Hohe Ansprüche an das lokale Kommunikationsnetz

Welche Rolle 5G in der Industrie 4.0 spielt

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von Rüdiger Sellin, freier Fachjournalist (MAZ/SFJ)

Voll automatisierte Produktionsprozesse wie in der Industrie 4.0 sind ohne schnell, ständig und überall verfügbare Daten nicht möglich. Wie die Herausforderungen für das Kommunikationsnetz bewältigt werden können, erklärt Rüdiger Sellin, Diplom-Ingenieur (FH) und seit 1992 Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.

Rüdiger Sellin (Source: zVg)
Rüdiger Sellin (Source: zVg)

Der Begriff Industrie 4.0 steht für die cybertechnische Transformation der industriellen Produktion und soll die digitale Konvergenz zwischen Industrie, Unternehmen und anderen Prozessen fördern. Damit wird ein neues Zeitalter der produzierenden Industrie eingeläutet, weshalb Industrie 4.0 mit der vierten industriellen Revolution assoziiert wird.

Industrielle Revolutionen 1 – 3

Die erste industrielle Revolution fand gegen Ende des 18. Jahrhunderts statt. Sie wurde erst durch die Mechanisierung von Arbeitsprozessen und den Einsatz von Wasserkraft und Dampfmaschinen möglich. Die zweite industrielle Revolution startete zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert und wurde mithilfe der neu entdeckten und verbreiteten Elektrizität möglich. Sie führte zur Massenproduktion mit ganzen Produktionsstrassen, monotoner Fliessbandarbeit und Arbeitsteilung mit hochgradiger Spezialisierung. Vorreiter in der Automobilproduktion war der US-amerikanische Hersteller Ford, der in Nordamerika die Massenmotorisierung einläutete. Innert weniger Jahre verschwanden Pferde und Kutschen fast vollständig aus dem Strassenbild. Die dritte industrielle Revolution begann Anfang der 1970er-Jahre und war vom zunehmenden Einsatz von Computern und weiteren Maschinen zur Automatisierung von Produktionsprozessen gekennzeichnet. Sie ist insofern bis heute von Bedeutung, als dass bisherige Handarbeit durch immer mehr intelligentere Maschinen genauer, zuverlässiger und günstiger verrichtet wird. Dies beginnt beim Löten von Bauelementen auf Platinen und der vollautomatisierten Herstellung einfacher Testgeräte und Sensoren über das Nähen von ganzen Auto- und Flugzeugsitzen bis hin zur vollautomatischen Verarbeitung und Verpackung von Nahrungsmitteln.

Industrie 4.0: Perfektionierte Automation

Mit der vierten industriellen Revolution entstehen intelligente Fabriken mit einer komplett digital ablaufenden Herstellung von der ersten Idee bis hin zum fertigen Produkt. Die produzierende Industrie wird von einer Ende-zu-Ende-Digitalisierung gekennzeichnet sein und beinhaltet ein komplettes Ökosystem von Maschinen und Prozesspartnern. Ein zentrales Element ist dabei der voll digitale Datenaustausch, der den gesamten Produktionsprozess sowohl informierend als auch korrigierend begleitet. Dabei sind schnell und überall verfügbare Daten ein zentrales Element, um Schwachstellen oder Fehler schnell zu erkennen und zu beseitigen. Das industrielle Internet of Things (IIoT) und der weitreichende Einsatz von Sensoren führen zur weitreichenden Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen sowie zwischen Maschinen untereinander (M2M). Im Idealfall soll dies zu Produkten führen, die den Kundenvorstellungen am nächsten kommen und deren Wünschen entsprechen. Industrie 4.0 wird beim Design anfangen und sich über den gesamten Produktlebenszyklus erstrecken – jeweils mit Feedbacks über die tatsächliche Nutzung, um sich dem Idealfall weiter anzunähern.

Voll automatisierte Produktionsprozesse wie im Szenario Industrie 4.0 sind ohne ständig, schnell und überall verfügbare Daten nicht möglich. Somit stellt sich die Frage, wie man sie zu den einzelnen Maschinen und Robotern in der Produktionshalle bringt, um diese mit den nötigen Daten zu versorgen.

Ethernet und WLANs

Das altbewährte Ethernet wird seit Langem nicht nur in Büros, sondern als "Industrial Ethernet" auch in der Produktion eingesetzt. Hier wie dort überzeugt Ethernet mit garantierten Bandbreiten und hoher Zuverlässigkeit, brilliert aber weder durch tiefe Kosten noch durch Flexibilität. Denn neben dem hohen Installationsaufwand vor der Inbetriebnahme bedingt jede Änderung in der Produktion eine oft komplizierte und teure Umlegung des lokalen LANs.

So kam man schnell auf die Idee, ein WLAN (Wireless Local Area Network) als drahtlose Alternative einzusetzen. Da WLANs über keinerlei Mechanismen für eine garantierte Quality of Service (QoS) verfügen, taugen sie in Betrieben höchstens für die Bürokommunikation, aber kaum für zeitkritische Produktionsabläufe. Denn der grösste Schwachpunkt von WLANs sind die verwendeten Frequenzbänder (2,4 und 5 GHz), die weltweit gratis genutzt werden dürfen.

Besonders das tiefere Band wird von zahlreichen Funkdiensten verwendet – unter anderem auch von Bluetooth, Fernbedienungen, Fernsteuerungen etc. Durch die intensive Nutzung der Frequenzbänder sind WLANs weder sonderlich stabil noch sehr zuverlässig, da sie im Gegensatz zum Mobilfunk keine lizenzierten Bänder nutzen, in denen sie ungestört funken können.

WLANs und ihre Grenzen

Somit können WLANs weder eine dauernde Konnektivität noch hohe Bandbreiten garantieren. Das mag zum Surfen, E-Mails Versenden oder nicht dringende Statusabfragen ausreichen, doch bereits in Bürogebäuden sorgen Engpässe in der WLAN-Verbindung für langsame Datentransfers oder gestörte Skype-Sessions mit verzerrten oder verzögerten Ton- und Bildübertragungen.

Im Industriebereich sind solche Effekte noch schwerwiegender, wenn man etwa an laufende Produktionen oder sicherheitsrelevante Prozesse denkt. Zwar werden Campusnetze auf Basis von Office-WLANs oder etwas robustere Industrie-WLANs angeboten. Wenn in einem Unternehmen jedoch die Anzahl vernetzter Maschinen und Anwendungen steigt, was selbst für die IT-Abteilung des Unternehmens oft unbemerkt und schnell geschieht, laufen WLANs bald einmal am Limit. Hinzu kommt, dass ein WLAN keinen Handover kennt und sich der Benutzer beim Wechsel von einem Gebäudeteil am neuen Access Point jeweils neu einloggen muss. Dadurch eignen sich WLANs nicht für mobile Szenarien in der Industrie, etwa für fahrerlose Transportsysteme in der Logistik. So testet etwa der Leuchtenhersteller Osram gemeinsam mit der Deutschen Telekom den Einsatz von Robotern, die sich autonom, also nicht ferngesteuert auf dem Firmengelände bewegen. Eine wichtige Voraussetzung für autonome Fahrzeuge sind nahtlose Funkzellen. In einem WLAN würde der Roboter beim Wechsel in eine andere Zelle oder bei Signalschwäche zunächst anhalten, eine neue Verbindung aufbauen und erst dann weiterfahren – in kontinuierlichen Abläufen völlig undenkbar.

4G/LTE für IoT

Schon heute dient Long Term Evolution (LTE) als Basis für das IoT, überwiegend für den öffentlichen Bereich. Dazu wurde die vierte Mobilfunkgeneration LTE/4G um zwei neue Servicekategorien erweitert: NB-IoT ("Narrowband IoT") und Cat-M1 (auch LTE-M genannt). Beide sind abgespeckte LTE-Varianten, die Daten mit nur 20-30 Kbit/s (NB-IoT) oder maximal 100 Kbit/s (LTE-M) übertragen können. Auch die mögliche Reichweite wurde begrenzt, denn neben der Datenrate ist auch die Reichweite entscheidend für die Batterielebensdauer.

Sie beträgt maximal zehn Jahre bei NB-IoT und fünf Jahre bei LTE-M und sinkt mit höherer Datenrate und erhöhter Reichweite, weil beides mehr Sendeleistung bedingt. Also wurde der Übertragungsmodus geändert: statt Vollduplex-Übertragung wie bei normalen LTE-Endgeräten können NB-IoT-Geräte nur entweder senden oder empfangen (halbduplex), was für unkritische Anwendungen im Bereich Massive IoT ausreicht. Auf LTE-M läuft der Vollduplex-Modus nur optional, etwa für Seniorennotruf-Einrichtungen.

NB-IoT und LTE-M benötigen SIM-Karten zur Identifikation im LTE-Netz, meist als energiesparende eSIM implementiert. Schliesslich können beide dank eDRX (extended Discontinuous Reception) den stromzehrenden Signalisierungsverkehr reduzieren, der in der Regel nur aus einem kurzen Paging besteht, etwa als OK-Meldung oder zur Positionsbestimmung. Dank dieses Massnahmenpakets kann man einfachere und entsprechend günstigere Endgeräte mit tieferem Energieverbrauch anbieten.

Industrie 4.0 mit 5G

Nun steigt die Menge der vernetzten Gegenstände weiterhin stark an, sodass leistungsfähigere und schnellere Netze nötig sind. Und für voll automatisierte Produktionsprozesse wie im Szenario Industrie 4.0 sind die Anforderungen an das Kommunikationsnetz nochmals höher. Hier bietet sich somit 5G als Mobilfunknetz an – mit tiefer Latenz, schneller und permanenter Datenübertragung und kurzer Aufbauzeit. Beispiel Latenz: Waren es bei 4G/LTE noch rund 20 bis 30 Millisekunden, so beträgt sie bei 5G gerade noch 2 bis 3 Millisekunden. Und auch bei der Geschwindigkeit brilliert 5G mit bis 10 Gbit/s.

Ein gutes Beispiel für die 5G-Nutzung in der Produktion liefert die deutsche Autoindustrie, unter anderem der VW-Konzern. Im VW-Stammwerk Wolfsburg könnte man die rund 5000 Roboter, aber auch weitere Maschinen und Anlagen vernetzen. Nach einem Pilotbetrieb will man lokale 5G-Netzwerke in den Fabriken ausrollen, um die Fertigung flexibler und effizienter zu gestalten. Zudem bietet die 5G-Technologie die Möglichkeit zum Laden grosser Softwarepakete, da der Softwareanteil laufend steigt. So wird 2020 mit dem Golf VIII erstmals ein Fahrzeug geliefert, das mit allen möglichen Assistenzsystemen ab Werk bestückt wird. Dazu müssen in der Produktion grosse Datenmengen aufs Fahrzeug geladen werden – ideal für 5G also.

Die industrielle Produktion steht in Europa unter hohem Kostendruck. Zudem fehlen in vielen Bereichen Fachspezialisten, sodass möglichst flexible und kostengünstige Produktionsanlagen gefordert sind. Die Idee zur Verbindung von Maschinen wird in der Praxis bereits umgesetzt und nimmt weiter zu. Darin platzierte Sensoren kommunizieren über mobile Datenverbindungen untereinander oder mit einer zentralen Steuerung. Diese erkennt etwa über Zustands- und Fehlermeldungen den genauen Wartungsbedarf der Maschinen und Anlagen.

Premiumprodukte dank 5G

Gerade in der industriellen Produktion besonders hochwertiger Produkte wie der Medizinaltechnik oder Premium­autos verbreitet sich das IIoT schnell. Sensoren erfassen etwa den genauen Standort von angelieferten oder selbst gefertigten Halbfertigprodukten und Teilen, deren Status sowie potenzielle Fehler während der Produktion. ­Während das Schweizer Medizinaltechnik-Unternehmen Ypsomed lokales 5G bereits seit 2017 in ihren Hallen am Standort ­Solothurn testet und Arbeitsplätze in die Schweiz zurückholen will, testet Audi 4G/LTE und 5G erstmals in der Fahrzeugproduktion.

Im Mittelpunkt des Projekts steht das IIoT vor dem Hintergrund von Industrie 4.0, in dem 5G als zukunftssichere Kommunikationstechnologie den hohen Anforderungen der Automobilproduktion standhalten soll. Seit der zweiten Jahreshälfte 2018 wird eine 5G-Funkeinheit in einer Pilotanlage im Audi Production Lab bei Ingolstadt getestet. Nach Abschluss der Tests wird Audi darüber entscheiden, ob die Technologie auch in anderen Werken eingesetzt wird. 4G/LTE kommt dort zur Anwendung, wo für 5G noch keine entsprechende Sensoren erhältlich sind.

Stromverbrauch und Sicherheit

Nach Expertenmeinung wird die voll vernetzte Fabrik einen grossen Einfluss auf die zukünftige Produktion haben. Eine leistungsfähige Netzwerkarchitektur, die in Echtzeit reagieren kann, ist für diese Entwicklung unerlässlich. Neben der sehr hohen Zuverlässigkeit brilliert 5G auch mit seinem tiefen Energiebedarf. Trotzdem bietet 5G eine etwa 1000-fach höhere Netzkapazität als das immer noch leistungsfähige 4G/LTE und kann mit weniger Energie eine deutlich grössere Anzahl von Endgeräten versorgen. Bei der hohen Endgerätedichte im IIoT-Umfeld wird 5G damit zur Schlüsseltechnologie.

Einige produzierende Hersteller fordern nun eigene 5G-Lizenzen und wollen das öffentliche 5G-Netz nur ungern nutzen. Deren Betreiber behaupten, dass ein Zugriff vom öffentlichen 5G-Netz auf Kundendaten unmöglich sei. In jedem Fall wird ein privates mit dem öffent­lichen 5G-Netz verbunden, damit die Firmen mit Partnern, externen Dienstleistern oder Zulieferern kommunizieren können. Diese Kombination aus privatem und öffentlichem Netz wird als "Dual-Slice-Lösung" bezeichnet. Wie sicher 5G wirklich ist, weiss man hingegen noch nicht.

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