Wissen: Software-defined

Alles Software-defined, oder was?

Uhr | Updated
von Marion Ronca

Ob im Netzwerk-, Server- oder Storage-Bereich – zahlreiche IT-Anbieter schmücken sich derzeit mit dem Modewort "Software-defined". Hinter diesem neuen Virtualisierungstrend stecken viele marktstrategische Ambitionen und einige ungelöste Probleme. Der neueste IT-Trend dürfte vor allem im Netzwerkbereich viele Prozesse von Grund auf umkrempeln und Unternehmen neue Perspektiven eröffnen.

(Quelle: Deutsche Telekom)
(Quelle: Deutsche Telekom)

Wie jede Branche kennt auch die IT Trends und Moden. Vor zehn Jahren waren es etwa die Webservices, WLAN und Business Intelligence, seit einigen Jahren Cloud Computing und seit neuestem Big Data. Einer der neuesten Trends in der IT geht mit dem Begriff "Software-defined" einher.

Im April pries HP seinen neuen Server Moonshot als "the world’s first software defined web server" an, der Storage, Netzwerk und das Management in einer Lösung vereinige. EMC wiederum präsentierte an seiner Kunden- und Partnerkonferenz EMC World 2013 Anfang Mai 13 seine Vipr-Lösung als softwaredefinierte Storage-Plattform, mit der sich sowohl die Hardwareinfrastruktur als auch die darauf gespeicherten Daten zentral verwalten lassen sollen.

Am häufigsten dürfte jedoch der Begriff «Software-defined» im Zusammenhang mit Networking auftreten. Die deutsche Computerwoche zählte kürzlich 14 IT-Unternehmen, die im Verlauf des letzten Jahres Produkte oder zumindest Strategien im Bereich "Software-defined Networking" (SDN) angekündigt hatten.

Zu diesen gehören unter anderem Arista Networks, Brocade, Cisco Systems, Citrix, HP, IBM und nicht zuletzt VMware. Doch auch kleinere Unternehmen wie der Cloud-Anbieter Pertino Networks oder Plexxi sind im Bereich SDN aktiv und heizen den Trend an.

Eine Übernahme und ihre Folgen

Den SDN-Trend ins Rollen brachte VMware, als das Unternehmen im Juli 2012 den Anbieter von Netzwerkvirtualisierungen Nicira für 1,26 Milliarden US-Dollar kaufte. Das Kernprodukt des 2007 gegründeten Softwareunternehmens Nicira ist die "Network Virtualization Platform" (NVP), eine Art virtueller Switch, die es erlaubt, physische Netzwerke in virtuelle zu übersetzen und diese zentral und vor allem kosteneffizient zu steuern. Von Nicira stammt auch Openflow, ein offener Standard für experimentelle Netzwerkprotokolle, der eine präzise Steuerung des Datenflusses ermöglicht und eine Voraussetzung für softwaredefiniertes Networking ist.

Da Nicira schon vor der Übernahme durch VMware Unternehmen wie Ebay und den Telekomabieter AT&T und NTT von den Vorzügen des SDNs überzeugen konnte, blieb die Übernahme durch VMware nicht unbemerkt.

Vor der Übernahme von Nicira durch VMware hatten bereits Anbieter von Netzwerktechnik wie Brocade oder Juniper Networks SDN-Strategien bekanntgegeben und Produkte auf den Markt gebracht. Als aber auf einmal auch ein führender Anbieter von Virtualisierungslösungen in den SDN-Bereich investierte, geriet der Markt der Netzwerktechnik in Aufruhr. Als Nächster reagierte Cisco mit dem Kauf von vCider im Oktober des letzten Jahres. Geradeheraus gestand der Anbieter von Netzwerktechnik gegenüber Reuters, vCider sei eine Antwort auf die Übernahme von Nicira durch VMware.

SDN, ein Paradigmenwechsel im Networking

Dass sich neben Anbietern von Netzwerktechnik auch Entwickler von Virtualisierungssoftware wie VMware für SDN interessieren, ist nicht ungewöhnlich. Wie Gartner-Analyst Joe Skorupa in einer Studie schreibt, bringt SDN durch Abstrahierung des physikalischen Netzwerkes einen vergleichbaren Grad an Agilität in Netzwerke, wie Virtualisierung bei Serverinfrastrukturen. In SDN-Architekturen werden gemäss Skorupa die Kontrollebene und die Datenebene entkoppelt, die Netzwerkintelligenz zentralisiert und die Netzwerkinfrastruktur von den Netzwerkapplikationen abstrahiert.

Ähnlich wie bei Servervirtualisierungen sind softwaredefinierte Netzwerke zunächst kostensparend, weil die Feinsteuerung des Datenverkehrs eine viel effizientere Auslastung der jeweiligen Rechenzentren erlaubt. Wie VMware in einer Präsentation zu Nicira aufzeigt, waren Datacenter vor Nicira weniger als 60 Prozent, meistens nur zu 40 Prozent ausgelastet. Mit Nicira können Datacenter gemäss VMware bis zu 90 Prozent ausgelastet werden und zwischen 15 bis 30 Millionen US-Dollar eingesparen.

Für Gartner-Analystin Donna Scott liegt der grösste Vorteil von softwaredefinierten Netzwerken im Zeitgewinn, den sie mit sich bringen. "Da SDN-Lösungen auf automatisierten Richtlinien basieren, können Netzwerke innerhalb weniger Stunden neu konfiguriert werden. Auf traditionellem Weg benötigen dieselben Konfigurationen bis zu zwei Wochen."

Der Aspekt des Zeitgewinns ist gemäss Scott der Hauptgrund, warum sich immer mehr Unternehmen, allen voran Serviceprovider, intensiv mit den SDN auseinandersetzen und eine Implementierung der Technologie erwägen. Dennoch glaubt Scott, dass es noch einige Zeit dauert, bis sich die Technologie durchsetzen wird.

Ähnlich schätzt Martin Niemer, Director Enterprise CEMEA bei VMware, die Marktentwicklung von SDN ein. Ein wichtiger Grund für die langsame Übernahme der Technologie sei, dass sich in Unternehmen die Netzwerkteams noch sehr stark auf die Hardware fokussieren würden.

Das sei darauf zurückzuführen, dass Networking immer auch mit Security einhergehe, die lange Zeit auf proprietäre Hardware aufgebaut hätte. "Im Gegensatz zu den Compute-Teams der Unternehmen, die schon seit fünf Jahren oder länger mit virtualisierter Hardware arbeiten, ist die ganze Netzwerk-Community vom Mindset und vom täglichen Betrieb her von der virtuellen Welt deutlich weiter weg. Da wird es noch ein sehr grosses Umdenken geben müssen", sagt Niemer.

Othmar Bienz, Regional Director bei VMware, glaubt, dass die Unternehmen die SDN-Technologie von Nicira in einem natürlichen Prozess übernehmen werden: "Sobald Nicira in der Vsphere-Plattform integriert ist, wird sie automatisch allen Kunden zur Verfügung stehen. Die Kunden können dann entscheiden, ob sie die SDN-Technologie einsetzen wollen oder nicht."

Das softwaredefinierte Datacenter: Zukunft oder Utopie?

Mit dem Erfolg der softwaredefinierten Netzwerke und dem Durchbruch des Cloud Computings stellt sich nun immer mehr die Frage nach der Möglichkeit vollautomatisierter Rechenzentren, in denen alle Elemente der Infrastruktur – Netzwerk, Storage, Prozessoren und Sicherheit – virtualisiert sind und als Service ausgeliefert werden.

Gartner-Analystin Scott steht einer solchen Entwicklung skeptisch gegenüber. Ein Hindernis sieht Scott im Bereich Storage: "Jeder Speicherhersteller entwickelt seine eigenen Programmierschnittstellen. Zum Teil sind diese nicht einmal innerhalb ein und desselben Unternehmens kompatibel", sagt Scott. Ausserdem liessen sich die Schnittstellen nicht ohne Weiteres virtualisieren. Insbesondere bei der Wiederherstellung eines vergangenen Storage-Zustandes könnten Probleme entstehen. EMC Vipr soll diese Probleme aber lösen, wie der Hersteller Anfang Mai anlässlich seiner Produktpräsentation versprach.

Scott glaubt ausserdem, dass die verschiedenen Anbieter von Hardware- und Netzwerktechnik im Bereich von softwaredefinierten Datacenter-Kollaborationen nur bereit sein werden, Basisstandards zu entwickeln. Diese würden jedoch nicht ausreichen, weil voll automatisierte Rechenzentren eine vollständige Kompatibilität zwischen den einzelnen Produkten erfordern. Optimistischer blickt VMware einer vollautomatisierten Zukunft der Datacenters entgegen.

Der Virtualisierungsexperte bietet jetzt schon softwaredefinierte Rechenzentrumslösungen an, obschon, wie Martin Niemer einräumt, einzelne Bereiche noch nicht zu hundert Prozent virtualisiert sind. Im Netzwerk- und im Storage-Bereich gäbe es noch zu tun, ehe ein kompletter Rechenzentrumsbetrieb von der darunterliegenden Physik getrennt und vollständig in Software aufgebaut werden könne.

Kriterien gegen die Konfusion

So schnell sich der Begriff "Software-defined" die letzten Monate ausgebreitet hat, so wenig trug er zur Klärung des tatsächlichen Technologiestands bei. Diesen Umstand machen sich nun verschiedene Soft- und Hardwareanbieter zunutze, um neue Produkte anzupreisen.

Um die Spreu vom Weizen zu trennen, schlägt Gartner-Analyst Neil MacDonald vier Kriterien zur Identifizierung von tatsächlichen, softwaredefinierten Produkten vor. MacDonald zufolge verdienen nur jene Produkte das Gütesiegel "Software-defined", die komplett abstrahiert sind, mit programmatischen Schnittstellen erschlossen werden können sowie mit automatisierten Scripts versehen sind, die keine manuellen Wartungen mehr erforderlich machen. Als letztes Kriterium fordert der Analyst, dass die Produkte automatisierte Richtlinien wie Compliances oder SLA zu ihrer ökonomischen Orchestrierung aufweisen sollen.

Webcode
WbZ2TXcQ