Der Innovation auf die Finger geschaut
Nicht jedes beliebige Produkt verdient die Bezeichnung Innovation. Die Referierenden am diesjährigen Swiss Telecommunication Summit zeigten auf, was es braucht, damit wirkliche Innovationen entstehen. Sie plädierten für Mut – auch für den Mut zum Scheitern.

Der Swiss Telecommunication Summit hat Grund zum Feiern. Asut, der Verband der Schweizerischen Telekommunikationsbranche, richtete den Anlass nämlich dieses Jahr zum 50. Mal aus. Die Teilnehmenden aus allen Landesregionen trafen sich in Bern, "vereint durch die Überzeugung, dass digitale Innovation der Schlüssel zu Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit ist", wie Judith Bellaiche - Ende 2024 zur Asut-Präsidentin gewählt - in ihrer Grussbotschaft sagte.
In der Tat bildeten (digitale) Innovationen den roten Themenfaden, der die verschiedenen Referate miteinander verband. Oberflächlich hatten längst nicht alle mit Telekommunikation zu tun. Bellaiche wies jedoch auf die Wichtigkeit der digitalen Infrastruktur hin, die von Telkos bereitgestellt wird. "Ohne funktionierende Infrastruktur gibt es weder Handel, Produktion noch Dienstleistungen", so die ehemalige Nationalrätin; es sei wichtig, diese "unsichtbare Basis unseres Erfolgs" ins Rampenlicht zu rücken, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Als Beispiel einer digitalen Weiterentwicklung nannte Bellaiche die elektronische Identität (E-ID) über die das Volk im September 2025 abstimmt. Die E-ID schaffe die Basis für neue Geschäftsmodelle, die auf maximaler Rechtsverbindlichkeit beruhten und "die Voraussetzungen für Innovationen, die heute noch gar nicht erfunden sind". Die E-ID sei somit nicht das Ziel, sondern der Startpunkt, gab sich Bellaiche überzeugt.
"Das eigene Geschäft disruptieren"
Wie neue Innovationen - oder genauer: Geschäftsmodelle - entstehen, erforscht Karolin Frankenberger, Direktorin des Instituts für Betriebswirtschaft (IFB) der Uni St. Gallen (HSG). In ihrem Vortrag zählte sie auf, wie oft langjährige Kommunikationskanäle durch neuartige Systeme abgelöst wurden: Whatsapp löste SMS-Messaging ab, Spotify ersetzt Radio, Netflix folgte auf klassisches Fernsehen und Teams ersetzt Telefonie. In all diesen Fällen lösten digitale Services von Drittanbietern jene Dienste ab, die lange Zeit von Telekommunikationsfirmen erbracht wurden. "Die Interface-Owners schieben sich zwischen die Basis, die Infrastrukturanbieter, und die Kunden, die am Ende die Services nutzten", erklärte Frankenberger.
Karolin Frankenberger, Direktorin des IFB an der HSG, über die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. (Source: zVg)
Sei eine Firma etabliert, sollte sie theoretisch nicht nur ihr bestehendes Geschäftsmodell fortführen und optimieren, sondern auch neue Modelle Einführen - sich also fragen: "Wie könnte ich mein eigenes Geschäft disruptieren?", so die Referentin. Sie kenne nur wenige Firmen, die beides wirklich perfekt beherrschen.
Spricht man von der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, geht es oft nicht um neue Technologien, denn die seien bereits weit verfügbar, so Frankenberger. Vielmehr gehe es darum, die Technologien für eine Zielgruppe passend anzubieten. Definiert wird ein Geschäftsmodell zunächst anhand vier grundsätzlichen Fragen:
-
Was bieten wir den Kunden an?
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Wer sind unsere Partner?
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Wie erzielen wir Gewinn?
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Wer sind unsere Kunden?
Von Geschäftsmodellinnovation werde dann gesprochen, wenn zwei dieser vier Dimensionen abgeändert werden, erklärte die Dozentin.
In der Schweiz und Europa sehe man "noch sehr wenige Unternehmen, die wirklich die grossen, disruptiven Innovationen bringen", räumte Frankenberger ein. Man habe hierzulande oft nicht den Mut, sich zu kannibalisieren. Das "Outside the Box"-Denken müsse in Unternehmen systematisch gefördert werden. Frankenberger merkte aber auch an, dass viele als disruptiv empfundene Geschäftsmodelle gar nicht neu waren, sondern von einer Industrie kopiert und für eine andere angepasst worden seien.
Mut (zum Scheitern) haben
Im Verlauf des Tages präsentierten diverse Schweizer Unternehmen dem Publikum ihre digitalen Innovationen. Flyability zum Beispiel schickt heute seine Drohnen in schwer zugängliche und gefährliche Gebiete. Scandit schlägt laut eigener Angaben mit seinen Scanner-Lösungen Brücken zwischen der physischen und digitalen Welt, während Xfarm Landwirtschaftsbetriebe digitalisiert. Zu Gast war auch das auf digitales Ausgabenmanagement spezialisierte Yokoy, das unlängst von Travelperk übernommen wurde.
All diese Start-ups arbeiten bereits in grossem Massstab auf internationaler Ebene. Das gilt auch für Sensirion, welches mit über 25 jähriger Firmengeschichte jedoch längst nicht mehr als Start-up bezeichnet werden kann. Johannes Schumm, Leiter R&D bei Sensirion, beleuchtete in seinem Vortrag den Weg des Unternehmens zum global Player. Zwar kenne nicht jeder den Namen Sensirion, so Schumm, aber "vermutlich hat jeder von euch 3 bis 5 Sensirion-Fühler in der Umgebung". Zu den ersten grossen Erfolgen des Unternehmens gehörte ein winzig kleiner Feuchtigkeitssensor, den Samsung in eine Reihe seiner Galaxy-Smartphones einbaute. Bald darauf folgte jedoch das grosse Scheitern: Sensirion setzte auf die Entwicklung eines Geruchssensors, musste das Projekt dann aber einstellen - "Es gab gar keinen Markt dafür", erklärte der Referent.
Der Leiter R&D bei Sensirion, Johannes Schumm, beschrieb den Weg des Unternehmens hin zum globalen Player. (Source: zVg)
Sensirion zog aus derartigen Erlebnissen seine Lektionen. Das Unternehmen entwickelte neue Produkte in kleineren Schritten. Das ist günstiger, geht schneller und führt zu rascherem Feedback aus dem Markt. Auf diese Weise entstand unter anderem der kleinste CO2-Sensor der Welt - "eine Technologie, wie wir sie von Anfang an geplant hatten", so Schumm, "aber es war ein ganz anderer Weg, hierhin zu kommen." Dass sein Unternehmen heute erfolgreich ist, hat mit dem über die Jahre aufgebauten Vertrauen zu tun. Sensirion war aber auch regelmässig offen und bereit, auf neue Trends zu reagieren. Zu seinem Angebot "Sensor as a Service" kommentierte Schumm: "Das Schöne war: Wir haben es gemacht. Das Schlechte war: Es war nicht erfolgreich", denn das Modell skaliere einfach zu wenig gut.
Urs Hölzle war so etwas wie der Stargast des diesjährigen Swiss Telecommunication Summit. Er gehörte zu den ersten Mitarbeitenden des heutigen Tech-Giganten Google. Im Gespräch mit Moderator Reto Brennwald blickte Hölzle auf die Anfänge des US-Unternehmens zurück: Während er selber auf die Nachteile und möglichen Probleme von Innovationen hinwies, habe ihn "die Naivität" der anderen Leute zunächst ein bisschen gestört. Über die Jahre habe er dann "gelernt, dass die Kombination von beidem viel besser ist, und dass wir uns mit dem kritischen Denken auch ein bisschen zurückhalten können". Es brauche Neugier und Optimismus, um neue Ideen zu verwirklichen. "Heute fällt mir umgekehrt auf, dass man in der Schweiz oft vor allem über die Probleme redet und nicht über die Chancen", so der Google-Fellow.
Urs Hölzle, Google-Fellow, blickte im Gespräch mit Moderator Reto Brennwald auf die Anfänge des US-Unternehmens zurück. (Source: zVg)
Die Währung, die man für Innovation und grosse Erfolge bezahlt, heisse Risiko, erklärte Hölzle weiter. Schlussendlich werde Innovation eingeschränkt durch die Art, wie man mit Misserfolgen umgeht. Was das für sein eigenes Unternehmen bedeutet, erklärte Hölzle als Antwort auf die Frage, ob Google in fünf Jahren noch relevant sein werde: "Wir wollen die ersten sein, die unser eigenes Business disruptieren. Das heisst, dass wir uns selber konkurrieren." So sei die Google-KI Gemini eine Konkurrenz zur klassischen Google-Suche. Aktuell wisse niemand genau, wie die künftige Lösung aussehe. Entsprechend teste Google viele Möglichkeiten. "Wenn man nicht wirklich aggressiv Sachen ausprobiert, dann findet man sie nicht; und aggressiv ausprobieren heisst unter anderem auch: Es geht nicht alles gut. Wenn gewisse Sachen nicht überzeugen, macht man was anderes."
Urs Hölzle ist übrigens auch der "Gründervater" des Schweizer Google-Standorts in Zürich. Dieser feierte 2024 sein 20-jähriges Bestehen. Mehr zu den Feierlichkeiten lesen Sie hier.

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