"Gut möglich, dass dieser Weissbuch-Event mein letzter ist"
Röbi Weiss begleitet die Schweizer ICT-Branche seit mehr als 30 Jahren. 1984 stellte er in der Sendung Karussell des Schweizer Fernsehens den ersten Apple Macintosh vor. In seinem Weissbuch analysiert er seit 25 Jahren den Schweizer PC-Markt. Am 2. April präsentiert er sein Weissbuch zum 25. und vielleicht letzten Mal. Im Gespräch erklärt er, wie er die letzten 25 IT-Jahre erlebte und was die Besucher dieses Jahr am Weissbuch-Seminar erwartet.
Sie geben seit 25 Jahren das Weissbuch heraus. Wie kam es eigentlich dazu?
Robert Weiss: Ich habe eigentlich schon 1986 angefangen, Erhebungen über den Schweizer PC-Markt zu machen. Damals fragte mich Michael von Babo, Herausgeber der Zeitschrift Softwaretrend, ob ich eine Erhebung machen könnte, wie viele PCs in der Schweiz abgesetzt würden, da keine vernünftigen Daten erhältlich seien. Ausser mir untersuchten damals nur die GfK in Zusammenarbeit mit der Universität Fribourg den Schweizer EDV-Markt, wobei sie sich aber vor allem auf mittlere und grosse Systeme beschränkten und den PC-Markt nur rudimentär abschätzten. Das eigentliche Weissbuch entstand dann 1989. Ich untersuchte damals nicht nur die Absatzmengen, sondern auch die verwendeten Prozessoren, Taktfrequenzen, Speicherkapazitäten, also RAM und Harddisk, falls überhaupt eine solche vorhanden war. Die Hardwaredetails ermittelte ich nicht sehr lange, denn die Spezifikationen veränderten sich dermassen schnell, dass eine nur ein Mal im Jahr erscheinende Publikation der rasanten Entwicklung nicht mehr gerecht worden wäre.
Wenn Sie auf die letzten 25 Jahre zurückblicken, was waren die wichtigsten Veränderungen im Computerumfeld?
Spektakulär war, wie rasant sich die Anzahl der Anbieter reduzierte. Speziell am Schweizer Markt war auch die hohe Anzahl an Assemblierern. Sie bestritten sehr stabil über viele Jahre rund ein Viertel des Desktop-Marktes. Aber plötzlich verloren die Assemblierer infolge des Preiszerfalls dramatisch an Marktanteilen. Meine Analyse des Assemblierermarktes führte auch zur langjährigen Beliebtheit des Weissbuches. Die grossen Marktforscher wie Gartner oder IDC konnten diese Zahlen nicht liefern. Interessant ist in der Schweiz auch das Phänomen der Marktdominanz einzelner Marken. Die Top 5 bestimmen hierzulande rund 80 Prozent des Marktes oder mehr. Teilweise sogar nur die Top 3.
Woran liegt das?
Einige wichtige Grosskonzerne haben in der Schweiz ihre Hauptsitze, oft mit mehreren tausend Arbeitsplätzen. Diese treffen ihre Entscheidungen bezüglich PC-Hardware oft zugunsten der "Grossen". Das hat natürlich einen massiven Einfluss auf die Absatzzahlen. Das gilt vor allem für HP – oder früher auch für IBM. In diesem Geschäft mischt auch Dell mit und konnte nach einem Einbruch wieder zulegen. Lenovo ist darin stark. Aber Acer hat fast keine Chance.
Was veränderte die Computerbranche am nachhaltigsten?
Ganz klar der Preiskampf. Damit angefangen hatte Compaq 1993 mit der Presario-Familie und dem damit verknüpften Eintritt in den Heimmarkt. Ab da ging das Gerangel los, und auch im Projektgeschäft wurde immer häufiger über den Preis gesprochen. Es waren damals auch viele Klone aus dem asiatischen Raum im Umlauf, also IBM-kompatible PCs mit 386er- oder 486er-Prozessoren. Die haben sich sehr deutlich über den Preis in den Markt gedrängt. Ab da herrschte Tiefpreispolitik, und dies konnte man nicht mehr rückgängig machen. Dem Handel schwammen damit zudem die happigen Margenfelle davon.
Was hat Sie bezüglich der technischen Entwicklung überrascht? Mit welcher Entwicklung hätten Sie nicht gerechnet?
Erstaunt hat mich das Tempo beim Wechsel und der Wegfall vieler Standardschnittstellen. Und auch der unglaubliche Preiszerfall beim Storage hat mich echt überrascht. Kostete 1982 eine 20-Megabyte-PC-Festplatte rund 5500 US-Dollar, so bekommt man heute 2- oder 3-Terabyte-PC-Festplatten für weniger als 100 Dollar, also 100 000-fach höhere Kapazität zu einem 55-fach tieferen Preis. Ähnliche Zahlen finden wir beim Arbeitsspeicher.
Moore’s Law?
Je nach Definition teilweise noch rasanter. Ich wage zu behaupten, dass das Entwicklungstempo nicht nur die Nutzer, sondern auch die Hersteller, die Importeure und auch den Handel überraschte. Positiv für den Endabnehmer war der Umstand, dass er immer mehr Leistung zu einem immer geringeren Preis kaufen konnte. Und das ist heute immer noch so.
Was wird die Zukunft im Computerumfeld noch für uns bereithalten? Roboter, selbstfahrende Autos, …
… Daten. Alles dreht sich nur noch um Daten. Alles und alle sammeln oder verursachen heutzutage digitale Daten, meist unstrukturierte, die nur darauf warten, von Unternehmen, Regierungen und anderen Organisationen gespeichert, bearbeitet und ausgewertet zu werden. Und wir stehen erst am Anfang des Internets der Dinge, das auch nur den einen Zweck hat: Daten zu sammeln und weiterzuleiten. Es geht dabei darum, die reale Welt in Form von Daten abzubilden, um damit schliesslich die Menschen durchschaubar zu machen. Marketingspezialisten wünschen sich ja schon lange den gläsernen Kunden. Um die Datensammelwut noch weiter zu fördern, baut die Industrie überall, meist unbemerkt, Sensoren ein, die alles, was man sich vorstellen kann, messen, interpretieren und weiterleiten.
Diese Daten müssen ja alle irgendwo gespeichert werden. Wie wird sich die Speichertechnologie entwickeln?
Schon heute produzieren wir zu wenig Speicher, um alle anfallenden Daten zu speichern. Andererseits haben noch nicht alle CIOs und auch nicht alle Storage-Produzenten begriffen, was das Wort "Datenhierarchie" bedeutet. Es geht darum, Daten auf verschieden schnellen Datenträgern beziehungsweise Speichersystemen zu speichern. Jederzeit verfügbare Daten etwa auf Flash, selten gebrauchte Daten auf Band. In den Labors erforscht und entwickelt man schon seit Jahren Datenspeicher, die auf Speicherdichten von Terabits pro Quadratzentimeter kommen, wie PCM, also Phase Change Memory, oder Racetrack Memory. Und das ist auch nötig.
Was wären die Alternativen?
In den Labors wird an Nano Carbon Tubes oder an Spin-Technologien gearbeitet, die den Elektronenspin ausnutzen, um Informationen zu verarbeiten beziehungsweise zu speichern. Man dringt dabei bis auf die Ebene des Atoms und zu den Elementarteilchen vor. Zudem gibt es Bestrebungen, den Quantencomputer zu bauen … Die NSA soll an so einem Gerät arbeiten, habe ich in der NZZ gelesen. Die Technologie gilt allerdings noch weithin als Theorie.
Lassen Sie uns noch über das Weissbuch sprechen. Am 2. April soll das 25. Weissbuchseminar stattfinden. Wird es auch tatsächlich über die Bühne gehen?
Ja, klar. Ich konnte – wie in früheren Jahren auch – tolle Sponsoren an Bord holen. Lenovo, Medion, Also, EMC, Littlebit, Swisscom, Oracle und Mr. Disc haben schon zugesagt. Und es kommen sicher noch welche dazu.
Warum wollen Sie diesen Event auch mit Crowdfunding finanzieren?
Letztes Jahr habe ich an den Ittinger Mediengesprächen von IBM Johannes Gees, den "Erfinder" der Plattform Wemakeit.ch kennen gelernt und ich fand die Idee so interessant, dass ich es einmal selbst ausprobieren wollte. Wir werden sehen, wie gut es klappt. Bis jetzt (= 13. Februar, Anm. d. Red.) sind immerhin schon rund 2000 von 10 000 Franken zusammengekommen, die ich über das Crowdfunding generieren will. Das Crowdfunding ist aber nur ein kleiner Teil der ganzen Finanzierung des diesjährigen Weissbuch-Events. Der Anlass wird um einiges teurer. Immerhin ist es das 25-jährige Jubiläum.
Was erwartet die Besucher des diesjährigen Weissbuch-Events?
Es gibt natürlich einen Rückblick auf die letzten 25 Jahre. Zudem wird es drei internationale Referenten geben und eine kurze Einführung in die aktuellen Marktzahlen. Und dann gibt es den sogenannten "Rollator-Event". Das heisst, die ehemaligen Top-Manager der Schweizer IT-Industrie werden sich auf dem Podium den Fragen des Moderators stellen. Bereits zugesagt haben Jürg Stutz, der ehemalige Chef von Apple Schweiz, Peter Brogle, Ex-IBM. Auch kommt der ehemalige Verleger der Compress Information Group, Michael von Babo, der mich damals auf die Idee gebracht hatte, das Weissbuch als Geschäftsidee zu verwirklichen. Harald Stanzer, Ex-Compaq, Thomas Weissmann, Ex-Also, und Mario Fontana, Ex-HP sind weitere. Das wird lustig, all die "alten" Manager wieder zu sehen und zu hören. Der dritte Teil des Events ist dann dem reinen Networking gewidmet. Vielleicht engagiere ich auch noch eine Band ... Eine Stunde vor dem Event werde ich übrigens wie gewohnt die Medien über die Erkenntnisse des 25. Weissbuches informieren.
Machen Sie das Weissbuch weitere 25 Jahre?
Da bin ich noch unschlüssig. Ich bin eigentlich seit einigen Jahren immer etwas enttäuscht, wie wenig Leute das Weissbuch effektiv kaufen wollen, wenn es herauskommt. Der Aufwand, dieses Produkt fertigzustellen, die rund 600 Charts zu produzieren, ist eigentlich zu gross für das, was wieder reinkommt. Aber ich will in Zukunft schon noch etwas machen, solange ich noch mein Netzwerk habe und es mir Spass macht. Vielleicht werde ich mich darauf konzentrieren, Referate zu halten. Oder vielleicht wieder einmal ein Buch schreiben.
Ist es möglich, dass das Weissbuch dieses Jahr zum letzten Mal erscheint?
Ja, das ist schon möglich. Aber schauen wir einmal, wie es läuft. Vielleicht mache ich ja auch nur noch den Event ohne die Zahlenerhebung. Wieso nicht?
Können Sie schon etwas zum Inhalt der 25. Ausgabe sagen? Welche Entwicklungen sehen Sie im Schweizer PC-Markt?
Ich habe noch nicht angefangen, die Daten zu erheben. Ich erwarte aber, dass wir in der Schweiz ähnliche Entwicklungstendenzen sehen werden wie im gesamteuropäischen Markt. Das heisst, der PC-Markt ohne Tablets schrumpft und wird weiter schrumpfen. Insbesondere die Laptops beziehungsweise Notebooks sind unter Druck. Bei den Desktops sehe ich eine Stagnation, wenn nicht sogar ein leichtes Wachstum.
Warum ist das so?
Die IT-Chefs lieben Desktops, heute sind das vor allem Small Clients, weil sie diese jederzeit unter Kontrolle haben und so die IT-Sicherheit besser gewährleisten können, als bei den verschiedenen mobilen Geräten.
Und wie sieht es bei den Tablets aus?
Die werden ganz klar noch weiter zulegen. Aber wohl nicht mehr so stark wie in den vergangenen Boom-Jahren. Und auch die Smartphones werden weiter zulegen.
Wie wird die Rangliste bei den PC-Anbietern im diesjährigen Weissbuch aussehen?
Ohne Tablets ist HP immer noch klar auf Platz 1, Apple auf Platz 2 und auf dem 3. Platz liegt jetzt Lenovo. Und Lenovo dürfte weiter wachsen. Wenn es Lenovo gelingt, in der Schweiz auch im Consumer-Segment Fuss zu fassen, und daran arbeiten die mit Hochdruck, werden sich einige Anbieter warm anziehen müssen.
Wie sieht es aus, wenn Sie die Tablets dazuzählen?
Inklusive Tablets liegt Apple vor HP. Acer hat weiter verloren, Dell dafür wieder etwas zugelegt. Die definitiven Zahlen erfahren Sie am 2. April am Weissbuch-Event.
Persönlich
Robert Weiss ist seit 1980 selbstständiger Berater und Medienmitarbeiter im ICT- und Technologieumfeld. In rund 400 TV- und 1000 Radiosendungen ist sein Wissen als Technologieexperte schon seit über 30 Jahren gefragt. Hunderte Artikel und Referate zeugen von seiner breiten Öffentlichkeitsarbeit. Dazu kommen eigene Bücher, Marketingreports wie das "Weissbuch" und viele weitere Publikationen. Robert Weiss gilt als ausgewiesener Kenner des Schweizer ICT-Marktes, der Innovationsmöglichkeiten und der Zukunftstechnologien. Zeugen seiner Verbundenheit zur Technologiegeschichte sind das internationale Poster "Meilensteine der Computer-, Elektronik- und Telekommunikations-Revolution", seine Sammelleidenschaft von Technologiegegenständen und sein Engagement für das Schweizer Computermuseum "Enter" in Solothurn.