Editorial

"Sein oder nicht sein", so sollte nie die Frage lauten

Uhr
von Coen Kaat
(Source: Netzmedien)
(Source: Netzmedien)

Abkürzungen sind doch eigentlich eine tolle Sache. Aber sie neigen immer dazu, zum normalen Weg zu werden. Auch im übertragenen ­Sinne. Wer schreibt oder Reden hält, bedient sich beispielsweise gerne beliebter Redensarten. Wie oft haben Sie schon gelesen, dass ein Anlass "über die Bühne gegangen ist"? Oder gehört, dass sich der "Handel im Wandel" befindet? Auch die Frage "Quo ­vadis?" wurde schon zu oft gestellt. Diese Liste ist mitnichten ­abschliessend.

In meinem journalistischen Alltag begegne ich diesen Phrasen mehrmals täglich: In Beiträgen anderer, in Pressemitteilungen, in Reden an Events, in Werbebroschüren und ja, manchmal auch in meinen eigenen Texten. Manchmal fehlt die Zeit, eine kreativere Formulierung zu finden, manchmal die Musse, oder vielleicht will man einfach an etwas Bekanntes in den Köpfen der Leserinnen und Leser anknüpfen. Man vergisst dabei aber die Konnotationen, die im Ungelesenen immer mitschwingen. In der Regel ist das nicht so tragisch. Dass "Alea iacta est" nicht "die Würfel sind gefallen", sondern "der Würfel ist geworfen" heisst, ist kein grosser Unterschied: Im Gegensatz zu einem gefallenen Würfel ist beim geworfenen der Ausgang allerdings nicht nur unveränderbar, sondern auch noch unbekannt.

Es gibt aber ein paar Phrasen, die aus dem kollektiven Wortschatz verbannt werden sollten. Dazu gehören etwa Variationen von "sein oder nicht sein - das ist hier die Frage". Eine einfache Schablone, mit der sich schnell Titel oder Werbebotschaften erstellen lassen. Das Problem: Der Text ist durchaus wörtlich zu verstehen. Es handelt sich nämlich um ein Zitat aus Hamlet von William Shakespeare. Die Titelfigur stellt sich mit diesen Worten die Frage, ob sie sich das Leben nehmen soll oder nicht. Sein oder nicht sein. Und immer, wenn ich eine Werbebotschaft lese wie "Kaffee trinken oder geniessen - das ist hier die Frage", weckt das in mir keine Lust auf Koffein; nein, ich assoziiere das Angebot mit Suizid.

"Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hat", ist ein weiteres Ärgernis, das allerdings häufiger gesagt als geschrieben wird. Viele verwenden dieses angebliche Zitat gerne, wenn harte Fakten ihrer Meinung widersprechen. Manche glauben, die Aussage stamme von Winston Churchill. Im englischsprachigen Raum kennt man diesen Spruch allerdings nicht. Denn der entstand in der Nazipropaganda-Maschinerie. Die Aussage wurde dem britischen Staatsmann in den Mund gelegt, um ihn und seine ­Methoden zu entwerten.

Wenn ihnen diese Worte also irgendwann wieder einmal auf der Zunge liegen, beissen sie lieber darauf. Denn manchmal ist der längere Weg doch der richtige. Wer in den Worten anderer spricht, bleibt niemandem im Gedächtnis. Das schafft man nur mit den ­eigenen Worten.

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