Vis-à-vis Simeon Roth

Wie der neue CEO die Faigle-Gruppe als eine Firma aufstellen will

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von Coen Kaat

Simeon Roth hat im November die Leitung der Faigle-Gruppe übernommen. Davor war er lange für PWC tätig gewesen und baute dort unter anderem den Geschäftsbereich "Digital Transformation Consulting" auf. Im Interview sagt er, wie er die komplexe Struktur der Faigle-Gruppe vereinfachen will und weshalb digital nicht automatisch einen Mehrwert bringt.

Simeon Roth, CEO der Faigle-Gruppe. (Source: Netzmedien)
Simeon Roth, CEO der Faigle-Gruppe. (Source: Netzmedien)

Wie landet jemand, der eigentlich Linienpilot werden wollte, in der IT-Branche?

Simeon Roth: Das war natürlich ein langer Weg. Ich begann meine Ausbildung zum Linienpiloten vor über 20 Jahren - damals noch bei der Swissair. Als die Fluggesellschaft 2002 Konkurs ging - ich stand gerade am Ende der Linienpilotenschule -, übernahm die heutige Swiss nur einen Teil der Swissair-Piloten. Die jüngsten und die ­ältesten Piloten mussten sich neu orientieren. So war es für mich schnell klar, dass ich mir einen anderen Weg suchen musste. Also machte ich ein Wirtschaftsstudium an der Uni Zürich und ging anschliessend in die Unternehmensberatung. Dort sammelte ich bei PwC auch meine ersten Führungserfahrungen. In die IT-Industrie kam ich schliesslich durch Jobangebote, die ich aus der Branche erhielt.

Weshalb ein Wirtschaftsstudium?

Ich bin kein Nerd mit einem tiefen, aber engen Interessengebiet. Meine Interessen waren seit jeher eher breit gefächert. An einem Wirtschaftsstudium gefiel mir, dass es ebenfalls sehr breit aufgestellt ist und danach ein Spek­trum von Richtungen zulässt. Es war also eher ein stra­tegischer Schritt, damit ich diese Offenheit behalten konnte - vor allem auch im Hinblick auf eine spätere Management-Karriere.

Eine Fluglizenz haben Sie aber noch gemäss Linkedin.

Das stimmt. Die Berufspilotenlizenz habe ich noch immer. Um diese zu erhalten, muss man eine gewisse Anzahl Flugstunden vorweisen. Dafür fliege ich mit einer Cessna auf einem nahegelegenen Flugplatz. Die Fliegerei ist für mich vom Beruf zu einem schönen Hobby geworden. Ich würde zwar gerne häufiger fliegen, aber das ist leider auch eine Frage der Zeit.

Was fasziniert Sie am Fliegen?

Mich fasziniert nach wie vor, wie Fliegen mit Flugzeugen möglich wird - egal ob mit einer A380 oder einer Cessna 152. Man erlebt im Flug die dritte Dimension. Im Alltag sind wir ja eher zweidimensional unterwegs. Vorwärts, rückwärts, links und rechts - aber rauf und runter fehlt in der Regel. Diese Erfahrung nun auch mit meinen Kindern und Freunden zu teilen, ist immer noch etwas Spezielles.

Bereuen Sie es manchmal, dass Sie nicht doch Linienpilot geworden sind?

Wenn ich die ersten Jahre nach meiner Pilotenausbildung am Flughafen stand oder auf Reisen war, fühlte ich manchmal schon ein bisschen Wehmut. Eine Pilotenkarriere wäre sicher auch spannend gewesen. Aber ich bin heute absolut zufrieden mit dem Weg, den ich eingeschlagen habe. So kam ich auch zu Chancen, an die ich vorher nie gedacht hatte.

Was haben Sie aus der Aviatik mitgenommen, dass Ihnen jetzt in Ihrer Führungsposition weiterhilft?

Die Arbeitsweise in der Aviatik ist sehr strukturiert mit einem Plan, stets aber mit der Offenheit, umzuplanen. Oder aber trotz Hierarchieunterschieden - im Cockpit zwischen Captain und Co-Pilot - eine gleichberechtigte Kommunikations- und Fehlerkultur zu leben. Ein weiterer, wichtiger Punkt ist das Bewusstsein, welchen Einfluss Stress auf die Performance und das Verhalten hat.

Wie reagiert man in solchen Situationen?

In der Pilotenausbildung erlebt man, dass am Boden Gelerntes in der Luft infolge von Stress einfach weg ist. Nur wenn das Gelernte durch zahlreiche Repetitionen zur Routine wird, reagiert man auch in einer Notsituation entsprechend. Das lernt man in der Aviatik sehr intensiv. Dabei konnte ich auch mich selbst immer wieder neu kennenlernen.

Wie meinen Sie das?

Fluglehrer bringen die Auszubildenden ganz bewusst an ihre Grenzen - um ausserhalb der eigenen Grenzen zu wachsen. Durch dieses begleitete Vorgehen werden diese Grenzen erweitert. Mit diesen und anderen Erfahrungen gab mir die Aviatik einen bunten Strauss an Fähigkeiten und Erfahrungen mit, von denen ich auch heute noch profitieren kann.

Zur Faigle-Gruppe wechselten Sie vergangenen November. Wie waren die ersten Monate als CEO?

Ich finde es immer spannend, neue Firmen mit ihren Kunden, Mitarbeitenden und Produkten kennenzulernen. Es ist jedes Mal interessant, zu sehen, wie eine Firma als Ganzes funktioniert, wie die Mitarbeitenden in Teams zusammenarbeiten und auch wie die Firmenkultur aussieht. Dies und die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze zu entdecken, stand in den vergangen Monaten im Zentrum. Dabei lernte ich viele aufrichtige und engagierte Kolleginnen und Kollegen kennen, die sich sehr für die Firma und ihre Kunden einsetzen. Das ist eine super Voraussetzung, um gemeinsam etwas im Markt bewirken zu können.

Was reizte Sie daran, zur Faigle-Gruppe zu gehen?

Faigle suchte einen CEO, mit dem sie erfolgreich den Wandel der digitalen Transformation realisieren kann. Diese Aufgabe reizte und reizt mich enorm. Mein Rucksack mit meiner Beratervergangenheit im Bereich digitale Transformation und meiner Transformationserfahrung von meiner vorhergehenden Stelle passten perfekt zu Faigle. Ausserdem zog mich Faigle als ein schweizerisches, inhabergeführtes Unternehmen an.

Das Thema Digitalisierung stand bereits bei Ihrem Antritt im Fokus. Wo sehen Sie diesbezüglich Handlungsbedarf?

Faigle steht aktuell an einem Punkt, an dem sich wohl 80 Prozent der Schweizer KMUs auch gerade befinden: am Übergang von der alten, analogen Welt in die neue, digitale. In unserem Geschäftsbereich Managed Print Service haben die Möglichkeiten der Digitalisierung schon vor einiger Zeit Einzug gehalten. Multifunktionsgeräte erlauben es schon länger, analoge Dokumente zu digitalisieren und in digitale Workflows und Enterprise-Content-Management(ECM)-Plattformen einzuspeisen. Die Coronapandemie hat auch hier diese Transformation bei unseren Kunden beschleunigt. Wir müssen unseren Kunden zeigen, dass wir ihnen helfen können, mittels intelligenten ECM- und Workflow-Lösungen einfach und effektiv von analog auf digital umzusatteln - und dass dabei ein echter Mehrwert generiert wird.

Digital bringt nicht immer einen Mehrwert?

Nein, manchmal digitalisiert man Prozesse bloss, um diese digital zu haben. Man prüft jedoch nicht, ob dies auch wirklich die Nutzererfahrung verbessert oder die Effizienz steigert. Der Fokus sollte also darauf liegen, die Effizienz und User Experience zu steigern - mit digitalen Mitteln. Es ist wichtig, die Vorteile beider Welten zu erkennen und diese bei der Transformation zu berücksichtigen - stets mit den Strategien, Wünschen und Präferenzen der Kunden im Fokus.

Wo steht Faigle selbst auf diesem Weg?

Die Digitalisierung nach innen - das heisst durchgängig, weitgehend automatisierte Prozesse - ist ein Thema bei uns. Hier haben wir das Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft. Das liegt auch an unserer Gruppenstruktur. Im Laufe der Jahre kaufte die Gruppe immer wieder Firmen, um sich zu diversifizieren oder Marktanteile zu gewinnen. Zudem gründete Faigle einige Firmen, um sich thematisch weiterzuentwickeln. So wuchs die Gruppe zu seiner heutigen, relativ komplexen Form. Diese Struktur wollen wir nun vereinfachen.

Können Sie noch etwas mehr zu diesen Plänen sagen?

Mir ist es wichtig, dass nicht mehr in den einzelnen Firmen gedacht wird. Faigle soll sich durchs Band als eine einzige Firma aufstellen. Das Betriebsmodell, die Kultur, die Technologien, die Tools, die man nutzt, die internen Prozesse, der Marktauftritt. Wir müssen all dies einheitlich und durchgängig gestalten. Deshalb installierte Faigle eine Gruppenleitung über alle Firmen hinweg. Diese hat den Auftrag, die einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenzuführen. Die Übergänge zwischen den einzelnen Einheiten sollen nahtlos werden und weitgehend digitalisiert.

Was erhoffen Sie sich davon?

So können wir uns effizienter aufstellen, einfacher arbeiten und voneinander profitieren. Das Synergiepotenzial ist enorm, ob im Vertrieb, im Bereich Operations oder der Corporate-Funktionen wie der Buchhaltung. Diese Vereinfachung wird sich positiv auf unseren Marktauftritt, unsere Kunden und unsere Kostenstruktur auswirken.

Was ändert sich dadurch für die Kunden?

Für die Kunden wird es einfacher. Wir wollen sie nicht mehr mit verschiedenen Firmen verwirren, die ihr eigenes Lösungsportfolio haben. Die Kunden sollen einen Ansprechpartner haben und wissen, egal ob sie analog oder digital oder im Übergang unterwegs sind, Faigle kann ihnen dabei helfen.

Inwiefern kommt es dabei zu Doppelspurigkeiten und so auch zu Entlassungen?

Das steht nicht im Vordergrund. Das Ziel ist es, als Firma zu wachsen und die Mitarbeitenden effizienter einzu­setzen.

Wie sieht der Zeitplan für die Zusammenlegung aus?

Wir arbeiten hart daran. In einem halben Jahr soll das Strukturelle abgeschlossen sein.

Ist der Fokus auf anorganisches Wachstum auch Teil Ihrer Strategie für Faigle?

Ich würde es zwar nicht als unser "Daily Business" bezeichnen, aber es gehört fast schon zur Tradition bei Faigle, auch anorganisch zu wachsen (lacht). Wenn es sinnvoll ist, werden wir auch künftig Akquisitionen ins Auge fassen, um anorganisch zu wachsen.

Wie wollen Sie den Schweizer Markt angehen?

Wir wollen primär auf unseren bestehenden Assets, unseren über 6000 Kunden im Bestandsgeschäft aufbauen. Mit diesen verbinden uns teilweise langjährige Beziehungen. Ihnen wollen wir aufzeigen, wie unsere Lösungen für sie in der Digitalisierung wertvoll sein können und wie Faigle sie bei der Digitalisierung ihrer Dokumentenprozesse unterstützen kann. Das Multifunktionsgerät kann dabei ein möglicher Einstiegspunkt in den digitalen Workflow sein. Darauf können ein Dokumentenmanagement, ein ECM oder weitere Services wie Input- und Output-Management als Outsourcing aufbauen.

Von was für Services reden wir hier?

Dazu zählt etwa den Content beim Einscannen von Dokumenten automatisch zu erkennen und zu kategorisieren. Das Angebot reicht bis hin zum automatischen Auslösen von Backoffice-Prozessen durch Schnittstellen vom ECM zum ERP. Viele Kunden wissen gar nicht, was alles möglich ist und was wir alles anbieten. Das gehört auch zur Strategie: Dieses Bild in den Köpfen zu ändern. Wer heute irgendwo "Faigle" sieht, denkt immer noch: "Ah, die kommen sicher, um den Drucker zu flicken". Mit dem Geschäft sind wir gross geworden. Aber wir haben uns schon lange weiterentwickelt.

Wie sieht das Verhältnis zwischen den Dienstleistungen und dem klassischen Verkauf von Druck- und Scan-Geräten aus?

Das Kerngeschäft, also der klassische Managed Print Service, wird anteilsmässig immer kleiner, während der Lösungs- und Business-Process-Outsourcing-Anteil wächst.

Der Druckermarkt hat nicht gerade das Image eines stark florierenden Geschäfts. Wie erleben Sie den Markt?

Das ist in der Tat so. Das Druckergeschäft entwickelte sich zu einem auf den Preis fokussierenden Verdrängungsmarkt. Viele Markteilnehmer haben sich selbst langfristig wohl keinen Dienst erwiesen, indem sie immer aggressiver mit dem Preis runter gingen. Teilweise verkaufen einige Players die Geräte unter dem Einkaufspreis! Man versucht, ausschliesslich mit Zusatzleistungen Geld zu verdienen. Für den Markt waren diese Entwicklungen nicht gesund. Aber: Das beschleunigt auch die Digitalisierung. Dank dieser Tiefpreisstrategie kommen innovative Lösungen schneller auf den Markt und zum Kunden. Die Kunden profitieren davon und das ist ja auch das Wichtigste. Ich bin nun aber gespannt, wie sich die Pandemie auf die Lage auswirken wird.

Wie wird sich Corona auf den Druckermarkt auswirken?

Die Pandemie löste in der gesamten Elektronikindustrie eine Knappheit von Chips und somit von Geräten aus. Nach reiner Wirtschaftstheorie sollte eine Knappheit eigentlich zu Preiserhöhungen führen. Dies ist bereits in anderen Industrien zu beobachten. Das wäre auch in unserer Branche die logische Konsequenz.

Wo sehen Sie das grösste Potenzial auf dem Markt?

Das Potenzial liegt klar in der Kombination von Multifunktionsgeräten in Kombination mit intelligenten Lösungen, welche einen für den Kunden optimalen Wechsel von analog auf digital bietet und die nachgelagerten Prozesse höchst effizient und nutzerfreundlich ausgestaltet bis hin zu Schnittstellen zur digitalen Post. Als Anbieter muss man seine Nische darin finden, wo die Bedürfnisse des Kunden am besten zu den eigenen Angeboten passen. Die Bedürfnisse des Kunden wandeln sich über die Zeit, so dass einzelne Angebote sich sogar kannibalisieren können.

Ist es heute überhaupt noch möglich, sich nur mit dem Verkauf von Druckern über Wasser zu halten?

Der reine Druckermarkt ist stark umkämpft. Aber es ist möglich - solange man sich mit dem ausschliesslichen Vertrieb von Druckern nicht rein auf Grossfirmen als Kunden konzentriert. Grossfirmen beschaffen ihre Drucker oft via grosse Ausschreibungen und drücken so massiv die Preise. Da ist es schwierig, mit reinem Verkauf und Servicierung von Druckern kompetitiv und profitabel zu bleiben. Aber die Schweiz ist ja auch ein Land von KMUs.

Wie lautet Ihre persönliche Botschaft an den Channel?

Nutzt das Potenzial rund um Dokumentenmanagement zur Automatisierung von Prozessen und zur Effizienzsteigerung. Lasst euch überraschen, was beim Wechsel von analog zu digital alles möglich ist. Und lasst euch auf diese Gespräche ein. Denn ich sehe immer wieder, wie viel Potenzial von Effizienzsteigerung bei Kunden noch brachliegt.

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