Krypto made in Switzerland

So will IBM die Blockchain zum Werkzeug für Unternehmen machen

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Andreas Kind ist Leiter Industry Platforms und Blockchain bei IBM Research in Zürich. Im Interview verrät er, an welchen Projekten sein Team aktuell forscht, wo die grössten Herausforderungen liegen und warum die Technologie für Firmen interessant ist. Er gibt auch Auskunft darüber, was IBM von Kryptowährungen, ICOs und dem Crypto Valley hält.

Andreas Kind, Leiter Industry Platforms und Blockchain, IBM Research – Zürich. (Source: IBM)
Andreas Kind, Leiter Industry Platforms und Blockchain, IBM Research – Zürich. (Source: IBM)

IBM beschäftigt nach eigenen Angaben weltweit 1500 Leute im Blockchain-Bereich. Wie viele davon arbeiten in der Schweiz?

Andreas Kind: Das ist schwer zu sagen, da wir Teil eines globalen Teams sind. Im Moment wachsen wir da gut.

Welche Ziele verfolgt IBM mit der Blockchain-Forschung?

Transaktionen sind seit vielen Jahren Teil von IBMs Kerngeschäft. Bei jeder Datenbank, bei jedem Mainframe-Rechner geht es um Transaktionen. Jetzt scheint mit der Blockchain eine neue Ära zu beginnen, in der wir Vertrauen mittels Technologie in diese Transaktionen bringen können. Bei diesem Wandel muss IBM führend sein. Wir müssen verstehen, was er für unsere Produkte und unsere Kunden bedeutet. Gleichzeitig müssen wir eigene Technologien für das System der Zukunft vorlegen.

Welche Erfahrungen haben Sie hierbei gemacht?

Wir hatten festgestellt, dass viele Blockchain-Systeme nicht für Unternehmenszwecke geeignet sind. IBM begann deshalb, eigene Permissioned-Blockchain-Systeme zu entwickeln. Dabei wurde aber klar, dass wir das nicht proprietär machen sollten. Das würde der Schlüsselidee des verteilten Vertrauens widersprechen. Deshalb sind wir mit dem Projekt in die Open-Source-Community gegangen.

An welchen Lösungen arbeitet das Forschungslabor in Rüschlikon?

Wir arbeiten hauptsächlich in den beiden Bereichen "Security & Privacy" und "Consensus". Bei "Security & Privacy" geht es darum, Firmen ein gemeinsames Register für ihre Interna zur Verfügung zu stellen, in dem aber nicht jeder alle Informationen sehen kann. Um das richtig zu implementieren, braucht es eine sehr solide Grundlage bezüglich Privatsphäre, IT-Sicherheit und Vertraulichkeit.

Was steckt hinter dem Bereich Consensus?

Consensus dreht sich um die Protokolle, die sicherstellen, dass die verschiedenen Instanzen der Blockchain immer im gleichen Zustand sind. Das hat viel mit Skalierbarkeit und Performanz zu tun. Insgesamt arbeiten wir in Rüschlikon also in erster Linie an der technologischen Basis. Wir machen allerdings auch Kundenprojekte. Ein Beispiel ist das Car-eWallet-Projekt, bei dem wir zusammen mit ZF und der UBS eine neue offene Transaktionsplattform für die Automobilindustrie entwickelten, um so die Nutzung von Dienstleistungen, wie z.B. die automatische Bezahlung von Maut- oder Parkgebühren, rund um Fahrzeuge erheblich zu vereinfachen. Solche Projekte helfen uns, die Anforderungen an die technologische Basis der Blockchain richtig zu verstehen.

Warum sollte ein Unternehmen auf die Blockchain setzen?

Als Unternehmen kann man sich fragen: Habe ich Situationen, in denen ich mit anderen Unternehmen aufwändige Transaktionen durchführen muss? Wenn ich zum Beispiel mit einem ganzen Ökosystem von Partnern im Austausch stehe. Dann kann man sich weiter fragen: Habe ich eine Situation, in der ich ein gemeinsames Hauptbuch führen will? So kann ich in gewissen Prozessen schneller sein und mehr Einsehbarkeit haben. Nur wenn man ein solches System hat, kann man etwa in den Zulieferketten effizientere Rückverfolgungen machen.

In welchen Branchen werden wir die ersten Blockchain-Lösungen für Unternehmen sehen?

Zulieferketten sind ein Bereich, in dem jetzt schon Vieles passiert. Das Gleiche gilt für Trade Finance und das Zahlungswesen, sozusagen der Ur-Blockchain-Use-Case. In Zukunft wird es dabei aber weniger um anonyme Zahlungen gehen, sondern um Zahlungssysteme, die über Landesgrenzen hinweg funktionieren. Zum Beispiel zwischen Zentralbanken oder für bestimmte Märkte. Hier könnten eines Tages alternative und in der Handhabung einfachere Repräsentationen von Geld entstehen.

Was sollten Unternehmen beachten, wenn sie Blockchain-Lösungen einsetzen wollen?

Sie müssen darauf achten, dass es unter Umständen Probleme mit länderspezifischen Datenschutzregeln gibt. Dass etwa Daten im Land bleiben müssen. Unternehmen müssen sich also bewusst sein, das gewisse Blockchain-Systeme mit Auflagen bezüglich Datenschutz oder Zahlungen nicht konform sind. In öffentlichen Blockchain-Netzwerken, wie etwa Bitcoin, könnten Transaktionen zum Beispiel in China ausgeführt werden. Das ist Anwendern nicht immer klar.

Wie sieht es bezüglich Compliance mit der EU-DSGVO aus?

Das ist ein wichtiges Thema. Ein Blockchain-System speichert Daten - und eigentlich werden die nie gelöscht. Die EU-DSGVO sieht aber ein Recht auf Löschung der eigenen Daten vor. Eine Implementierung muss also berücksichtigen, dass man diesen Auflagen nachkommen kann.

Wie lässt sich dies konkret umsetzen?

Man muss sich in diesem Zusammenhang von der Idee lösen, dass alles in einer Blockchain gespeichert werden muss. Nur die öffentlich zu verifizierenden Informationen müssen dort hinterlegt werden. Daten, die man unter Umständen löschen muss, können Off-Chain, also ausserhalb der Blockchain, gespeichert werden. Nur die Referenzen darauf landen dann auf der Blockchain. Wenn die Daten gelöscht werden, kann man mit den Referenzen alleine nichts mehr anfangen und nicht mehr auf die Ursprungsdaten schliessen.

Welche Firmen stehen Blockchain-Lösungen ablehnend gegenüber?

Es gibt Parteien, die haben eine Broker-Funktion. Deren Geschäftsmodell basiert darauf, dass sie in der Mitte sitzen. Diese laufen Gefahr, nicht mehr gebraucht zu werden, wenn ein Blockchain-System eingesetzt wird. Aber selbst diese Organisationen studieren die Blockchain-Technologie und versuchen mit der neuen Situation umzugehen, gerade weil sie ihr Geschäftsmodell in Gefahr sehen. Das jemand wirklich nichts damit zu tun haben will, das habe ich bis jetzt noch nicht erlebt.

Bietet IBM bereits Produkte auf der Basis der Blockchain-Technologie an?

Ausgehend von der Open-Source-Plattform Hyperledger Fabric haben wir Produkte, die wir auf der IBM-Blockchain-Plattform in der IBM-Cloud anbieten. Da gibt es mittlerweile zwei Varianten: Eine kostenlose Starter-Edition, mit der man schnell ein Blockchain-Netzwerk entwickeln kann. Und eine Enterprise-Version, über die man produktive Blockchain-Systeme für Unternehmen laufen lassen kann. Darüber hinaus bieten wir Produkte im Kontext von bestimmten Branchen an: etwa Lebensmittel, Handel oder Zahlungsverkehr.

Mit welchen Partnern arbeitet IBM beim Thema Blockchain zusammen?

Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Partnern zusammen, wie der UBS, Everledger, CLS, Walmart oder Maersk. Es ist schwer, eine komplette Liste aufzustellen, weil es hierbei immer um Ökosysteme mit vielen Partnern geht. Bei der Entwicklung selber sind es die Mitglieder der Hyperledger Fabric Community, mit denen wir kooperieren, zum Beispiel mit der ETH und EPFL.

Wie will IBM das Problem der Skalierbarkeit von Blockchains in den Griff bekommen?

Ein grosses Problem bei den Blockchain-Systemen der ersten Generation ist, dass sie auf dem Proof-of-Work-Ansatz basieren. Dieser lässt prinzipbedingt nur einen begrenzten Durchsatz an Transaktionen zu. Bei einem Blockchain-Netzwerk von der Grösse von Bitcoin wird ein hoher Durchsatz zur Herausforderung. Bei unserem System der Permissioned-Blockchain ist die Gruppe der Teilnehmer jedoch viel kleiner - typischerweise unter 100. So können wir traditionelle Consensus-Algorithmen verwenden, die wesentlich effizienter sind.

Im Crypto Valley hat sich den letzten Jahren eine Vielzahl von Start-ups und Beratungsunternehmen niedergelassen. Welche Bedeutung hat dieses Blockchain-Ökosystem für IBM?

Im Crypto Valley passiert viel und das hat was Gutes. Wir sehen aber auch viele Aktivitäten, die nicht in Richtung einer Unternehmens-Blockchain gehen. IBM hat ganz klare Anforderungen, die eine Blockchain für Geschäftsanwendungen erfüllen muss, und die sehen wir bei anderen Systemen weniger adressiert. Aber es gibt sicher ganz viele gute Ideen bei diesen Start-ups.

Beteiligen Sie sich an der Entwicklung der grossen Blockchains wie Ethereum oder Neo?

Nicht aktiv. Von der Forschungsseite her beobachten wir natürlich alles, pflegen einen offenen Austausch mit der Community und diskutieren über jede Entwicklung. Seit Ende letzten Jahres sind wir auch Mitglied der Crypto Valley Association. Es gibt da also Berührungspunkte, aber unser Vehikel ist Hyperledger Fabric.

Wie steht IBM Kryptowährungen gegenüber?

Wir arbeiten nicht an einer Kryptowährung, die in Konkurrenz zu den Fiat-Währungen wie dem Franken oder dem Euro steht. Wir arbeiten aber zum Beispiel an einem kryptografischen Token-System, mit dessen Hilfe der Besitz und Austausch von Werten unter Wahrung der Privatsphäre repräsentiert werden kann. Damit könnte zum Beispiel ein Auto künftig automatisch für Dienstleistungen bezahlen.

Blockchain-Lösungen versprechen mehr Sicherheit und Vertrauen. Glauben Sie persönlich daran?

Die sicherste Variante wäre, wenn sich jemand in einem komplett geschlossenen Silo einschliesst. Das heisst: Keine Datenverbindungen, keine APIs zwischen Firmen. Wenn wir uns jetzt aber digitalisieren und vernetzen wollen, brauchen wir eine höhere Ebene als die traditionellen Formen des Datenaustauschs. Der Trend geht hin zur Öffnung - und um diese Öffnung sicher zu machen, ist die Blockchain eine Lösung.

In welchen Bereichen hat sich die Blockchain-Technologie nach Ihren Erfahrungen nicht bewährt?

Bei anonymen Zahlungen. Dieser Use Case hat das Dark Net ermöglicht, hat Probleme bezüglich Geldwäscherei und Betrug geschaffen. Deshalb wird er vermutlich verschwinden, zumindest in der momentanen Art und Weise. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass ein Land irgendwann ein Äquivalent zum Bargeld hat, das auf Blockchain-Basis funktioniert. Dieses System wird vermutlich jedoch die Repräsentation einer Fiat-Währung sein und keine totale Anonymität zulassen.

Wenn die Schweizerische Nationalbank morgen bei Ihnen anklopfen würde, um für den Franken so ein System zu entwickeln, wäre IBM da ein Partner?

Vieles ist denkbar, aber im Moment ist das noch eine sehr hypothetische Frage.

Ist die Debatte um Initial Coin Offerings (ICO) und den Kurs der Kryptowährungen eine Gefahr für die Blockchain-Unternehmen?

In den Medien wird die Blockchain nicht immer korrekt beschrieben - sowohl im Positiven wie im Negativen. Ich sehe aber einen guten Trend hin zu einer differenzierten Auseinandersetzung. Ich sehe auch, dass in der Öffentlichkeit zwischen dem Hype und der Spekulation mit Kryptowährungen auf der einen, und der Technologie auf der anderen Seite unterschieden wird. Die Debatte in der Öffentlichkeit ist gut, denn sie führt zu Klärung und wir können von den Fehlern der Vergangenheit lernen.

Wo steht die Schweiz im Blockchain-Bereich?

Ziemlich weit vorne. Das hat mit den Forschungseinrichtungen zu tun, die in der Schweiz akademisch und industriell aktiv sind. Das hat aber auch mit der Politik zu tun, die an der Thematik recht interessiert ist.

Wie sollte die Politik Ihrer Meinung nach mit der neuen Technologie umgehen?

Informiert und offen, wie es etwa die Finma mit der differenzierten Betrachtung der ICOs tut. Denn die Blockchain ist eine Zukunftstechnologie, die mit relativ grosser Wahrscheinlichkeit einen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft haben wird.

Wo liegen die grössten Hürden für den Erfolg von IBMs Blockchain-Projekten?

Die grösste Hürde ist die Schaffung von Ökosystemen und von Vertrauen zwischen verschiedenen Organisationen. Firmen müssen einen Nutzen darin sehen, die traditionelle Abwicklung von Transaktionen in einem Blockchain-System laufen zu lassen. Jeder einzelne sagt zwar: Ja, ich habe Interesse. Aber dann wirklich mehrere für ein Netzwerk an Bord zu holen, ist schwierig. Und dann gibt es viele technologische Herausforderungen; mehr Durchsatz oder mehr differenzierte Sicherheit beispielsweise. Wir sind aber auf gutem Weg, diese Probleme zu lösen.

Was werden die nächsten Meilensteine der Blockchain-Entwicklung bei IBM sein?

Es gibt da bei IBM einen ganz klaren Fahrplan, in den wir eng eingebunden sind. Es wird etwa in Richtung von mehr Kontrollmechanismen bei Sicherheit und Privatsphäre gehen. Es werden in diesem Bereich neue Erweiterungen für Hyperledger Fabric kommen, in die wir viel investiert haben. Es werden auch neue Optionen für Consensus-Algorithmen kommen, die sicherstellen, dass die Konsistenz der verschiedenen Instanzen eines Blockchain-Systems immer gewährleistet ist.

Was sind die nächsten Schritte auf der Anwenderseite?

Es geht jetzt darum, die Blockchain in den ersten Branchen zu etablieren und dort die Netzwerke wachsen zu lassen. Wenn das initiale Netzwerk erfolgreich ist, werden mehr und mehr Parteien dazukommen. Deshalb liegt der Fokus auf den bestehenden Projekten. Aber natürlich bekommen wir jeden Tag Anfragen aus neuen Branchen. Gerne würden wir dort auch Komponenten wiederverwenden, um schneller entwickeln zu können. Die Blockchain-Entwicklung steckt eben noch in den Kinderschuhen. Sie ermöglicht eine Abstraktion bezüglich vertrauenswürdiger Transaktionen aber es braucht noch mehr wiederverwendbaren Softwareblöcke.

Was wünschen Sie sich persönlich von der Entwicklung der Blockchain?

Ich wünsche mir, dass die Faszination um Blockchain als Spekulationsvehikel abnimmt, und dass es mehr und tiefer wissenschaftlich fundierten Austausch gibt. Einen Austausch zwischen Forschern darüber, wie Blockchain-Systeme in Zukunft gebraucht werden und wie diese sich umsetzen lassen. Das bedeutet: Weniger Abgrenzung und mehr offenen, nüchternen Austausch auf einer wissenschaftlichen Ebene.

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