Cyber Week 2019

Chuzpe und Cybersecurity – was Israels Start-ups so erfolgreich macht

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von Coen Kaat

Vom 23. bis zum 27. Juni hat in Tel Aviv die "Cyber Week" stattgefunden. In einer Rede verriet Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, was Israels Cybersecurity-Start-ups so erfolgreich macht: staatliche Investitionen, die Armee als Start-up-Inkubator und nicht zuletzt auch ein wenig Chuzpe.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. (Source: Govemment Press Offce)
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. (Source: Govemment Press Offce)

Ende Juni 2019: Europa stand kurz vor der heftigsten Hitzewelle seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In Belgien, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden und im Vereinigten Königreich kletterten die Temperaturen auf Allzeit-Rekordwerte.

In Tel Aviv zeigte das Thermometer bereits deutlich über 30 Grad an, als dort vom 23. bis zum 27. Juni die "Cyber Week" stattfand. Die 9. Ausgabe der Konferenz brachte über 900 Teilnehmer aus mehr als 80 Ländern zusammen. Von Start-ups über Grosskonzerne bis zu Regierungsvertretern.

Die "Cyber Week" fand in Tel Aviv statt. (Souce: Netzmedien)

Security auch vor der Konferenz

Die ersten drei Tage der "Cyber Week" hatten einiges zu bieten: brandneue Start-ups mit frischen Ideen, erfahrene Referenten mit spannenden Inputs und dazwischen reichlich Gelegenheiten für Networking. Das Highlight kam jedoch am vierten Konferenztag: Statt an QR-Code-Scannern endeten die Warteschlangen beim Eingang vor bewaffneten Agenten und Metalldetektoren. Der Grund für die strengen Kontrollen war Benjamin Netanjahu. Der amtierende Ministerpräsident Israels sprach an diesem Tag an der Konferenz. Nie mehr als 2 Meter von seinen Bodyguards entfernt. In seiner Rede streifte er mehrere wesentliche Faktoren für Israels Erfolg in der Cybersecurity-Industrie. Ein Erfolg, der keineswegs selbstverständlich ist. Denn das Land, in dem gemäss Bibel Milch und Honig fliessen, besitzt eigentlich keine natürlichen Ressourcen und nur einen relativ kleinen Heimmarkt.

Über 900 Teilnehmer aus mehr als 80 Ländern kamen zu der Konferenz. (Source: Netzmedien)

"Wir sind derzeit mitten in einer Revolution", sagte der Ministerpräsident und meinte damit die Digitalisierung. "Und es ist unsere Aufgabe, aus dieser Herausforderung eine Chance zu machen." Denn die digitale Transformation bringe neue Industrien hervor. Sie bringe aber auch bestehende Branchen in die Reichweite Israels. Dank der Digitalisierung habe Israel seit 50 Jahren erstmals wieder eine Autoindustrie. Zuvor hatte etwa die Firma Autocars versucht, mit Fiberglas-Autos den Markt zu prägen. "Wir konnten jedoch nicht skalieren und infolgedessen auch nicht im Wettbewerb mithalten. Im digitalen Zeitalter werden Autos jedoch immer mehr zu Computern auf Rädern", sagte Netanjahu. "Schon bald besteht ein Fahrzeug zu 85 Prozent aus Software. Darum sind wir wieder konkurrenzfähig! Denn das Herz dieser Revolution ist Cybersecurity. Und wir investieren schon seit Jahren massiv in IT-Security."

Kein OECD-Staat investiert mehr

Dies widerspiegelt sich auch in der Tatsache, dass Israel rund 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Forschung und Entwicklung (F & E) steckt. Mehr als jedes andere OECD-Land, sagte auch Sagi Dagan abseits der Hauptbühne. Dagan ist Vice President Growth Division bei der Israel Innovation Authority. Die Innovationsbehörde hat den Auftrag, die industrielle F & E im Staat Israel zu fördern. Zum Vergleich: Die Schweiz gibt gemäss dem Bundesamt für Statistik rund 3,4 Prozent des BIP für F & E aus. Die USA kommen auf knapp 2,8 Prozent; in der EU liegt der Schnitt bei fast 2 Prozent.

Das Maskottchen der Konferenz. Eine Mini-Version des Trojanisches Pferds diente auch als Award. (Source: Netzmedien)

Israels Staat und Privatwirtschaft ko-investieren dabei in Erfolg versprechende Projekte. Die Verzahnung geht aber noch weiter. Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad gründete 2017 Libertad Ventures. Die Risikokapitalgesellschaft agiert nun als dessen strategisches Investitionsorgan für die Förderung von Start-ups. An der Konferenz erhielt der Geheimdienst sogar einen Award für dessen Beitrag zu Israels Cyberabwehr.

Im Schatten von Kaspersky und Huawei

Fürchtet die Privatwirtschaft bei so vielen staatlichen Geldern nicht, ein ähnliches Schicksal wie Huawei oder Kaspersky zu erleiden? Beide Firmen wurden der staatlichen Einmischung bezichtigt und infolgedessen zeitweise auf schwarze Listen gesetzt.

Mossard erhält einen Award: (v.l.) Isaac Ben-Israel, "Cyber Week"-Chairman, Josef Cohen, Mossad-Direktor und Yigal Una. Director General des Israel National Cyber Directorate. (Source: Netzmedien)

"Das könnte durchaus passieren", sagte Gil Shwed, Mitgründer und CEO des IT-Security-Anbieters Check Point, im Gespräch. Aber es sei unwahrscheinlich. Denn die Regierung wisse, wie wichtig der Hightech-Sektor für das Land sei. "Wenn wir unseren guten Ruf in dem Sektor verlieren, würde das nicht nur die israelische Wirtschaft ruinieren, sondern das ganze Land." Man könne die Lage in Israel aber nicht mit China oder Russland vergleichen. "Ein anderes Land könnte schon versuchen, die eigenen Hightech-Exporte zu nutzen, um Feinde auszuspionieren. Unsere Feinde würden jedoch nie israelische Technologien verwenden", sagte Shwed. Check Point selbst erhielt gemäss dem CEO keine Fördergelder vom Staat.

Von der Armee in die Wirtschaft

Netanjahus Blick schweifte von der Bühne und über die Reihen der Besucher der "Cyber Week"-Konferenz. Mit tiefer Stimme und einem überraschend kräftigen amerikanischen Akzent sprach der Ministerpräsident weiter: "Wir erschufen ein Wirtschaftsumfeld, worin jeder, der aus der Armee kommt und ein Unternehmen gründen will, nicht durch horrend hohe Steuern davon abgehalten wird."

Gil Shwed, Mitgründer und CEO von Check Point. (Source: Netzmedien)

Das Schlüsselwort in dem Zitat ist "Armee". Einem Inkubator gleich dienen die Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in Israel nicht nur der Landesverteidigung. Gil Shwed etwa hatte die Idee für Check Point nach eigenen Angaben im Militär. Alon Cohen, Gründer und ehemaliger CEO von Cyberark, diente sieben Jahre bei Mamram, die zentrale IT-Infrastruktur-Einheit des Militärs. "Das war die beste IT-Ausbildung, die ich je hatte", sagte er, während er sein neues Start-up NsKnox vorstellte. Ähnlich hören sich die Geschichten fast jedes Start-ups an, das sich während der Konferenz vorstellte: Idee, Mitgründer, Know-how oder auch Softskills wie Führungskompetenzen verdanken sie dem Militär. Dagan von der Israel Innovation Authority bezeichnet die Wehrpflicht daher auch als ein "wertvolles Kapital für unsere Cybersecurity-Industrie". Anders als in der Schweiz gilt die Wehrpflicht in Israel für Männer und Frauen.

Das Land kommerzialisiert ausserdem militärische Technologien. Ein Beispiel hierfür ist die Pillcam der Firma Given Imaging. Eine kleine Kapsel mit zwei Kameras, die Endoskopien überflüssig macht. Die Technologie dahinter basiert auf Lenkraketen. Und auch die Kühltechnologie von Rafael-Raketen wird heute genutzt, um Krebszellen zu zerstören. Die minimal-invasive Methode nennt sich Visual-ICE.

Mut, Regulierungen und Iran

Zurück auf der grossen Bühne musterte der mächtigste Mann Israels erneut das Publikum. "Meine Hauptaufgabe ist es, nicht überzuregulieren", sagte Netanjahu. "Wir müssen es riskieren, weniger zu regulieren, um mehr zu wachsen."

Alon Cohen, Gründer und ehemaliger CEO von Cyberark, präsentiert sein neues Start-up NsKnox. (Source: Netzmedien)

Oder anders gesagt: Chuzpe. Das jiddische Wort ist irgendwo zwischen "unverschämter Mut" und "charmante Dreistigkeit" einzuordnen. Das Selbstbild vieler Start-up-Gründer und Cybersecurity-Spezialisten in Israel. Dies gilt aber auch für den Staat selbst. "Wenn wir keine Risiken eingehen, wird der Markt nicht wissen, wie das geht", sagte Dagan von der Israel Innovation Authority. Diesen Mut braucht die Branche in Israel auch. Während andere Länder ihre Cyberabwehr in teuren Tests prüfen müssen, sieht sich Israel permanent mit realen Gegnern konfrontiert. Seit 2013 muss sich das Land etwa jährlich gegen #Opisrael behaupten. Dahinter steckt eine koordinierte Cyberattacke von Hacktivisten weltweit. Und dann gibt es noch den Cyber-Staatsfeind Nummer eins: Iran. "Die aktivste Cyberbedrohung im Nahen Osten", wie verschiedene Redner an der "Cyber Week" immer wieder betonten. Dem will auch Netanjahu weiter Paroli bieten: "Wir werden der weltweite Marktführer sein, wenn es um Cybersecurity geht", sagte er.

Warum denken viele beim Stichwort "Cybersecurity" zuerst an Israel? Und warum nicht an die Schweiz? Start-ups mit spannenden Ansätzen gibt es hierzulande mehr als genug. Aber werden die von den hiesigen Kunden auch genutzt? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, haben Netzmedien und Datastore zum ersten "CISO-Roundtable" eingeladen. Was am runden Tisch besprochen wurde, können Sie hier nachlesen.

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