Evolution und Revolution

Warum die Schweiz 5G braucht

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von Rüdiger Sellin, Dipl. Ing. (FH), freier Fachjournalist (MAZ/SFJ) mit den Schwerpunkten ICT, Elektrotechnik und Nachhaltigkeit.

Seit Ende 2018 laufen in der Schweiz erste 5G-Testnetze. Ein Jahr später sollen bereits 60 Schweizer Städte über eine ­gewisse 5G-Versorgung verfügen. Die dazu nötigen Frequenzen wurden in der Schweiz im Februar 2019 versteigert. Was ist neu an 5G, und welche Vorteile wird es den Anwendern bringen?

Die neue Mobilfunkgeneration 5G ist Evolution und Revolution zugleich und bietet deutlich schnellere Datenübertragungen bei sehr tiefer Latenz. Damit ermöglicht 5G neue Anwendungen wie das Internet der Dinge (IoT), mobiles Cloud Computing und "Industrial 5G". Ausser der Vernetzung von Dingen und der Steuerung von Fahrzeugen können etwa auch Industrieprozesse lokal erfasst und gesteuert werden. Die dazu nötigen Daten transportiert 5G praktisch verzögerungsfrei.

 

Evolution zu 5G

Für 5G wurden einerseits bestehende Konzepte weiterentwickelt – primär aus der vierten Mobilfunkgeneration 4G/LTE (Long Term Evolution). Andererseits wurden für 5G viele neue und komplexe Netztechniken weltweit entwickelt. Im Zentrum steht dabei eine deutliche Steigerung der spektralen Effizienz. Sie beschreibt, wie viel Kapazität man aus einem Funkspektrum herausholen kann. Bei 5G kann man pro Hertz (Hz) Bandbreite rund 172 Bit pro Sekunde (Bit/s) übertragen, während es bei 3G noch magere 1,44 Bit/s waren. 4G startete mit 7,5 Bit/s pro Hz und liegt heute bei maximal 40 Bit/s. im Vergleich dazu steigt die spektrale Effizienz von 5G etwa um den Faktor 4,5.

4G nutzte erstmals eine voll IP-basierte (Internetprotokoll) und daher paketvermittelten Netzinfrastruktur, wie sie heute praktisch jeder Netzbetreiber unterhält. 4G wurde Ende 2012 in der Schweiz eingeführt und brachte spürbare Verbesserungen insbesondere bei der mobilen Internetnutzung, die weiterhin stark boomt. Dank verbesserter spektraler Effizienz stiegen auch die Übertragungsgeschwindigkeiten kontinuierlich an. Anfangs wurden bis zu 150, dann 300 und später sogar 700 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) geboten. Seit Herbst 2017 sind es an einigen Hotspots sogar bis zu 1 Gigabit pro Sekunde (alle Angaben beziehen sich auf den Download). Mit 5G will man nun bis zu 10 Gbit/s erreichen. Für solche Geschwindigkeiten waren bis vor Kurzem noch Glasfaserleitungen nötig.

Bereits mit 4G sind mobiles Video-Streaming in HD-Qualität, Videokonferenzen und Netzwerkspiele möglich. Benutzer von Smartphones, Tablets und Notebooks profitieren vom höheren Durchsatz und kleinen Latenzzeiten (ca. 20 bis höchstens 50 Millisekunden). Zum Vergleich: Beim weiter betriebenen Vorgänger 3G/UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) betrug die durchschnittliche Latenzzeit 2005 noch 200 bis 300 Millisekunden. Flüssige Videoübertragungen sind daher erst ab 4G möglich. Hingegen wird 5G eine neue Dimension des Mobilfunks einleiten.

 

Viele Neuentwicklungen …

Es müssen dazu viele divergierende Anforderungen in Einklang gebracht werden, so etwa hohe Datenraten, energiesparende Funktechnik, tiefe Latenzen und eine möglichst gute Abdeckung. Die Lösung besteht darin, dass längst nicht jede der Anwendungen alle genannten Eigenschaften gleichzeitig benötigt. 5G unterstützt deshalb verschiedene Nutzerprofile und reserviert exklusive Netzkapazitäten – genannt Network Slicing. Bei 5G koexistieren verschiedene Datenströme mit unterschiedlichen Parametern – von dieser Möglichkeit profitieren etwa Rettungs- und Sicherheitsdienste. 5G erreicht dies durch eine Virtualisierung von Netzfunktionen (Network Functions Virtualisation, NFV). Das Mobilfunknetz entscheidet dann nutzerabhängig, dass bestimmte Datenpakete mit minimaler Latenz und andere mit maximaler Datenrate transportiert werden. NFV kennt man bereits vom Software-defined Networking (SDN).

Ein weiteres neues Feature ist das sogenannte Beamforming. Dank variabler Antennencharakteristik kann 5G damit einen schmalen, dafür längeren Strahl in eine entfernte Ecke einer Funkzelle führen oder aber ihn massiv kürzen, dafür verbreitern, um damit eine höhere Sendeleistung auf eine kurze Distanz zu beschränken und einem nahen Teilnehmer einen möglichst schnellen Link bereitzustellen. Nach heutiger Gesetzgebung ist Beamforming hierzulande nicht möglich, weil die in der NISV festgelegten Anlagengrenzwerte damit temporär überschritten würden. Auch die ländliche 5G-Versorgung mit Breitbanddiensten via Fixed Wireless Access (FWA) könnte darunter leiden.

 

… und Weiterentwicklungen

Weiterhin genutzt wird die Mehrantennentechnik MIMO (Multiple Input, Multiple Output), die mit paarweisen Antennen und räumlich separierten Datenströmen operiert. MIMO kommt bereits seit vielen Jahren in WLANs zum Einsatz, anfangs als 2x2 MIMO, später als 4x4 und neuerdings als 8x8 MIMO. Dabei nutzt der Raummultiplex ("Spatial Multiplexing") die räumlich statistischen Eigenschaften eines Funkkanals mehrfach aus und verteilt den Datenstrom gleichmässig auf N Sendeantennen, sodass jede Antenne nur die 1/N-fache Datenrate abstrahlen muss. Bei LTE wird meist 2x2 MIMO eingesetzt, während bei 5G bis zu 32 (!) Antennen im Sender sowie entsprechend winzige Antennen im Endgerät für einen schnellen Datenfluss über mehrere Kanäle vorgesehen sind.

Auch die von LTE-A (LTE Advanced) her bekannte Carrier Aggregation (CA) dient der Beschleunigung des Datenflusses. Sie wird mit einer Bündelung von Kanälen über mehrere Trägerfrequenzen erreicht, wobei die Kanäle je nach lokaler Verfügbarkeit unterschiedlich breit sein können (z. B. 5, 10 oder 20 MHz breit). Wie bei LTE-A besteht die Herausforderung auch bei 5G darin, auf Empfängerseite die Datenströme zwecks tiefer Latenz möglichst schnell wieder zu einem konsistenten Gesamtsignal zusammenzusetzen. Denn die Signale können mit mehreren 100 Mbit/s und wegen Signalreflektionen mit unterschiedlichen Laufzeiten beim Empfänger eintreffen.

CA und MIMO werden in weiterentwickelter Form auch bei 5G eingesetzt und fordern den integrierten Schaltungen in den Sendern, aber auch in den Endgeräten eine grosse Rechenleistung ab, was deren Akkulaufzeit in den Fokus rückt. Das neue Verfahren heisst Multi-Radio Access Technology Carrier Aggregation (Multi-RAT CA) oder Multi-Flow CA. Aufgrund deutlich stromeffizienterer Endgeräte will man bei 5G das Thema Stromverbrauch noch in den Griff bekommen. Dies könnte dank schnellerer, kleinerer und sparsamerer Chipsätze möglich werden, woran die Chiphersteller mit Hochdruck arbeiten.

Mobile Edge Computing (MEC): Bei 5G rückt ein Teil der Netzintelligenz zur ultra­schnellen Verarbeitung der Daten möglichst nah an die Endgeräte heran – aus Sicht des Netzbetreibers an den Rand (englisch «Edge»). Jede Basisstation enthält einen eigenen MEC-Server, der Daten aus der Cloud beschafft, lokal speichert und verarbeitet – möglichst genau jene Daten, welche die an der Basisstation angemeldeten Clients gerade benötigen, etwa in Produktionsprozessen oder zur Verkehrslenkung.
(Bild: © R. Sellin, 2019)

 

Warum überhaupt 5G?

Früher stand die Sprachkommunikation auf den Mobilfunknetzen im Zentrum. Heute ist es längst der mobile Datenaustausch mit über 90 Prozent Verkehrsanteil, was neue Funkkapazitäten erfordert. Seit Jahren verdoppeln sich die in öffentlichen Mobilfunknetzen übertragenen Datenvolumina etwa alle 7 bis 12 Monate (je nach Netzbetreiber). Zudem werden weltweit allein für IoT bis ins Jahr 2025 geschätzte 30 bis 50 Milliarden Endgeräte erwartet, was die kommende Verkehrsmenge erahnen lässt. 4G bietet seit Kurzem dank Narrowband IoT (NB-IoT) und 5G von Beginn an die Möglichkeit zur IoT-Nutzung. Für 5G braucht es aber zusätzliche Frequenzbänder, die in der Schweiz im Februar 2019 nach 29 Bieterrunden für rund 380 Millionen Franken versteigert wurden.

Ende 2020 werden die alten 2G/GSM-Netze abgeschaltet (GSM: Global System for Mobile Communications). Diese nutzen heute das 900- und 1800-MHz-Band nur sehr ineffizient, sodass die dann freiwerdenden Funkkapazitäten für 4G und 5G bereitstehen. Auch die Abschaltung von UMTS wird aus denselben Gründen bereits diskutiert, vermutlich erfolgt diese im Jahr 2024. Zusätzlich zu 900 und 1800 MHz (GSM) könnten die Netzbetreiber dann die freien UMTS-Frequenzen (1,8/2,1/2,6 GHz) für 4G und 5G nutzen. Die Evolution geht weiter.

 

An der Messe "Mobile World Congress 2019" in Barcelona ist 5G Dreh- und Angelpunkt vieler zukunftsweisenden Technologien. Wenn Sie mehr zum Thema lesen wollen, sollten Sie unbedingt der Berichterstattung zum diesjährigen Mobile World Congress folgen.

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