Wo die Industrie schon auf künstliche Intelligenz setzt
Die künstliche Intelligenz (KI) ist der Pfad zu mannigfaltigen neuen Anwendungen in der Industrie. Welche Möglichkeiten sich durch die KI bieten und was für Herausforderungen sie mit sich bringt, sagt Gregory Albelda, Manager Manufacturing bei SAS (DACH).
Inwiefern ist KI in der industriellen Fertigung heute noch Zukunftsmusik?
Gregory Albelda: Gar nicht mehr. Eines der ersten Einsatzgebiete für Roboter waren schliesslich Produktionsanlagen. Allerdings befinden sich Fertigungsunternehmen noch in sehr unterschiedlichen Stadien des KI-Einsatzes. Bisher wird in der Informationsverarbeitung noch viel manuell, über Excel-Sheets, gemacht. Einige Unternehmen sind allerdings schon recht weit, wenn es um den Einsatz von KI geht, wie beispielsweise die Erstellung eines digitalen Zwillings in der Produktion. Mit einem Realtime Digital Twin sind Hersteller in der Lage, die Performance ihrer Anlagen in Echtzeit zu messen und mit dem Nennwert zu vergleichen. Zudem lässt sich der Energieverbrauch optimieren. In der Prozessindustrie wird mit KI steuernd in den Prozess eingegriffen, um eine möglichst hohe Ausbeute und Qualität zu erzielen. In der diskreten Fertigung mit ihren hohen Stückzahlen hilft KI, frühzeitig potenzielle Defekte zu erkennen und so den Ausschuss zu verringern.
Welche Möglichkeiten eröffnet die künstliche Intelligenz in der Industrie 4.0?
Im Prinzip lassen sich mit KI alle Faktoren verbessern, die die Overall Equipment Effectiveness (OEE) beeinflussen. Ein konkretes Beispiel ist die prädiktive Wartung: Wenn Sensordaten mithilfe von KI und Analytics noch während der Übertragung ausgewertet werden, können Auffälligkeiten und bevorstehende Ausfälle sehr frühzeitig erkannt werden. Ebenso lässt sich mit Streaming Analytics das Qualitätsmanagement optimieren und der Produktionsausschuss minimieren. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass Informationen zu variablen Faktoren wie Temperatur oder Viskosität des Rohmaterials über Sensoren in LKW und Laderampe direkt bei der Anlieferung erhoben und weitergeleitet werden. Die Produktionsmaschine wird dann entsprechend auf die optimalen Betriebsparameter eingestellt. Darüber hinaus gibt es sehr viel Potenzial im Bereich Supply Chain (Lagerbestands- und Bedarfsoptimierung).
Welche Herausforderungen bringt die Nutzung von KI in dem Umfeld mit sich?
Wie die erwähnten Beispiele zeigen, gibt es schon konkrete Einsatzgebiete in der Fertigung. Die grösste Barriere sind hier die Datenqualität und die Integration der verschiedenen Systeme und Bereiche (Fertigung, Lieferkette, Service). Denn nur, wenn der LKW tatsächlich mit der Produktionsmaschine "kommuniziert", entsteht ein Mehrwert im Produktionsprozess. Dafür erforderlich ist eine analytische Plattform, die sämtliche Informationen bündelt.
Wo sind die Grenzen der KI für industrielle Anwendungen?
Gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen kann die Ressourcenfrage einem Einsatz von KI im Weg stehen. Oft fehlen Mitarbeiter mit den erforderlichen Kompetenzen, um wirkliche Erkenntnisse aus den Daten zu ziehen. Daher haben viele keine Vorstellung, welchen Nutzen die Daten aus Maschinen und Anlagen für ihr Business liefern können, und scheuen die Investition in die Technologie. Aber dafür gibt es Bereitstellungsmodelle, bei denen Unternehmen ihre Daten für die Analyse freigeben und aussagekräftige Ergebnisse zurückgespielt bekommen.
Welche Chancen bieten sich für Schweizer IT-Dienstleister in dem Umfeld?
IT-Dienstleistern eröffnet das die Chance, einen konkreten Mehrwert für das Business anzubieten – und nicht einfach "nur" Software. Gerade Unternehmen, die noch keine oder wenig Erfahrung mit KI und Datenanalyse gemacht haben, brauchen Komplettservice und kompetente Beratung, die Mitarbeiter, Prozesse und Technologien einbeziehen. Kunden erwarten heutzutage ein "Minimum Viable Product", am besten auf Cloud-Basis, das geringe Investitionen und weniger Risiko mit sich bringt. Für Anwenderunternehmen ergibt sich mit dem As-a-Service-Ansatz die Möglichkeit, neue Technologien wie KI einfach auszuprobieren, ohne gleich grosse Risiken einzugehen.
Von welchen technologischen Trends profitiert die Industrie 4.0 derzeit am meisten? Und warum?
Es ist die Digitalisierung, die KI überhaupt erst ermöglicht und damit die vernetzte Fertigung, Smart Facturing oder generell neue Geschäftsmodelle wie "Servitization" ermöglicht. Statt ein Produkt zu verkaufen, wird nun dessen Leistung als Service angeboten. Voraussetzung dafür ist natürlich die maximale Transparenz, was den Zustand der Maschine beim Kunden vor Ort angeht. Aber auch Themen, die im gesellschaftlichen Interesse stehen, wie Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, können erst mit der Digitalisierung konsequent umgesetzt werden. Und zwar über die Optimierung des Fertigungsprozesses, einschliesslich geringerer Ressourceneinsätze und weniger Ausschuss, der sonst gegebenenfalls unter weiterem Energieaufwand entsorgt werden müsste.
Die Antworten der übrigen Podiumsteilnehmer:
Patricia Deflorin, SATW: "Die Struktur und Dokumentation der Datenbasis stellt oftmals ein Problem dar."
Holger Feldhege, Bühler: "Die wesentliche Voraussetzung sind stabile Prozesse und dazugehörige digitale Datenstrukturen."
Mario Fürst, Siemens: "Entscheidend für den Erfolg ist nun, dass Industrieunternehmen über das notwendige Fachwissen und die entsprechende Infrastruktur verfügen."
Rolf Höpli, Zühlke: "Es mangelt den Unternehmen grundsätzlich nicht an machbaren Ideen und Anwendungsfällen."
Jürg Meierhofer, ZHAW: "Wichtig ist, dass die Unternehmen trotzdem geeignete Nischen für erste Anwendungen identifizieren."
Christof Oberholzer, BBV: "KI steht in vielen Bereichen der industriellen Fertigung ganz am Anfang."
Robert Rudolph, Swissmem: "Der Nutzen entsteht in der eigenen Fertigung oder über eine entsprechende Dienstleistung beim Kunden."