Nachgefragt

Die Schattenseiten der IT

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Woher kommen unsere Handys, Tablets und Computer? Wer setzt diese zusammen? Fragen, die immer mehr Schweizer Konsumenten stellen. Fragen, die inzwischen auch Politik und NGOs umtreiben. Fragen, die mit hässlichen Antworten aufwarten.

Die Arbeitsbedingungen im Kongo sind menschenunwürdig. Der Sack mit Kupererz auf den Schultern des Mannes wiegt 60 Kilo. (Quelle: Fairphone)
Die Arbeitsbedingungen im Kongo sind menschenunwürdig. Der Sack mit Kupererz auf den Schultern des Mannes wiegt 60 Kilo. (Quelle: Fairphone)
Fairphone

Chinesische Fabrikarbeiter stehen täglich 14 Stunden am Fliessband und können von ihrem Lohn nicht leben. Der Abbau von Metallen wie Tantal oder Wolfram im Kongo finanziert den dortigen Bürgerkrieg. Illegale Zinnminen in Indonesien zerstören die einheimische Tier- und Pflanzenwelt. Kinder schuften dort, statt zur Schule zu gehen. Von solchen Zuständen berichten verschiedene Gruppen, die für Menschenrechte in der Elektronikindustrie kämpfen. Etwa die deutsche Nichtregierungsorganisation (NGO) "Germanwatch" oder "High Tech – No Rights?", eine gemeinsame Kampagne der Schweizer NGOs "Brot für alle" und "Fastenopfer".

Wir im Westen sind für diese Missstände mitverantwortlich. Wir wollen immer das neueste Gadget, die neueste Technologie. Doch elektronische Geräte wie Handys, Computer und Tablets werden meist unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert. Ganz zu schweigen von der Umweltbelastung.

Das Interesse am fairen Handel steigt

Es gibt aber eine Alternative: fairer Handel. Produkte aus fairem Handel – oder Fairtrade-Produkte – müssen die Bedingungen des Schweizer Dachverbands Swiss Fair Trade erfüllen (siehe Box am Ende des Artikels).

In der Schweiz bieten gemäss dem Lifestyle-Magazin Nachhaltigleben.ch rund 500 Fachgeschäfte, 7 Onlineshops und 3000 Supermärkte Fairtrade-Produkte an. Und die Schweizer sind Weltmeister im Konsum von Fairtrade-Produkten: Mit rund 63 Franken pro Person im Jahr 2014 lag die Schweiz weit über den zweit- und drittplatzierten Ländern England (36 Franken) und Deutschland (14 Franken), wie aus den Zahlen des deutschen Forums für fairen Handel hervorgeht. "Tendenz steigend", sagt Philipp Scheidiger, Geschäftsführer von Swiss Fair Trade. Dies zeichne sich bereits ab, obwohl der Dachverband zurzeit noch die Zahlen des vergangenen Jahres sammle.

Trotz der guten Zahlen können sich die Schweizer Konsumenten steigern. Denn 89 Prozent aller verkauften Fairtrade-Produkte sind Lebensmittel wie Bananen oder Honig des Max-Havelaar-Labels, wie Swiss Fair Trade schreibt. Das Label umfasst laut eigenen Angaben keine elektronischen Produkte. Swiss Fair Trade zufolge belief sich der Umsatz mit Fairtrade-Produkten insgesamt auf rund eine halbe Milliarde Franken im Jahr 2014. Das ist wenig, verglichen etwa mit Bio-Produkten: Hier betrug der Umsatz gemäss der Bio-Suisse-Website über zwei Milliarden Franken im selben Zeitraum. Konkrete Zahlen für fair gehandelte Elektronik erheben weder das Bundesamt für Statistik noch Marktforscher wie GfK, wie Recherchen der Redaktion ergaben.

Aus einem Ethik-Ranking von "High Tech – No Rights?" geht hervor, dass sich auch die Elektronik-Industrie verbessern kann (siehe Tabelle zum Ethik-Ranking). Das Ranking berücksichtigt die für die Schweiz wichtigsten Hersteller von Smartphones Apple, Samsung, HTC, Nokia und Sony sowie von Tablets und Computern HP, Acer, Dell, Lenovo und Asus. Es beurteilt das Corporate Social Responsability (CSR) anhand eines vom Unternehmen ausgefüllten Fragebogens sowie jährlicher CSR-Berichte und öffentlich zugänglicher Informationen etwa auf Websites.

Das Ranking zeigt, dass die meisten Hersteller auf umweltschonende Produktion achten. Die Rechte ihrer Mitarbeiter etwa auf faire Löhne oder eine Arbeitnehmervertretung vernachlässigen viele Hersteller jedoch. Und besonders schlecht sieht es bei den sogenannten Konfliktmineralien aus: Zinn, Tantal, Wolfram und Gold aus dem Kongo und seinen Nachbarländern. Lokale Warlords finanzieren sich oftmals mit der Förderung dieser Rohstoffe und halten so den Bürgerkrieg im Kongo aufrecht, wie die amerikanische NGO Global Policy Forum schreibt.

Faire Elektronik ist Zukunftsmusik

Es gibt ein paar elektronische Geräte, die möglichst fair produziert werden, wie etwa Green Computing Portal schreibt. Das Portal, das über umweltverträgliche Elektronik informiert, erwähnt das Fairphone, das Shiftphone und Nager-IT. Fairphone und Shiftphone sind Smartphones, die laut den Herstellern ohne Konfliktmineralien auskommen. Zudem engagierten sich die Fairphone- und Shiftphone-Macher auf Fabrikantenseite etwa für gerechte Löhne und Arbeitszeiten oder für Recycling-Programme auf Verbraucherseite. Nager-IT ist ein deutscher Verein, der eine möglichst faire Computermaus herstellt. So veröffentlicht der Verein alle Stufen der Lieferkette auf seiner Website und weist auf unfaire oder unüberprüfbare Elemente hin. Zudem finde die Fertigung in einer Integrationswerkstatt in Regensburg statt.

Zu 100 Prozent fair sind diese Produkte nicht. Das geben die Hersteller auch zu. Denn: "Eine 100-prozentig faire IT ist nicht möglich", sagt Daniela Renaud von "High Tech – No Rights?". Elektronische Geräte bestünden aus hunderten von Komponenten, die von unzähligen Händlern und Unterhändlern geliefert würden. So sei es schlichtweg nicht realistisch, dass IT-Produkte in den nächsten Jahrzehnten so fair wie etwa Max-Havelaar-Bananen würden. "Darum gibt es auch noch kein eigenständiges Fairtrade-Label für IT-Produkte", erklärt Renaud. "Trotzdem können wir sehr viel unternehmen." Mit "wir" meint sie Konsumenten, Händler, Produzenten, NGOs und die Politik.

Wir müssen uns an die eigene Nase fassen

Wie eine Strassenumfrage der Pendlerzeitung "20 Minuten" zeigt, ist das Interesse an fairem Handel grundsätzlich da. Aber es mangele an Wissen. Keine der befragten Personen habe etwa gewusst, ob die Kleidung, die sie gerade trugen, fair produziert worden sei. Die meisten kauften das, was optisch und preislich gefalle. Ohne die Produktionsbedingungen gross zu hinterfragen. Dasselbe Konsumverhalten könne bei elektronischen Geräten beobachtet werden. Renaud ist überzeugt: "Es braucht mehr Aufklärung." Dazu gehöre aber auch, dass wir als Verbraucher in den Läden nachhaken. "Wenn nur zehn Leute pro Tag fragen würden, ob auch ein fair gehandeltes Produkt erhältlich sei, würden die Unternehmen reagieren."

Die Unternehmen müssten ebenfalls handeln, findet Renaud. Die Läden, in denen man sowieso einkaufe, müssten mehr Fairtrade-Produkte ins Sortiment aufnehmen. Und diese müssten klar als Fairtrade gekennzeichnet sein, wie etwa die Max-Havelaar-Produkte. "Wenn mir Fairtrade-Produkte möglichst einfach zugänglich gemacht würden, dann kaufe ich sie viel eher", erklärt sie. Zu viel Aufwand schrecke ab. Bei Bananen funktioniert das. Und das könne auch in der IT funktionieren. Als Beispiel erwähnt sie das Fairphone, das bei Swisscom erhältlich ist. Sabrina Hubacher, eine Sprecherin des Telkos, bestätigt Renauds Aussage: "Insgesamt beobachten wir, dass das Interesse unserer Kunden am Thema Lieferkette stark zugenommen hat." Die Verkaufszahlen seien "respektabel", genaue Zahlen nennt Swisscom aber nicht.

Wie Renaud sagt, ist Fairtrade und insbesondere faire IT ein sehr junges Thema. Die Fairtrade-Bewegung gebe es erst seit rund 25 Jahren. Und faire IT erst seit Mitte der Nullerjahre. Trotzdem rege dieses Thema bereits zu politischen Handlungen an. "2013 wurde Electronics Watch gegründet", erzählt sie. Die Organisation wird von 13 internationalen NGOs sowie von der EU gefördert. Öffentliche Auftraggeber tragen durch die Mitgliedschaft bei Electronics Watch zum Schutz der Rechte und der Sicherheit der Arbeiter in der Elektronikindustrie bei. "Der Kanton Waadt ist bereits Mitglied von Electronics Watch", freut sich Renaud. Und weitere Schweizer Kantone sowie Universitäten sollen folgen.

Das ist zumindest ein Anfang. Aber wirklich gut ist es erst, wenn menschenwürdige und umweltschonende Produktion weltweit selbstverständlich sind. Wenn Arbeiter Pausen und Wochenenden haben. Wenn ihr Lohn reicht, um ihre Kinder zur Schule statt zur Arbeit zu schicken. Wenn sämtliche Rohstoffe aus konfliktfreien Quellen stammen. Und wenn der Abbau dieser Rohstoffe weder Tier- noch Pflanzenwelt beeinträchtigt.

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