E-Commerce

Die Evolution des Handels

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von Marc Landis, Lulzana Musliu

Social Commerce beschreibt den Versuch, die immer beliebter werdenden sozialen Netzwerke durch E-Commerce zu monetarisieren.Die Verfechter von Facebook-Commerce (F-Commerce) gehen noch weiter und sagen voraus, dass künftig immer mehr über das soziale Netzwerk Facebook eingekauft werden wird.

Kaufberatung über Facebook-Connect
Kaufberatung über Facebook-Connect

Studien zufolge wächst der Onlinehandel mit Konsumgütern seit einigen Jahren jedes Jahr um 20 Prozent. Wer in diesem Marktsegment heute nicht dabei ist, muss sich beeilen. Denn E-Commerce hat bereits die nächste Evolutionsstufe erreicht. Die Experten für elektronischen Handel sprechen dank sozialer Medien wie Facebook, Myspace und Co. heute von «Social Commerce».

Der «normale», statische Onlinehandel ist dabei bereits Schnee von gestern. Der Online-Shop als Haupterwerb? Dieser Zug ist längst abgefahren. Vielmehr ist eine neue, interessante Schnittmenge entstanden. Auf der einen Seite steht das fast schon traditionelle «E-Commerce» – das Verkaufen/Kaufen von Produkten und Services im Netz. Auf der anderen Seite gibt es die «Social Media» – Onlinemedien, die soziale Interaktion mit der Beteiligung der User fördern.

Social Commerce will diese beiden Weltenbegründung verbinden, indem es die lange Verweildauer auf sozialen Netzwerken durch E-Commerce in Bargeld verwandeln möchte.

Mit dem Portal Daydeal.ch gelang es etwa Brack Electronics als einem der ersten IT-Anbieter der Schweiz, Social Media besonders geschickt einzubinden, wie die Jury am Schweizer Marketingtag mit einer Trophäe in der Kategorie mittlerer Unternehmen befand. Das Portal sei ein neues Marketinginstrument auf der Basis einer im Ausland erfolgreichen Idee, hiess es in ihrer Begründung.

Noch weiter als Social Commerce geht «Facebook-Commerce», kurz F-Commerce. Der neue Trend soll das künftige E-Commerce treiben, sagen Social-Commerce- Kenner.

Facebook löst Amazon ab

Die Begründung dafür ist, dass Menschen oft auch ihnen nahestehende Personen wie Freunde, Bekannte und Familie bei wichtigen Kaufentscheidungen mit einbinden. Ein Beispiel dafür ist etwa die gute alte Tupperware- Party oder die Begleitung von Freundinnen und Freunden beim Shoppen. Wer hat noch nie eine Freundin stundenlang auf der «Jagd» nach der passenden Jeans beraten müssen oder seinen Bruder, den Technikfreak, zum Laptop-Kauf mitgeschleppt? Im digitalen Zeitalter haben wir hunderte modebewusste (Facebook-)Freundinnen und eine Vielzahl von (Facebook-)Brüdern mit Beraterkompetenz. Durch das Internet erweiterte sich der potenzielle Ratgeberkreis. Diese elektronische Art des «Empfehlungskaufs » steht Experten zufolge aber erst am Anfang.

Der Unterschied zu Empfehlungen und Bewertungen auf E-Commerce-Plattformen wie Amazon ist einfach: statt «fremde» Empfehlungen sind es Familienmitglieder, Freunde und Bekannte, die einem zum Kauf eines gewünschten Produkts raten oder eben davon abraten. Ein Vorteil für Facebook-Commerce liegt darin, dass die meisten Menschen wohl eher die Bewertung von Freunden und Bekannten beherzigen. Dieser Meinung sind auch Investoren und Analysten wie Sumeet Jain von CMEA Capital, die Ausblicke auf die Geschäftsentwicklung von Mark Zuckerbergs Facebook- Geldmaschine wagen. Sie gehen sogar noch weiter und behaupten: «In fünf Jahren löst Facebook Amazon ab.»

Connect, F-Shop, Deals

Es bestehen grundsätzlich drei Möglichkeiten, Facebook oder andere soziale Netzwerke mit dem Online-Shop zu verbinden. Unternehmen können auf ihren Seiten «Facebook-Connect» anbieten, wie dies Levi’s beispielsweise tut. Über eine Statusmeldung können Facebook-Freunde so beurteilen, ob die begehrte Jeans gekauft werden soll oder nicht.

Eine andere Möglichkeit geht weiter: Der Online-Shop von «Linsenmax» etwa ist direkt in Facebook integriert. Der Online-Shop wird zum Facebook-Shop (F-Shop). Vor allem grosse Marken verfügen heute über einen F-Shop. Die Facebook-Seite mit den meisten «Fans» respektive «Likes» ist Coca-Cola. Der Getränke gigant hat natürlich auch einen Shop auf dem sozialen Netzwerk. Gemäss den Social-Commerce-Spezialisten von socialcommercetoday. com, ist es bezeichnend, dass Coca-Colas Homepage in den letzten Jahren um 40 Prozent an Traffic einbüsste, während sich die Facebook-Fan-Seite von Coca-Cola zur beliebtesten Facebook-Seite überhaupt mauserte.

Eine weitere Form des F-Commerce sind «Deals». Unternehmen beteiligen sich an solchen und vergeben an die via Facebook «eincheckenden» User Gutscheine, wie dies die Kaffeehaus-Kette Starbucks seit längerer Zeit in den USA mit grossem Erfolg tut.

«Die meisten drücken auf ‹Gefällt mir› für einen Preisnachlass»

Bei all diesen Glücksgefühlen für die Werbebranche und den Handel gibt es natürlich auch kritischere Stimmen, die F- Commerce als Marketing-Hype abtun. So sorgte das Marktforschungsinstitut Forrester mit seiner Frage «Will Facebook ever drive E-Commerce?» für Entrüstung in der Social- Commerce-Community. Denn die Forrester- Analysten beantworteten die Frage mit «No». Eine Präsenz bei Facebook bringe den Unternehmen weniger Rücklaufquote als der «traditionelle» Marketingweg über E-Mail oder Werbung.

Für Forrester-Analystin Sucharita Mulpuru liegt der Grund auf der Hand: «Die Leute sind in erster Linie auf Facebook, weil sie Personen suchen und finden möchten und nicht Produkte», wie sie in einem Interview mit dem Wall Street Journal sagte. Die meisten Leute würden auf «gefällt mir» drücken, um einen Nachlass zu erhalten, so Mulpuru. Dies schlage aber auf den Umsatz der beteiligten Unternehmen.

Viele Social-Media-Aktionen oder die Gutsch ein-Plattformen laufen heute über den Preis, selten über eine Dienstleistung.

Datenschutz und andere Grenzen

Weiterer Gegenwind weht Social Commerce aus Datenschutzgründen entgegen. Viele Nutzer sträuben sich gegen den laschen Umgang mit ihren persönlichen Daten bei Facebook und Co. und deaktivieren Funktionen wie «Deals». So wollen sie ihre Profile so privat und werbefrei wie nur möglich halten. Diesen Wunsch versuchen staatliche Aufsichtsbehörden durchzusetzen. Die Aus einandersetzungen zwischen den Aufsichtsbehörden und der Branche dürften weitergehen. Die meisten Anbieter werden längerfristig mehr Transparenz schaffen müssen und den Nutzern die Verfügungsgewalt über ihre persönlichen Daten wiedergeben.

Wie lange es dauert, bis F-Commerce das tägliche Einkaufs verhalten massgeblich mitprägt, dürfte weiter vor allem von der Zielgruppe abhängen. Zur grössten Nutzergruppe des sozialen Netzwerks gehören in den meisten Ländern rund um den Globus die 18- bis 24-Jährigen, die nicht als besonders kaufkräftig gelten. In ein paar Jahren, nach abgeschlossener Ausbildung, aber vielleicht schon.

Und: Wird nun F-Commerce den Social Commerce antreiben? Die Antwort lautet wohl am ehesten: «Not yet.»

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