versucht, diesen Faktoren mit "Agilität" entgegenzutreten. Wer sein Unternehmen oder einzelne Abteilungen aber ohne klare Strukturen agil transformieren möchte, dürfte in vielen Fällen nur Chaos schaffen.

Urs Baumgartner, Organizational Engineer von Teal Systems legte die Expertensicht dar. (Source: Netzmedien)

Urs Baumgartner, Organizational Engineer von Teal Systems legte die Experten-Sicht dar. (Source: Netzmedien)

Experten-Sicht

So betonte der erste Referent am Glenfis Cloud Talk, Urs Baumgartner, Organizational Engineer von Teal Systems, dass Agilität eine Denkweise sei. Sie erfordere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit und – klare Strukturen, um wirksam zu sein. Baumgartner sprach auch darüber, dass sich der Begriff "Agilität" bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lasse. Die Geburtsstunde der modernen Interpretation des Begriffs "agile" verortete er im "Manifesto for Agile Software Development", das 2001 in der Snowbird Lodge in Utah entstand, wo sich 17 Entwickler trafen, um die Prinzipien der Agilität insbesondere für die Softwareentwicklung zu definieren.

Im Manifesto steht, dass Individuen und Interaktionen, funktionierende Software, Kundenkollaboration und die Reaktion auf Veränderungen gegenüber Prozessen, Werkzeugen, umfassender Dokumentation und Vertragsverhandlungen bevorzugt werden sollten.

In seinem Vortrag erklärte Baumgartner auch die verschiedenen Zustände von Situationen (von klar über kompliziert bis hin zu komplex), in denen Agilität je nach dem erforderlich ist. Demnach ist eine agile Herangehensweise vor allem in komplexen Situationen vonnöten, die sich durch ständig ändernde Gegebenheiten kennzeichnen. In klaren oder komplizierten Situationen hingegen sei ein festgelegter Plan ausreichend. Letzterer eignet sich erklärterweise nicht, um eine komplexe Situation zu meistern.

Allerdings, so hob Urs Baumgartner hervor, benötigen agile (selbstorganisierte) Teams klare und unterstützende Strukturen, darunter einen klaren Sinn und Zweck, klare Ziele, Rollenverständnis, Werteverständnis und einfache Regeln für die Zusammenarbeit. Erst das Zusammenspiel Agilität und Strukturen ermögliche demnach Erfolg in Projekten.

Philipp Hagedorn, Head of Digital Business Transformation von uniQconsulting sprach über Agilität aus Provider-Sicht. (Source: Netzmedien)

Philipp Hagedorn, Head of Digital Business Transformation von uniQconsulting, sprach über Agilität aus Provider-Sicht. (Source: Netzmedien)

Provider-Sicht

Philipp Hagedorn, Head of Digital Business Transformation von uniQconsulting, sprach im nächsten Referat über Agilität aus der Sicht eines Dienstleisters. Er illustrierte, wie sein Unternehmen ein Projekt zur Organisationsentwicklung initiierte, um agil zu werden und in der schnelllebigen Geschäftswelt zu bestehen.

Hagedorn identifizierte zwei wesentliche Perspektiven der Agilität: die Marktsicht und die Innensicht des Unternehmens. Vom Markt her betrachtet, stünden Unternehmen vor der Herausforderung, sich schnell ändernden Kundenpräferenzen und technologischen Entwicklungen anzupassen. Neue Wettbewerber, insbesondere flinke Startups, könnten plötzlich auftreten, und auch die Bedürfnisse der Kunden verändern sich kontinuierlich. Für Provider bedeutet dies, dass sie sich nicht nur anpassen, sondern auch die technologischen Veränderungen proaktiv nutzen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Innensicht konzentriert sich laut Hagedorn auf die Notwendigkeit, dass Unternehmen ihre internen Prozesse und Kulturen agil gestalten müssen. Dies beinhalte die Fähigkeit, schnell Entscheidungen auf allen Ebenen zu treffen, cross-funktionale Teams zu bilden, eigenverantwortlich zu arbeiten, iterative und inkrementelle Entwicklungsmethoden anzuwenden, neue Ideen zu testen, aus Fehlern zu lernen und eine Kultur der offenen Kommunikation und Transparenz zu fördern.

Hagedorn wies darauf hin, dass Agilität zu Innovation führe und dass ein Markt umso agiler sei, je innovativer er sei. Er identifizierte die Unternehmenskultur als eine der grössten Herausforderungen für Agilität und betonte, dass gute Führung die Initialzündung für eine positive Unternehmenskultur ist.

Die Leitsätze von uniQconsulting reflektierten die Notwendigkeit, sich anzupassen oder zurückzubleiben, was Hagedorn mit dem Bild eines Chamäleons und dem Merksatz "Adapt or get eaten" unterstrich. Hagedorn beschrieb den Prozess als eine interessante Reise, die Begeisterung und Verunsicherung mit sich bringe. Er betonte die Bedeutung von Kommunikation und die Notwendigkeit, Erfolge hervorzuheben, um zu beweisen, dass die Anpassungen funktionieren.

Dominik Hof, Head Corporate IT der Fachhochschule Nordwestschweiz vermittelte die Kunden-Sicht. (Source: Netzmedien)

Dominik Hof, Head Corporate IT der Fachhochschule Nordwestschweiz vermittelte die Kunden-Sicht. (Source: Netzmedien)

Kunden-Sicht

Von Kundenseite her gab Dominik Hof, Head Corporate IT der Fachhochschule Nordwestschweiz, Einblick in die Anforderungen an agile Strukturen aus Sicht der IT einer Bildungseinrichtung. Er präsentierte die agile Transformation seiner Abteilung im Rahmen des Projektes namens LAOS. Das Ziel des Projekts, das von September 2022 bis August 2023 lief, war es, die IT-Dienstleistungen stärker am Business auszurichten, regelmässige und zuverlässige Ergebnisse zu liefern, Veränderungen und Innovationen effektiv voranzutreiben, die Zusammenarbeit innerhalb und mit der IT zu verbessern, die Motivation der Mitarbeitenden zu erhöhen und eine lernende Organisation zu werden.

Die Notwendigkeit für das Projekt war im Rahmen einer Mitarbeiterumfrage im Jahr 2020 ersichtlich geworden, die eine geringe Zufriedenheit zu Tage förderte, wie Hof erklärte. Davon leitete Hof mit seinem Team die Vision ab, die beste IT-Partnerin der Hochschulwelt zu werden – lernend, motiviert und innovativ. Um dies zu erreichen, entwickelte die FHNW-IT ein Framework für die Zusammenarbeit mit Aufbauorganisation, Rollen, Kultur, Werten, Prinzipien und Kommunikation umfasste.

In den vier identifzierten Handlungsfeldern bzw. "Bubbles" – "Strategie", "People & Culture", "Organisation" sowie "Technik & Tools" – wurden Hauptaufgaben definiert, die es zu bewältigen gab:

Strategie

Optimierung der strategischen Gesamtplanung, Prozessharmonisierung und Einrichtung eines Key-People-Circles.

People & Culture

Förderung einer unkomplizierten, teamübergreifenden Zusammenarbeit und Entwicklung der Unternehmenskultur.

Organisation

Gründung themenübergreifender Fachgruppen und Entwicklung agiler Strukturen.

Technik & Tools

Verbesserung des Incident Managements und der Qualität der Helpartikel sowie die stärkere Verankerung von Testing.

Die Transformation der IT-Abteilung mit ihren rund 100 Mitarbeitenden sollte laut Hof allerdings nicht top-down, sondern bottom-up und agil erfolgen. Die Mitarbeit in "LAOS" war für die Angestellten der FHNW-IT ausserdem zu Beginn des Projektes freiwillig. Schliesslich meldeten sich 36 Personen, wie Hof sagte.

Ein Problem, das während der Transformation auftrat, war die Kluft zwischen Teams, die agil im Projekt mitarbeiteten und solchen, die es nicht taten, wie Hof ausführte. Der Bottom-up-Ansatz stiess damit an seine Grenzen, und es drängte sich im Projekt die Frage auf, ob die Agilität wirklich gewollt war. Und ja, sie war es. Nun war es nötig, die gesamte Belegschaft ins Projekt zu involvieren. So wählten die Mitarbeitenden ihre "Kreise", also Themen-Cluster, in den sie sich engagieren wollten, bestimmten ihre "Taskmaster" (fachlicher Lead und Ansprechperson für das Kundensegment), "Coaches" (sorgt dafür, dass das Team zu einem verantwortlichen Spitzenteam wird), und "People Manager" (verantwortlich für die disziplinarische Führung), wie Hof weiter ausführte. 

Laut seinen Erfahrungen zeigte sich, dass Transparenz und Kommunikation, konsequentes Bottom-up-Vorgehen und gegenseitiges Vertrauen Schlüsselfaktoren für den Erfolg sind. Es sei wichtig, Consultants beizuziehen und sich beraten zu lassen, aber die Umsetzung sollte intern von Personen erfolgen, die dafür brennen. Auch mahnte Hof, dass die Zeit der Verunsicherung kurzgehalten werden sollte, und dass es mehr Regeln und Strukturen bedürfe als im klassischen Umfeld. Schulungen seien essentiell und sollten für alle zugänglich sein.

Als Herausforderungen nannte Hof den Widerstand gegen Veränderungen und den Kulturwandel, der Zeit benötige. Ausserdem: "Euphorie und Ernüchterung wechseln sich ab, und es ist wichtig, dies aushalten zu können".

Agile-Experte Sven Ossenberg von Cloud-Talk-Veranstalterin und Schulungsanbieterin fasste aus Sicht von Glenfis zusammen (Source: Netzmedien)

Agile-Experte Sven Ossenberg von Cloud-Talk-Veranstalterin und Schulungsanbieterin fasste aus Sicht von Glenfis zusammen (Source: Netzmedien)

Sicht von Veranstalterin Glenfis

Zum Abschluss des Referate-Reigens teilte Agile-Experte Sven Ossenberg von Cloud-Talk-Veranstalterin und Schulungsanbieterin Glenfis seine Einschätzungen und fasste das Gehörte zusammen. Ossenbergs Kernbotschaft war, dass Agilität und Struktur nicht als Gegensätze, sondern als Partner zu betrachten seien und er postulierte die Notwendigkeit einer klugen Integration beider Elemente für zukunftsfähige Organisationen.

In seiner Präsentation ging er auf die Herausforderungen rund um kulturelle Widerstände, unklare Prozesse und Ressourcenallokation ein und benannte die Spannungsfelder Freiheit vs. Kontrolle sowie Innovation vs. Standardisierung. Im weiteren präsentierte er praktische Ansätze zur Integration von Agilität und Struktur, darunter Frameworks wie Scrum of Scrums (SoS), Scaled Agile Framework (SAFe) und Large-Scale Scrum (LeSS), sowie Organisationsmodelle wie das Spotify-Modell und Holocracy, die Autonomie und interdisziplinäre Teams fördern sollen.

Ossenberg sieht Agilität als Fähigkeit, schnell und flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, während Struktur als notwendiges Gerüst Stabilität und Effizienz in Prozessen sichere. Zum Schluss ermutigte er die Teilnehmer, Agilität anzunehmen und gleichzeitig die Struktur nicht zu vernachlässigen, um eine effektive und effiziente Arbeitsweise zu gewährleisten: "Nur Mut, arbeitet agil und macht es richtig!", rief er den anwesenden Gästen zu.

Mit einer Fragerunde des Publikums an die Referenten klang der Glenfis Cloud Talk aus.

Der nächste Cloud Talk findet im Mai 2024 statt.

Lesen Sie hier über den Cloud Talk im Mai 2023, der das Thema "Digitale Souveränität" behandelte.
 

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