E-Commerce nach Corona

B2B braucht keinen E-Shop

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von Daniel Fiechter, Dozent FFHS im MAS Industrie 4.0 und Group CIO Stobag

Spätestens seit dem Ausbruch der Coronakrise 2020 kommt man am Thema E-Commerce nicht mehr vorbei. Wenn physische Kontakte eingeschränkt und Läden geschlossen sind, findet der Handel primär online statt. Doch braucht jetzt jedes B2B-Unternehmen zwingend einen eigenen E-Shop?

Daniel Fiechter, Dozent FFHS im MAS Industrie 4.0 und Group CIO Stobag. (Source: zVg)
Daniel Fiechter, Dozent FFHS im MAS Industrie 4.0 und Group CIO Stobag. (Source: zVg)

Im Jahr 2020 ist der Onlineverkauf in der Schweiz um rund 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Verglichen mit dem Wachstum davor hat Corona den Schweizer Onlinehandel ungefähr drei Jahre nach vorne katapultiert. Was Digitalberater schon lange predigen, sollte spätestens jetzt auch die letzten Skeptiker überzeugt haben: Firmen kommen um den Onlinekanal nicht mehr herum. Doch Onlinekanal ist nicht gleich digitale Transformation.

Unterschiede im Kaufprozess

Jetzt einfach einen E-Shop aufzuschalten, reicht nicht. Insbesondere im B2B-Geschäft unterscheidet sich der Kaufprozess wesentlich vom B2C-Geschäft. Üblich sind langjährige, enge Beziehungen oder aber professionelle Einkaufsabteilungen, die in mehrstufigen Auswahlverfahren mögliche Lieferanten beurteilen. Oft auch eine Kombination daraus. Dazu kommt, dass im B2B-Geschäft meist Investitionsgüter gehandelt werden, die um ein Vielfaches komplexer und teurer sind als herkömmliche Handelsware für Endkonsumenten.

Dies führt zu einer deutlich umfangreicheren Customer Journey als im B2C - Impulskäufe kommen nahezu nicht vor. In mehreren Gesprächen werden Angebot und Konfiguration spezifiziert. Der Informations- und Erklärungsbedarf ist entsprechend hoch. Ist der Kaufentscheid allerdings gefällt und wird in eine langfristige Vertragsbeziehung gewechselt, muss es dafür schnell gehen. Die Professionalisierung von Einkaufsabteilungen führt zu einer zunehmend auf Effizienz getrimmten Beschaffung. Bestellungen sollen möglichst aus dem kundeneigenen ERP-System getätigt werden können - etwa über EDI-Schnittstellen oder andere Integrationen.

Integration statt separater E-Shop

Aus diesen Gründen ergibt es wenig Sinn, im B2B einen auf einem Standardsystem basierenden, separaten E-Shop aufzubauen. Einerseits zwingt man seine Kunden damit in einen weiteren, nicht integrierten Kanal. Dieser ist oftmals mehr auf die Bedürfnisse des Lieferanten als des Kunden ausgerichtet, was seine Attraktivität für Kunden nicht steigert. Andererseits sind die Erklärungs- und Konfigurationsmöglichkeiten oft nicht genügend für die vorhandenen (und berechtigten) Ansprüche im B2B. Das heisst aber nun nicht, dass die Skeptiker Recht behalten und man das Thema E-Commerce links liegen lassen kann - im Gegenteil. Um in der digitalen Transformation aber tatsächlich vorwärtszukommen, reicht es eben nicht, nur einen E-Shop aufzubauen.

Stattdessen braucht es eine Gesamtbetrachtung über die Prozesskette hinweg. Welche Interaktionen finden mit dem Kunden über welchen Kanal statt? Welche Touchpoints gibt es entlang dieser Kette? Wie sieht die Customer Journey aus? Mit welchen Systemen arbeitet unser Kunde? Dabei lässt sich schnell feststellen, dass die eigentliche Bestellung eben nur einen Bruchteil der gesamten Interaktion ausmacht. Daneben gibt es zum Beispiel ein ausgeprägtes Bedürfnis nach vertieften technischen Produktinformationen oder Konfigurationsmöglichkeiten. Aber auch nach der Bestellung will der Kunde betreut sein, um allfällige Probleme oder Services rasch abwickeln zu ­können.

Aus Kundensicht konzipieren

Kurz: Es soll keine Rolle spielen, ob der Kunde wie bisher in Gesprächen oder im Laden mit dem Unternehmen interagiert oder aber online. Andere reden dabei auch von einem Omni-Channel-Ansatz. Wichtig ist jedoch, dass nicht einfach die bestehenden (Offline-)Prozesse pseudo-digitalisiert werden - ein Bestellblatt als beschreibbares PDF zur Verfügung zu stellen, macht noch keine Digitalisierung. Geht es darum, die Customer Journey effektiv online abzubilden, ist es unverzichtbar, eben diese Journey aus Kundensicht zu denken und zu konzipieren. Dem Kunden ist es egal, wie viele Abteilungen und Stellen sein Prozess durchläuft oder aus welchen Legacy-Systemen Daten abgerufen werden müssen. Ihn interessiert die Einfachheit. Und nur wenn es für ihn eine Vereinfachung ist, seine Prozesse und Anliegen online abzuwickeln, wird er auch auf diesen Kanal wechseln und dem Unternehmen damit mehr Effizienz bringen. Ein digitales Kundenportal muss also "von vorne", aus der Sicht des Kunden, gedacht werden. Inklusive aller darauf abgebildeten Prozesse. Dieser Vorgang wird einige Medienbrüche, ineffiziente Abteilungsübergänge oder fehlende Daten hochspülen. Auch manuelle Regeln oder Wissen in den Köpfen einzelner Mitarbeiter müssen zuerst formalisiert werden, bevor sie digital abgebildet werden können. Das ist mühsam, zeitraubend und Knochenarbeit. Aber das ist echte digitale Transformation.

Lernen von B2C

Dabei darf man sich wiederum gerne vom B2C-E-Commerce inspirieren lassen. Die gelernten Ansprüche an einfache Oberflächen, überzeugende User Experience und schöne Darstellungen schwappen nämlich zunehmend über. Die Zeiten von DOS-ähnlichen Interfaces sind auch im B2B vorbei und es ist Zeit, den Nutzer ins Zentrum zu stellen (und das nicht nur so zu sagen).

Allerdings: Kein Interface ist oftmals das beste Interface. Es ist also gut, zu prüfen, ob tatsächlich eine separate Oberfläche notwendig ist, oder ob der beste Weg, den Prozess des Kunden zu vereinfachen nicht eine Direktintegration über eine Schnittstelle in seinem ERP ist. Dabei gibt es verschiedene Wege. Von bekannten Standard-Schnittstellen wie etwa EDI, bis hin zu individuell programmierten Integrationen. Letztere ergeben insbesondere dann Sinn, wenn die Ware nach speziellen Regeln konfiguriert und validiert werden muss.

IT-Architektur als Basis

Schliesslich steht oder fällt das gesamte Vorgehen mit der IT-Architektur und der Datenqualität. Solange Legacy-Systeme überwiegen und Daten nur mühsam oder gar nicht zugänglich gemacht werden können, wird die Umsetzung obengenannter Strategie schwierig. Oder sie endet in neuen Datensilos und die erhofften Einsparungen verpuffen in zusätzlichem Unterhaltsaufwand. Es ist deshalb eminent wichtig, die IT-Strategie auf die Unternehmensstrategie abzustimmen und entsprechende Strukturen zu schaffen.

Eine zukunftsfähige, möglichst auf Schnittstellen basierende Kernsystemlandschaft, kombiniert mit einem kundenzentrierten Ansatz und Konzept ist also der Schlüssel, um die digitale Transformation auch im B2B ernsthaft anzugehen. Dann kommt dabei auch kein E-Shop raus, sondern eine optimale Integration der Kundenprozesse und damit ein Mehrwert für Kunde und Unternehmen.

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