Cloud Use Cases Day der FHNW

Digitalisierung ist keine Transformation, sondern eine Evolution

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von Coen Kaat

Am 14. März hat der fünfte Cloud Use Cases Day der FHNW in Zusammenarbeit mit SwissICT stattgefunden. Warum der Begriff "digitale Transformation" eigentlich falsch ist, warum viele nicht wissen, was Digitalisierung wirklich bedeutet und wie die IT-Organisationen der Zukunft aussehen werden, erklärten die Referenten in Olten.

"Der Begriff digitale Transformation ist falsch. Eigentlich handelt es sich um eine digitale Evolution." René Büst, Director of Technology Research bei Arago, blickt einem leicht verdutzten Publikum entgegen, hinter ihm ein dichter Zeitstrahl.

René Büst, Director of Technology Research bei Arago. (Source: Netzmedien)

"Wir sind schon seit 50 Jahren digital: Ohne das Arpanet würde das Internet nicht existieren. Ohne das Internet würden Amazon, Google und Co. nicht existieren. Und ohne diese Unternehmen würde heute die Cloud nicht funktionieren", erklärt er.

Damit war der Bogen zum Thema der Veranstaltung geschlagen: die Cloud. In Olten fand am 14. März zum fünften Mal der Cloud Use Cases Day statt. Der alljährliche Anlass der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) will Cloud-Experten aus der Praxis und Wissenschaft miteinander vernetzen. FHNW veranstaltet den Event in Zusammenarbeit mit dem Fachverband SwissICT.

"Vor fünf Jahren mussten wir noch argumentieren, dass man nicht nur um Kosten zu sparen in die Cloud geht", sagte Stella Gatziu Grivas, Dozentin mit Kompetenzschwerpunkt Cloud Computing, Digitalisation & Transformation an der FHNW. "Mittlerweile hat die Cloud ihren Platz gefunden. Die Cloud ermöglicht neue Geschäftsmodelle."

Ein Mixer, eine Cloud, eine Plattform

Rene Büst, einer der Referenten, zeigte ein gutes Beispiel dafür, wie die Cloud sich auf das Business auswirken kann – anhand der Küchenmaschine Thermomix des deutschen Herstellers Vorwerk. Die Modellreihe ist seit den frühen 1970er Jahren auf dem Markt. Mit jeder Iteration wurde sie digitaler.

Mit der aktuellen Generation hat der Thermomix-Nutzer Zugriff auf einen Onlinekatalog mit Rezepten. Der Nutzer muss nur noch eins aussuchen und mit dem Mixer synchronisieren. Über eine Partnerschaft mit Rewe können die Zutaten auch gleich bestellt werden.

"So kann jeder Idiot - ich schliesse mich selbst da mit ein - ein leckeres Rezept kochen!", sagte Büst. "Stellen Sie sich einen intelligenten Thermomix vor, der mit dem Kühlschrank verbunden ist und dem Nutzer Vorschläge gibt, was er mit seinem Vorrat zubereiten könnte. Oder ein nicht so netter Thermomix, der die Ernährung des Nutzers analysiert und ihm rät, dass er bei dem Essverhalten vielleicht auf das Tiramisu verzichten sollte."

Viele wissen nicht, was Digitalisierung heisst

Der Trend werde immer stärker zu derartigen End-to-End-Angeboten gehen. Wie etwa auch Amazon. Das Unternehmen produziert unterdessen eigene Filme und Serien, die sie über einen eigenen Streaming-Dienst, auf einer eigenen Cloud gehostet, auf eigene Geräte und Applikationen abspielen lassen können, die vom eigenen Logistikunternehmen zum Kunden geliefert werden.

"Amazon hat die 100-prozentige Kontrolle über die digitale Wertschöpfungskette." Vielleicht steigen sie irgendwann auch in das Geschäft mit Datenleitungen ein, spekuliert Büst. Dann könnten Sie noch mehr Daten erheben über das Nutzerverhalten.

Die Digitalisierung hat jedoch einen Haken, wie der Keynote von Jens-Uwe Meyer, CEO von Innolytics, zu entnehmen war. "Viele wissen gar nicht, was Digitalisierung eigentlich ist", sagte er. Statt wahrhaftig zu digitalisieren würden viele Unternehmen schlicht ihre analogen Produkte und Prozesse digital eins zu eins übersetzen. "Ein E-Book zum Beispiel ist kein digitales Produkt." Lediglich eine digitale Kopie eines gebunden Buches.

"Wir müssen beginnen, die Digitalisierung digital zu denken", sagte Meyer. Unternehmen müssten auf Reset drücken und ihre Geschäftsmodelle radikal neudenken. "Was ist der wirkliche Nutzen meiner Produkte und Dienstleistungen? Was ist nur das Nebenprodukt, das meine Kunden widerwillig mitkaufen?"

Doppelbeschäftigung für Entwicklungsarbeit

Daher sei eine Skype-Konsultation beim Arzt auch keine effiziente Digitalisierung. "Jedes Auto ist heute deutlich besser diagnostiziert als die Fahrer selbst", sagte Meyer. Denn während Autos voller Sensoren steckten, seien im Menschen – zumindest noch – keine.

"Überlegen Sie mal, wie viele Körperdaten Ärzte aus Ihnen herauslesen könnten und was sie daraus ablesen könnten", animierte Meyer die Fantasie der Zuhörer. "Wenn Sie dann an die heutigen Ärzte zurückdenken, wird Ihnen der Besuch beim Arzt altmodisch vorkommen."

Jens-Uwe Meyer, CEO von Innolytics. (Source: Netzmedien)

Woher holen sich Unternehmen die Kapazitäten für eine derartig radikale Entwicklungsarbeit? Durch eine virtuelle Parallelorganisation, sagte Meyer. Jeder Mitarbeiter habe seinen normalen Job, aber nebenbei erhalte er einen Enwticklungsjob und die Aufgabe, alles zu hinterfragen und neuzudenken.

Es gebe zwar auch Menschen, die bloss ihren Job machen und danach Heim wollen. "Gut so, ich sage: lasst diese Mitarbeiter in Ruhe!", antwortete Meyer auf eine Frage aus dem Publikum. Diese Mitarbeiter seien essentiell für die digitale Transformation. Sie würden dafür sorgen, dass das Tagesgeschäft weiterhin laufe.

10 Thesen zur IT-Organisation der Zukunft

Die Frage, wie die IT-Organisation der Zukunft aussehen werde, behandelte Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik und strategisches IT-Management des Fraunhofer-Institut für angewandte Informationstechnik. Seine Antwort auf die Frage formulierte er in zehn Thesen:

  1. Kein Business ohne IT. Die IT sei der zentrale und unverzichtbare Treiber unternehmerischer Wertschöpfung. Dies betreffe sämtliche Unternehmen und sämtliche Bereiche in Unternehmen.

  2. Entwicklung und Betrieb sind nicht entscheidend. Es kommt zum Paradigmenwechsel. Statt dem zu langsamen Plan - Build - Run würde das IT-Management der Zukunft dem Paradigma Innovate - Design - Transform folgen. Klassische IT-Aufgaben gerieten dadurch immer mehr in den Hintergrund.

  3. Schatten-IT als gelebte Praxis. IT-Innovationen werden in interdisziplinären Teams in den Fachabteilungen erarbeitet. So sollen Silos aufgelöst werden und zugleich die IT und das Business verschmelzen.

  4. Innovation durch Netzwerke. Aus strategischen Lieferanten werden Innovationspartner. Der Trend zum Outsourcing werde sich fortsetzen, wobei cloudbasierte Ansätze an Bedeutung gewinnen würden.

  5. Den User im Blick. Die Softwareentwicklung werde agil, endnutzerzentriert und verschmelze mit dem Betrieb.

  6. Handelsware Infrastruktur. IT-Infrastrukturleistungen werden auf börsenähnlichen Märkten gehandelt und nach Bedarf eingekauft.

  7. Digitalisierung als Risiko. Security und Business Continuity Management werden zentrale Querschnittsfunktionen.

  8. Transformierbare IT-Landschaften. IT-Architekturen sind standardisiert, modular, flexibel, überall verbreitet, elastisch und sicher.

  9. Das Aus für die IT-Abteilung. IT-Experten werden Teil der Fachabteilungen und durch ein Vorstandsressort koordiniert. Dieses übernehme vor allem strategische Koordinationsfunktionen, die operative IT-Arbeit geschehe in den Fachbereichen.

  10. Demografie, Digital Natives und Unternehmertum. Die Mitarbeiter werden zum strategischen Wettbewerbsfaktor: mit den richtigen Fähigkeiten sind Mitarbeiter substanzielle Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsinitiativen. Dies erfordere jedoch Veränderungen im Personal-Management, in der Unternehmenskultur, bei der Arbeitsplatzgestaltung und in der Führung.

Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik und Strategisches IT-Management des Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik. (Source: Netzmedien)

Spannungsfeld zwischen IT und Business

Im Rahmen des Events präsentierte Stella Gatziu Grivas auch Ergebnisse der FHNW Cloud Studie 2018. Dabei handelt es sich um eine Onlinebefragung quer durch die verschiedenen Berufsfelder. Die Studie zeige ein gewisses Spannungsfeld zwischen dem Business und der IT.

Jeder fünfte befragte IT-Manager gab an, dass er keinen Zusammenhang sehe zwischen der Cloud und die Digitalisierung. Sie würden lediglich gemeinsam vermarktet werden. Kein einziger der befragten Business Manager und IT-Architekten teilten diese Aufsicht. Knapp mehr als die Hälfte der befragten CEOs erachten eine digitale Transformation ohne Cloudeinsatz als gar nicht möglich.

Wer interessiert ist, kann noch bis Ende März an der Cloud Studie teilnehmen. Die Studie richtet sich an Personen, welche im Business, in der IT oder an der Schnittstelle dazwischen tätig sind. Hier geht es zur Umfrage – die Dauer beträgt etwa fünf Minuten. Aktuell haben 250 Personen teilgenommen. Unter allen Teilnehmern wird ein Swisscom-Gutschein im Wert von 50 Franken verlost.

Der nächste Cloud Use Cases findet am 13. März 2019 statt.

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