Porträt

Monostream – wenn ein IT-Dienstleister gegen den Strom schwimmt

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Für die meisten Dienstleister bedeutet Digitalisierung nichts weiter, als Ressourcen in die Cloud auszulagern. Marcel Hintermann und Adrian Liechti sehen das anders. Mit ihrer Firma Monostream wollen sie so viel wie möglich selbst machen – von individueller Software bis hin zu Cloud Engineering.

Die beiden Monostream-Gründer Adrian Liechti (l.) und Marcel Hintermann in ihrem Büro in Zürich. (Source: Netzmedien)
Die beiden Monostream-Gründer Adrian Liechti (l.) und Marcel Hintermann in ihrem Büro in Zürich. (Source: Netzmedien)

Seit zwölf Jahren sind Adrian Liechti und Marcel Hintermann Geschäftspartner. Zwölf Jahre, in denen sich einiges verändert hat. Die IT-Branche, ihre Firma Monostream und sie selbst, wie sie sagen.

Die beiden sitzen in tiefen Ledersesseln und unterhalten sich. Hinter ihnen steht eine schwarze Wand, verziert mit Skizzen und rätselhaften Formeln. Auf der anderen Seite der Glastür sind zehn Entwickler am Werk, allesamt tragen sie Kopfhörer. Durch die gewölbten Fenster scheint Sonnenlicht. Wer hinausblickt, sieht die Limmat vorbeiströmen.

Treffen sich zwei gradlinige Querdenker

"Was wir gemacht haben, war immer um die Ecke gedacht", sagt Liechti. Das sei gut angekommen. Ebenso, dass beide von Haus aus Systeminformatiker sind, die ihre Leidenschaft fürs Entwickeln erst nach und nach entdeckten. Softwareentwicklung und System Engineering – das seien zwei Welten. Beide zu kennen, sei nützlich, um Probleme zu verstehen, sie zu zerlegen und zu lösen. "Das hilft uns vor allem bei den grossen Projekten", sagt Hintermann. Und von denen stemmten sie bereits einige. Zu den Referenzkunden zählen etwa Swisscom, Mammut, das Bundesamt für Informatik und Schweizer Banken. Umso erstaunlicher, wie schnell die Geschichte von Monostream ihren Lauf nahm.

Hintermann und Liechti lernten sich 2004 im Studium kennen. "Ich kam zu spät in die Netzwerkvorlesung", sagt Hintermann und blickt zu Liechti. "Also schlich ich nach hinten und setzte mich neben Dich." Liechti lacht. Er habe an diesem Tag ebenfalls verpennt, sagt er. Jedenfalls sei die Vorlesung komplett an den beiden vorbeigegangen. Statt aufzupassen, diskutierten sie über dies und das. Etwa darüber, warum C# besser als Java sei. "Eigentlich redeten wir aneinander vorbei", merkt Liechti an. "Vielleicht dachten wir gerade deswegen, dass wir uns gut verstehen", scherzt Hintermann.

Die erste grosse Chance lag in der Luft

Noch während des Studiums fassten sie den Plan, eine Firma zu gründen. Als Erstes eröffneten sie ein Postkonto. Und dabei blieb es auch eine Weile. Hintermann und Liechti erledigten gemeinsam Studienprojekte und arbeiteten nebenbei für verschiedene Firmen. Mal mehr, mal weniger – bis ihnen das Geld ausging. Erst dann kam die erste grosse Chance.

Das war 2006. Ein Altendorfer Installateur für Lüftungsanlagen engagierte die beiden für ein Projekt, das heute unter dem Stichwort "Industrial IoT" gehandelt würde. Der Auftraggeber hatte einen kanadischen Wasserparkbetreiber mit riesigen Klimaanlagen beliefert. Ziel war es, Software für die Fernüberwachung dieser Anlagen zu entwickeln.

Aller Anfang ist ein Abenteuer

Hintermann hebt die Augenbrauen, schaut Liechti an und sagt: "Wir hatten keine Ahnung, worauf wir uns eingelassen hatten." Der Installateur stellte den beiden Studenten eine Übungsanlage samt Sensoren und Steuerungssystemen bereit. "Da hackten wir uns in Geräte rein, die uns völlig fremd waren", sagt Liechti. Abenteuerlich sei es gewesen. Manchmal geradezu brenzlig. "Als wir an einem Hochspannungstrafo hantieren mussten, rechneten wir fast damit, dass uns ein Stromschlag trifft", sagt Hintermann. Doch schliesslich schafften sie es, alle Daten auszulesen, zu visualisieren und ein Produkt zu erstellen, das heute noch im Einsatz ist.

Weil alles so gut klappte, legten die beiden noch einen drauf. Die Klimageräte verbanden sie mit Industrie-Computern, die dazu dienten, Software-Updates einzuspeisen. Dann entwickelten sie ein Programm, mit dem der Kunde seine Anlagen via Remote Desktop fernwarten konnte.

"Das war schon ein verrücktes Projekt – und eine harte Lebensschule", sagt Liechti. Denn Monostream hatte damals alles auf diesen einen Auftrag gesetzt. "Als er nach zwei Jahren abgewickelt war, fielen wir in ein Loch", sagt er. Sie standen da ohne Folgeauftrag. Und wieder ging das Geld aus.

Niemals eine Bierwette ausschlagen

Kurz bevor es ans Eingemachte ging, begann das erste richtig grosse Projekt. "Es fing an mit einer Bierwette", sagt Liechti. Er und Hintermann trafen sich eines Freitagabends in einer Zürcher Bar mit ein paar Freunden. Einer von ihnen arbeitete bei Swisscom und forderte die beiden dazu auf, übers Wochenende eine Lösung zu bauen, die TV-Sender über den VLC-Player streamen sollte. "Das war ziemlich tricky, aber wir haben es geschafft", sagt Liechti. Das schindete offenbar Eindruck.

Wenig später beauftragte Swisscom Monostream damit, gemeinsam mit Microsoft ein Proof-of-Concept zu erstellen. Die Aufgabe lautete, Software für ein verschlüsseltes, webbasiertes Video-on-Demand-Angebot zu entwickeln. "Die Präsentation lief wie am Schnürchen", sagt Liechti. Er und Hintermann hätten eine handfeste Demo abgeliefert und bewiesen, dass sie die Richtigen für den Auftrag seien.

Das Nebenprojekt als Sprungbrett

Nach dem Web-TV-Projekt folgten weitere Aufgaben. Es kam soweit, dass Monostream entscheidend mithalf, Swisscom TV 2.0 zu gestalten und umzusetzen. "Nebenbei gleisten wir immer wieder ein kleines U-Boot-Projekt auf", sagt Liechti. Nur aus Spass an der Sache. Als die Zeit reif war, durften sie es präsentieren. "So konnten wir immer wieder grössere Geschichten anstossen", sagt er.

Von da aus hangelten sie sich weiter, von einem Vorhaben zum anderen. Vor drei Jahren entwickelte Monostream auch noch "MyCloud", Swisscoms Cloud-Speicher für Privatanwender. "Das war unser erstes cloud-natives Produkt", sagt Hintermann. "Genau in diese Richtung wollten wir."

Consulting? Klare Sache

2017 klingelte das Telefon. Am anderen Ende meldete sich HPE. "Wir haben gehört, ihr macht Software in der Cloud", habe es geheissen. Der Hersteller hätte einen Auftrag vom Bundesamt für Informatik (BIT) und brauche jemanden mit an Bord. So angelten sich die beiden Unternehmer ihr erstes Beratungsmandat.

Ziel war es, das BIT auf dem Weg zur Digitalisierung zu begleiten. Hintermann und Liechti halfen bei der Umsetzung agiler Methoden sowie beim Aufbau eines quelloffenen Cloud-Frameworks auf Basis von Cloud Foundry und Kubernetes. Auch dies kam gut an. Das BIT machte Monostream zum Education-Partner. Wie ein Ritterschlag sei das gewesen, sagt Liechti.

Die Rückkehr zum Selbstgemachten

Seither ist Monostream mit zwei Standbeinen unterwegs. Individuelle Softwareentwicklung ist das eine. "Wer digitalisieren will, kann dies nur mit Software tun", sagt Liechti. Software ab Stange sei zwar die naheliegende, weil billigere Option. Doch keiner könne sich so von Mitbewerbern differenzieren. "Deswegen bedeutet Digitalisierung, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen", sagt er.

Das andere Standbein heisst Cloud Engineering. Da geht es sicherlich auch um Design und den Aufbau von cloudbasierten Infrastrukturen, wie Hintermann sagt. Spannender sei es aber, neue Entwicklungsumgebungen zu bauen, mit denen sich etwa containerisierte Apps oder Microservices automatisiert ausrollen liessen. Ferner gehöre mittlerweile viel Beratung dazu. "In der Branche wird viel über DevOps schwadroniert", sagt Hintermann. Obwohl die Kunden jemanden bräuchten, der Klartext spreche, sie bei der Umstellung auf agile Prozesse unterstütze und als Bindeglied zwischen Devs und Ops fungiere.

Anleitung zum Vertrauensaufbau

Auf die Frage, wie die beiden das alles angestellt haben, klingt ihre Antwort ebenso simpel wie schwer von der Hand zu weisen. "Um sich Vertrauen zu erarbeiten, muss man zunächst gut zuhören, den Kunden verstehen, sich offen und ehrlich mit ihm austauschen", sagt Liechti. Hilfreich sei es, Probleme und Ziele schematisch darzustellen, um mögliche Wege aufzuzeigen "Dann bauen wir einen Prototyp", sagt er. Schon beim zweiten Meeting gelte es, etwas vorzuführen, das Hand und Fuss hat. Bloss keine Slides, sondern eine Demo. Und die muss so aussehen, "dass der Kunde sich selbst darin wiedererkennt".

Hintermann wendet sich seinem Geschäftspartner zu. "Das habe ich schon immer an Dir bewundert", sagt er, "Du kannst Menschen gut lesen." Woraufhin Liechti mit den Schultern zuckt und erwidert: "Dafür hast Du immer wieder den entscheidenden Geistesblitz, der uns auf die richtige Fährte führt." So oder so würde der eine nicht ohne den anderen heute hier sitzen. "Ich bin jedenfalls verdammt glücklich, dass wir an diesem Tag vor zwölf Jahren verschlafen haben", sagt Liechti und lächelt.

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