ICT-Networkingparty 2024

Ein Fest der Ambivalenz

Uhr

Das diesjährige Klassentreffen der Schweizer ICT-Branche hat das Publikum zum Perspektivenwechsel angeregt. Das Motto der ICT-Networkingparty 2024: Alles hat zwei Seiten. Highlight des Abends war ein Auftritt des Astrophysikers Thomas Zurbuchen, der davon erzählte, wie er es nicht trotz, sondern dank Widerstand an die Spitze der Wissenschaft geschafft hat.

Thomas Zurbuchen, Leiter der Weltraumprogramme der ETH Zürich und vormals Wissenschaftsdirektor der NASA, bei seinem Auftritt an der ICT-Networkingparty 2024. (Source: Netzmedien)
Thomas Zurbuchen, Leiter der Weltraumprogramme der ETH Zürich und vormals Wissenschaftsdirektor der NASA, bei seinem Auftritt an der ICT-Networkingparty 2024. (Source: Netzmedien)

Jedes Jahr dasselbe Problem: Wie bringt man 1000 Menschen dazu, sich zu Tisch bitten zu lassen und dem Programmauftakt zu lauschen? Wo doch alle nur eines im Sinn haben: alte Seilschaften anknüpfen, sich austauschen, zuprosten und mehr oder weniger ausgelassen unter sich feiern. Dieses Jahr liessen sich die Veranstalter der ICT-Networkingparty jedoch etwas Neues einfallen. Kaum war das Publikum im Berner Kursaal eingetrudelt, ging das Licht aus und auf der Leinwand liefen Videoclips über peinlich-lustige Fussball-Fails. Es funktionierte. Vorbei das Stimmengewirr und auch das Gläserklirren verhallte. Es stimmt also - Fussball beruhigt, wie Gastgeberin Vania Kohli zur Begrüssung sagte. 

Gastgeberin Vania Kohli begrüsste die Gäste an der ICT-Networkingparty 2024.

Gastgeberin Vania Kohli begrüsste die Gäste an der ICT-Networkingparty 2024. (Source: zVg)

Das Motto des Abends lautete: Alles hat zwei Seiten. Und die Spannungsfelder, die sich aus dieser Zweiseitigkeit ergeben, sind nicht nur Stoff für gute Geschichten. Sie sind der Antrieb, der Menschen dazu bringt, über sich hinauszuwachsen. Deutlich machte dies vor allem der Keynote-Speaker, dessen Auftritt vorerst noch eine Überraschung bleiben sollte.   

Mehr Leidenschaft für die Vernunft

Freudig überrascht wirkte denn auch Asut-Präsident Peter Grütter, als er auf der Bühne stand und feststellte, dass ihm das gesamte Publikum gespannt zuhörte - im Gegensatz zur letztjährigen Ausgabe des Anlasses, als die Apéro-Stimmung im Saal kaum zu bändigen war. Grütter sprach über künstliche Intelligenz und insbesondere darüber, dass es vollkommen verfehlt sei, nur die Risiken zu diskutieren und das Thema auf grosse Sprachmodelle respektive generative KI zu reduzieren. Seine Kernaussage: ausprobieren statt regulieren.

"Wir dürfen uns von KI nicht zu sehr beeindrucken lassen", sagte Grütter. GenAI verfahre ausschliesslich deduktiv und arbeite nur mit Wahrscheinlichkeiten, aber ohne Kreativität und Leidenschaft. Äusserst praktisch für Handlungsfelder, in denen mehr Vernunft gefragt ist, wo es um Kausalketten geht oder um die Früherkennung von medizinischen Risiken wie beispielsweise Tumorerkrankungen. "Wir sind der KI jedoch überlegen, weil wir nicht nur vernünftig denken und soziale Wesen sind; weil wir gut darin sind, mit wenig Wissen gute Entscheidungen zu treffen." 

Peter Grütter sprach an der ICT-Networkingparty über die Chancen und Limitierungen von KI.

Peter Grütter, Präsident des Schweizerischen Verbands der Telekommunikation (Asut), sprach über die Chancen und Limitierungen der KI. (Source: zVg)

Das Gute am Entscheidungsfrust

Näher in die Kunst der Entscheidungsfindung führten Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler. Die beiden Bestsellerautoren zeigten auf einer Wandtafel verschiedene Entscheidungstypen auf und regten die Teilnehmenden im Saal auf humorvolle Weise dazu an, ihre Entscheidungsroutinen zu hinterfragen. 

Wer sie nicht kennt, stellt sich womöglich die Frage, was sie denn von Haus aus sind. Wirtschaftspsychologen? Unternehmensberater? Management-Bespasser? Ein Blick in ihre Vita verrät: Sie hatten sich in einer Ausbildungsstätte der etwas anderen Art kennengelernt. Krogerus und Tschäppeler sind Absolventen der sogenannten Kaospilot School in Dänemark. Klingt vielleicht wie der Name eines Clown College, ist aber tatsächlich eine seriöse, wenn auch alternative Business-Schule, die auf kreative Unternehmensführung spezialisiert ist. Den beiden Rednern hat die Ausbildung offenbar viel gebracht, denn sie überzeugten das Publikum mit Cleverness, Selbstironie und praktischen Tipps für Führungskräfte. 

Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler auf der Bühne der ICT-Networkingparty 2024.

Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler zeigten mit Humor auf, was gute und richtige Entscheidungen ausmacht. (Source: zVg)

Grundsätzlich liessen sich zwei Entscheidungstypen unterscheiden, erklärten die Referenten. Den einen Typus nennt man Satisficer - ein Kofferwort aus dem englischen satisfying (zufriedenstellend) und suffice (genügen). Ein Beispiel dafür: Leute, die sich auf Netflix mit der ersten, halbwegs genügsamen Empfehlung zufriedengeben und gar nicht auf die Idee kommen, nach besseren Alternativen zu suchen. Der gegenteilige Typus ist der sogenannte Maximizer. Das wären jene, die bis mitten in der Nacht alle möglichen Optionen durchgehen und sich selbst dann, nachdem sie sich endlich entscheiden konnten, immer noch fragen, ob es nicht noch etwas besseres gäbe. 

Die gute Nachricht für alle, die sich zu letzterer Gruppe zählen: Objektiv betrachtet fällen sie die besseren Entscheidungen. Ob sie damit aber auch besser leben, ist eine andere Frage. Entscheidend ist allerdings auch, um welche Art von Entscheidungen es geht: Manche Beschlüsse sind banal, andere verändern unser Leben. Und bei vielen Entweder-Oder-Situationen kommt es vor allem darauf an, was nach dem Ja oder nach dem Nein folgt. “Achten Sie darauf, wenn Sie Feedback geben”, lautete der Ratschlag der Referenten. Auch eine positive Rückmeldung kann destruktiv wirken, wenn man nach dem Schema "Ja, aber …" argumentiert. Statt immer nur Fehler zu identifizieren, sei es ratsamer, danach zu suchen, was in einem Prozess, in einem Team oder in einem Unternehmen gut funktioniert - und darauf aufzubauen. 

Wenn das "Nein" ein "Ja" ermöglicht

Wenn immer möglich, sollte man immer "Ja" zu Menschen sagen - doch manchmal bedingt ein "Ja" zuerst ein "Nein", wie der Überraschungsgast zu Beginn seiner Keynote sagte. Thomas Zurbuchen, seit August 2023 Leiter der Initiative ETH Zürich Space, musste in seiner frühen Laufbahn viele Widerstände überwinden. Angefangen in seinem Heimatdorf Heiligenschwendi, unweit von Thun, von wo aus Zurbuchen als Sohn eines Predigers eine akademische Karriere einschlug, die ihn bis an die Spitze des Forschungsteams der US-Weltraumbehörde NASA führte. 

Dieser ganze Weg habe mit einem Stopp-Zeichen begonnen, sagte Zurbuchen. Allerdings nicht in seinem Heimatdorf, erst recht nicht an der Universität Bern, wo er Physik und Mathematik studierte. Es war ein Professor an der St. Andrews University in Schottland, der Thomas Zurbuchen eine Abfuhr verpasste - nachdem dieser nicht nur in Astrophysik promoviert, sondern für seine Forschung auch einen Preis des Schweizerischen Nationalfonds gewonnen hatte. Doch dieses "Nein" eines "kurzsichtigen Professors" brachte Zurbuchen dazu, die Wissenschaftswelt über den Teich hinaus zu erkunden. Er bewarb sich bei der University of Michigan, stieg dort auf zum ausserordentlichen Professor für Weltraumforschung und Raumfahrttechnik und trat 2016 die Stelle als Forschungschef der NASA an, wo er insgesamt 91 Weltraummissionen verantwortete, unter anderem das Projekt des James-Webb-Teleskops.  

Der ehemalige NASA-Forschungschef Thomas Zurbuchen während seines Vortrags an der ICT-Networkingparty.

Thomas Zurbuchen sprach an der ICT-Networkingparty 2024 über Widerstände, die neue Chancen möglich machen. (Source: zVg)  

"Ein 'Nein' ist also, im Nachhinein betrachtet, nicht immer etwas Schlechtes", sagte Zurbuchen. Entscheidend sei jedoch Folgendes: Wer ein "Nein" ausspricht, muss immer auch die Chance bieten, daraus ein "Ja" zu machen - also die Option offen halten, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. 

Spielräume schliessen, Menschen so dazu zwingen, um die Ecke zu denken und stets bereit sein, den Möglichkeitshorizont wieder zu öffnen: Ohne diese Haltung wären die meisten NASA-Missionen wohl nicht möglich gewesen. Als Beispiel nannte Zurbuchen den Mars-Helikopter Ingenuity. In diesem Fall war es Zurbuchen, der zuerst "Nein" sagte, nur um später auf ein "Ja" umzuschwenken. Nicht nur, um das Budget in Grenzen zu halten, sondern vor allem, um Risiken zu reduzieren und das Beste aus der Mission herauszuholen. 

Mit Erfolg: Ursprünglich hätte das erste irdische Luftfahrzeug auf einem anderen Planeten nur vier Flüge absolvieren sollen. Inzwischen sind es 72. Weitere sollten folgen, doch ungefähr in dem Moment, in dem Zurbuchen seinen Vortrag hielt, teilte die NASA mit: Der Mars-Helikopter hat ein beschädigtes Rotorblatt. Ingenuity könne zwar noch mit dem Kontrollzentrum auf der Erde kommunizieren. Der 72. Flug des Mars-Helikopters war aber sein letzter. Doch auch wenn er nicht mehr fliegen könne, werde der erste Mars-Helikopter der Geschichte die Zukunft der Weltraumforschung prägen.  

Das Datum für die nächste Ausgabe der ICT-Networkingparty steht bereits fest: Am 23. Januar 2025 ist es wieder soweit. 

Webcode
gfbCneHa