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Mit Technik vom Mars die Autobahnbrücke untersuchen

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von Christoph Elhardt, ETH News

Das ETH-Spin-off Mondaic nutzt Wellenphysik, um das Innere von Brücken, Pipelines oder Flugzeugteilen zu untersuchen und deren Stabilität zu prüfen. Wie aus einem wissenschaftlichen Code zur Erkundung des Mars ein erfolgreiches Start-up wurde.

(Source: BoliviaInteligente / Unsplash.com)
(Source: BoliviaInteligente / Unsplash.com)

Als die unbemannte Nasa-Sonde InSight Ende 2018 auf dem Mars landet, hat sie eine noch nie ausgeführte Mission: Sie soll die innere Struktur des Roten Planeten erforschen. Möglich macht dies ein hochempfindliches Seismometer, das von der ETH Zürich mitentwickelt wurde. Dieses zeichnet feinste Erschütterungen auf, die etwa durch Marsbeben oder Meteoriteneinschläge verursacht werden.

Doch um die seismischen Daten, die die Mars-Sonde an die Erde schickte, zu entschlüsseln, brauchte es mehr als nur ein Messgerät: Forschende der ETH Zürich entwickelten daher Modelle und Simulationen, mit deren Hilfe sie von den Daten auf die Struktur des Marsinneren schliessen konnten.  

Einer dieser Forschenden war Christian Boehm: Er und seine Teamkollegen Michael Afanasiev und Lion Krischer erkannten, dass diese Technologie nicht nur auf dem Mars funktioniert und gründeten 2018 das ETH-Spin-off Mondaic. "Was uns damals ermöglichte, in den Mars hineinzuschauen, hilft uns heute, in Brücken, Flugzeugteile oder andere Materialien hineinzuschauen, ohne sie aufschneiden oder anbohren zu müssen", erklärt der heutige Geschäftsführer von Mondaic.

Wellen aus dem Inneren

Das Prinzip hinter der Technologie von Mondaic ist einfach erklärt: Eine Welle – ausgelöst etwa durch ein Erdbeben oder ein Ultraschallgerät – bewegt sich durch ein beliebiges Objekt, sei es ein Planet, ein Betonpfeiler oder ein Flugzeugflügel. Boehm und sein Team messen dann mit Sensoren, wie das Innere des Objekts das Muster der Welle verändert.  

Diese Daten vergleichen die Ingenieurinnen und Ingenieure von Mondaic mit einem digitalen Zwilling des Objekts, der seine physikalischen Eigenschaften abbildet. Boehm erklärt den Vorgang anhand einer Pipeline: "Mit unserer Software simulieren wir zum Beispiel, wie sich eine Ultraschallwelle durch die Pipeline bewegen müsste, wenn diese nicht beschädigt ist". Weichen das Wellen-Muster der echten Pipeline von jenem ihres digitalen Zwillings ab, wissen Boehm und sein Team, dass etwas nicht stimmt. So können sie zum Beispiel berechnen, dass es in der Pipeline Risse geben muss und wo sich diese befinden. 

Vom Forschungscode zum Produkt 

Die Software von Mondaic entstand ursprünglich im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte an der Professur für Seismologie und Wellenphysik von Andreas Fichtner. Doch der Weg vom Code für Forschungszwecke zum marktfähigen Produkt war mit zahlreichen Hindernissen gespickt: "Wir mussten alles neu denken, um die Software stabil und benutzerfreundlich zu machen und die Anwendung vollständig zu automatisieren - von den Messdaten bis zum fertigen Bild", sagt Mitgründer Boehm.  

Mondaics Stärke liegt in der Kombination von präziser Wellenphysik und effizienter Cloud-Technologie. Was früher nur auf Hochleistungsrechnern wie jenen am CSCS in Lugano möglich war, lässt sich heute in wenigen Minuten in der Cloud berechnen. "Die Effizienz moderner Cloud-Lösungen macht unsere Technologie auch ausserhalb der Forschung alltagstauglich und wettbewerbsfähig", erklärt Boehm. 

Heute bietet das ETH-Spin-off nicht nur Software, sondern komplette Lösungen für Prüfungen an - inklusive Sensorik, Cloud-Lösungen und Beratung. So kann die Technologie auch von Personen eingesetzt werden, die über keine Kenntnisse im Bereich Wellenphysik verfügen. 

Von Pyramiden, Pipelines und Flugzeugen

Das Spektrum möglicher Anwendungen ist breit und reicht von der Geophysik bis zur Überwachung von Bauteilen. So haben Forschende mithilfe der Mondaic-Software einen bislang unbekannten Gang in der Cheops-Pyramide in Ägypten entdeckt, das Risiko von Erdbeben berechnet und Nukleartests überwacht.  

Doch damit nicht genug. In Deutschland untersucht das Team von Mondaic den Zustand von Brücken - gemeinsam mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und der Firma Vallen Systeme. Dabei stehen vor allem Schallemissionsdaten im Fokus. "Man bezeichnet dieses Verfahren auch gern als Mikro-Seismologie, weil der Riss eines vorgespannten Spannkabels im Innern einer Brücke wie ein kleines Erdbeben wirkt und wir das mit unserer Software ermitteln können", sagt Boehm.

Auch in der Schweiz arbeitet das ETH-Spin-off mit dem Bundesamt für Strassen Astra an einem Projekt zur Inspektion von Brücken. Dabei senden die Ingenieure und Ingenieurinnen gezielt Ultraschallwellen durch Brückenbauteile und analysieren ihre Muster. So lassen sich Lufteinschlüsse, Wasserschäden oder nicht korrekt verpresste Mörtelstellen frühzeitig erkennen und lokalisieren. Dies ermöglicht es den Behörden, beschädigte Brücken rechtzeitig zu sanieren. 

Von der Erde zurück auf den Mars? 

Auch in der Luft- und Raumfahrt hat die Technologie von Mondaic Potenzial. Gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz und Forschenden der ETH Zürich testeten Boehm und sein Team ein Bauteil aus kohlefaserverstärktem Kunststoff, wie es etwa in der Aussenhülle von Flugzeugen verbaut wird. Die Software von Mondaic war in der Lage, Schäden zu entdecken, die im Zuge der Fertigung entstanden sind. "Das zeigt das Potenzial unseres Verfahrens für die Qualitätskontrolle von Hightech-Bauteilen", sagt Boehm.

Was als wissenschaftliches Werkzeug zur Erforschung des Mars begann, trägt heute dazu bei, Bauteile und Infrastruktur auf der Erde sicherer zu machen. Doch ganz abgeschlossen hat Boehm mit dem roten Planeten noch nicht: "Vielleicht fliegt ja eines Tages ein von Mondaic geprüftes Bauteil auf den Mars. Bis es so weit ist, haben wir aber hier auf der Erde genug zu tun." 

 

Das ETH-Spin-off Mondaic wurde vom European Space Agency Business Incubation Centre Switzerland (ESA BIC Switzerland) unterstützt. Das Programm wird von der ETH Zürich geleitet und unterstützt Schweizer Start-ups, die Weltraumtechnologien nutzen

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der ETH

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