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Die Kritiker von SDN sind ernst zu nehmen

Uhr | Updated
von George Sarpong

SDN steht für Software-defined Network und gilt als der neue Milliardenmarkt in der ICT-Welt. Andreas Moser, Manager Systems Engineering beim Netz­werk­riesen Cisco, erklärt, warum sich der Fachhandel bereits heute mit dem Trend auseinandersetzen sollte.

Andreas Moser, Manager Systems Engineering, Cisco. (Quelle: Cisco)
Andreas Moser, Manager Systems Engineering, Cisco. (Quelle: Cisco)

Jeder Hersteller scheint etwas anderes unter Software-defined-Networking (SDN) zu verstehen. Wie definiert Cisco SDN?

Andreas Moser: Am Anfang stand der Gedanke, Netzwerke einfacher steuern und konfigurieren zu können. Dies sollte erreicht werden, indem die Kontrollfunktionen aus den Netzwerkelementen zentralisiert werden und so eine einzige Kontroll- und Steuer­instanz geschaffen wird. Dieser Ansatz wurde als Trennung von Kontroll- und Daten­ebene in den Netzwerken bezeichnet. Um dies zu ermöglichen, wurden zum Beispiel Protokolle wie Openflow entwickelt, die die Steuerung der Netzwerkelemente übernehmen. Der notwendige zentrale Kontroller wird seinerseits mit entsprechenden Schnittstellen versehen und steht so den darüberliegenden Applikationen zur Steuerung des Netzwerks zur Verfügung. Diese Applikationen können etwa Cloud-Services, Geschäfts- oder M2M-Anwendungen sein, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, ein Netzwerk auf die aktuellen Anforderungen auszurichten, wobei hier natürlich Unterschiede bestehen, je nachdem ob wir von einem Datacenter, Campus oder Weitverkehrsnetz sprechen. Die Anzahl der Nutzungsmöglichkeiten wird sich über die Zeit vergrössern und der Zugang zu diesen neuen Services für ein breiteres Kundensegment offen sein.

Kritiker monieren, dass sich SDN nicht klar definieren lasse, da etwa branchenübergreifende Standards fehlten. Warum sollte sich der Fachhandel dennoch jetzt mit dem Thema beschäftigen, wo doch die Hersteller zunächst mal in der Pflicht stehen?

Das ist eine wichtige Frage. Bei Cisco sehen wir SDN als eine grundlegende Marktveränderung, vergleichbar mit der Virtualisierung und dem Cloud Computing. Ähnlich wie diese beiden früheren Trends wurde auch SDN mit viel Begeisterung und zum Teil nicht haltbaren Versprechen von Experten und Unternehmen gleichermassen am Markt eingeführt. Wir glauben, dass SDN erst am Anfang eines wichtigen Wandels steht. Aber es wird noch längst nicht den aktuellen Anforderungen gerecht.

Warum nicht?

Weil SDN oftmals immer noch ausschliesslich netzwerkzentriert und nicht anwendungszentriert betrachtet wird. Aus diesem Grund arbeiten wir an einer applikationszentrierten Infrastruktur – ein neues Netzwerkmodell wenn man so will – die über SDN hinausgeht. Es kombiniert Infrastrukturkomponenten mit Software, um zentralisierte applikations- und richtlinienbasierte Automation mit einheitlichem Management für physische, virtuelle und Cloud-Infrastrukturen zu ermöglichen.

Dann wird also auch Cisco versuchen, eigene Standards am Markt zu etablieren?

SDN wird von verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielen vorangetrieben. Daher ist es klar, dass Standards nicht im primären Fokus stehen, zumindest nicht am Anfang der Entwicklung. Cisco trägt als Marktleader eine grosse Verantwortung in diesem Bereich, auch bezüglich der installierten Basis. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Cisco-ONE-Umgebung (Open Network Environment) eine breitere Palette an Lösungsansätzen abdeckt und sich nicht einfach mit der Unterstützung von Openflow als Kontrollmechanismus begnügt. Gerade im Bereich Openflow ist Cisco aber trotzdem die treibende Kraft. Etwa mit dem Open-Source-Projekt "Open Daylight", welches zum Ziel hat, einen Openflow-Controller zur Verfügung zu stellen, welcher zu einem De-facto-Standard werden kann. Somit treiben wir in diesem Bereich die Offenlegung unserer Produkte voran. Auch im Bereich der Plattform-Kits geht Cisco einen Schritt weiter als die Mitbewerber und bietet diese Software Development Kits (SDKs) offen an und legt auch die Informationen zu den entsprechenden Schnittstellen offen. Die Kritiker von SDN sind aber ernst zu nehmen: Diese neue Technologie wird leider viel zu oft als Marketinginstrument eingesetzt, ohne dass ein nutzenbringender Anwendungsfall vorliegt, oder Themen wie die Sicherung des Kontrollprotokolls oder die Skalierung hinreichend geklärt sind. Cisco strebt hier gemeinsam mit Partnern und Kunden einen Step-by-Step-Ansatz an und sichert so wiederum den Erfolg aller getätigten Investments und Aktivitäten.

Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz konkret von jenem der Mitbewerber?

Eines der Hauptunterscheidungsmerkmale ist die Tatsache, dass wir SDN nicht als eine eindimensionale, zentralisierte Steuerungs- oder Virtualisierungsaufgabe sieht. Ausserdem ist für uns die laufende Analyse des Netzwerkes der Eintrittspunkt zu SDN. Erst damit werden auf der Applikationsebene eine "Network Awareness" sowie eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten geschaffen, um das Netzwerk über die reine Transportaufgabe hinaus zu nutzen. Mit dieser Sicht der Applikation auf die Infrastruktur lassen sich auch Anforderungen im Bereich der Konfiguration und in Bezug auf die Verbindungscharakteristik stellen, was wiederum dem Netzwerk eine "Application Awareness" gibt. Ermöglicht wird dies bei unserem Ansatz durch die für diese Anforderung geschaffenen Produkte Cisco ASIC, die Cisco Betriebssysteme und durch Cisco ONE (Open Network Environment). Damit bilden wir eine Schicht zwischen Netzwerk und den Applikationen. Cisco ONE umfasst dabei SDN-Ansätze wie Openflow- und Overlay-Funktionalitäten. Darüber hinaus eröffnet es Partnern und Kunden mit einem Software Development Kit zusätzlich neue Möglichkeiten, ein bestehendes oder neues Netzwerk mittels der vorhanden Programmierschnittstelle zu analysieren und gegebenenfalls zu steuern. ONE integriert sich hervorragend mit den Orchestrierungsmöglichkeiten unserer Applikationen CIAC und Cloupia und bietet so eine umfassende Lösung im Bereich der Netzwerkelementsteuerung. Ausserhalb der technischen Betrachtung ist es wichtig zu verstehen, dass ONE mit dem grössten Teil der installierten Cisco Basis funktioniert. Dadurch ergibt sich ein Investitionsschutz. Auch im Bereich der Betriebskosten sind keine Zusatzaufwendungen zu erwarten, da eine Duplikation von Managementpunkten wie bei reinen Overlay-Lösungen nicht notwendig ist.

Und wie sieht es auf der Seite der Fachhändler aus: Welche wirtschaftlichen Möglichkeiten ergeben sich im SDN-Geschäft für den Fachhandel in der Schweiz konkret?

SDN, oder generell das Thema der Application-centric-Networks, eröffnet eine riesige Anzahl von Möglichkeiten. Dies gilt auch für Firmen, die bisher nicht im Netzwerkbereich tätig waren. Denn die Entwicklung einer SDN-Lösung für einen Kunden beginnt stets mit der Analyse seiner bestehenden Infrastruktur und Geschäftsbedürnisse. Dadurch können neue Dienstleistungen und Lösungen aus der Cloud oder on-Premise geschaffen werden. Hier sind die Möglichkeiten unbegrenzt und damit auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Persönlich finde ich es sehr spannend, dass solche Lösungen besonders von der Ideenvielfalt und der Kreativität des Fachhandels abhängig sind und somit auch kleinere Partner eine entscheidende Rolle spielen können.

Das bedeutet?

Unser Ratschlag an die Fachhändler lautet daher, SDN mit einem detaillierten und in Phasen gegliederten Ansatz einzuführen. Dazu gehören die Identifikation spezifischer Anwendungsfälle mit hohem Kundennutzen und die Entwicklung entsprechender praktischer Lösungen. Dies löst die Verwirrung um SDN und ermöglicht Umsatz generierende Lösungen mit echtem Mehrwert. Langfristig hilft diese Strategie den Channel-Partnern beim Aufbau einer fundierten SDN-Expertise, die sie im Laufe der Zeit erweitern können.

Wie bindet Cisco den Channel in seine SDN-Strategie ein?

Unsere Channel-Partnerprogramme decken alle unsere Angebote ab. So werden auch unsere SDN-Lösungen in die Programme integriert. Natürlich gelten auch hier die entsprechend benötigten Qualifikationen und Anreize. Cisco informiert den Channel laufend über die Entwicklungen in diesem Bereich und nimmt das Thema regelmässig in den technischen Schulungen und Trainings auf. Die Führungsetage der Schweizer Partner war im Frühling zu einem Partner Executive Meeting geladen, an welchem SDN in einer breiteren Betrachtung beleuchtet und den anwesenden Partnern die nächsten Schritte im technischen Bereich, aber auch in der Marktbearbeitung, aufgezeigt wurde. Weitere, detaillierte Informationen wurden am Partner Summit in Boston aufgezeigt, welcher im Juni stattfand.

Lassen Sie Uns nach vorne schauen: Was plant Cisco für die Zukunft mit den Partnern im SDN-Geschäft?

In den nächsten Wochen werden zusätzliche Aktivitäten durchführen, welche es unseren Partnern vereinfachen sollen, das Thema SDN mit den Kunden aufzugreifen. Wir wollen unsere Partner befähigen, konkrete Schritte hin zu einer Software-definierten Lösung zu gehen und so dem Thema mehr als nur einen Hype-Charakter zu geben. Andererseits überlegen einige Partner im Moment, in welche Richtung sich ihr Kerngeschäft entwickeln soll und welche eigenen Entwicklungen und Ideen einen Markterfolg bringen können. Wir unterstützen sie dabei mit unserem riesigen Angebot an Lösungen und Werkezugen. Etwa mit dem Cisco Developer Network (CDN), einem Applikations und Solution Store für Entwickler.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die nächsten fünf Jahre im SDN-Geschäft?

Wer möchte nicht wissen, was in fünf Jahren ist? Persönlich denke ich, dass man sich eine Vielzahl neuer Möglichkeiten vorstellen kann, dass etwa heute getrennt genutzte Plattformen, wie mobile und fixe Systeme, in Zukunft weitaus stärker integriert und verschmolzen werden können als dies heute möglich ist. Die Virtualisierung wird durch diese Entwicklung sicher einen weiteren Schub erhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Netzwerk und damit Cisco in den kommenden Jahren eine wesentlich zentralere Rolle spielen werden und dass das Netzwerk als Plattform an Bedeutung gewinnen wird.

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